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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 9
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Gold, Alfred: Tschechische und andere Kunst in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0158
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4- Die Aunst-Halle

Nr. '9


jetzt in Wien am liebsten von der sinnst unserer
feindseligen Brudernation.
Der Salon Miethke eröffnete die Kampagne
mit einer Ausstellung von Zoza Uprka. Lin Maler,
der kaum zwei Stunden von Wien (bei Znaim) zu
Hause ist, ein längst fertiger und reifer Künstler, in
München und Haris herangebildet und preisgekrönt,
wurde hier für Wien und die Deutschen entdeckt.
Seine Landsleute versuchten freilich seit Langem, auf
ihn aufmerksam zu machen. Uprka ist ein Maler
seiner Heimath: slovakischer Felder, über denen Licht
und Luft wie befruchtende Himmelsgaben lagern,
bäuerischer Kirchengänge und Dorfzenen, blühend
bunter Trachten und naiv bewegter Massen. Dieser
Landkreis ist gerade in der modernen Malerei der
Vuellboden einiger unserer besten Begabungen ge-
wesen : man denke an die Marchebenen Zettels und
an die köstlichen Dorfinterieurs Rumplers. Aber Zettel
und Rumpler sind Deutsche. Uprka, der in der tschechischen
Bauernbevölkerung nicht anders denn als Landsmann
und Bauer lebt, ist nicht nur volksthümlicher, breiter,
herber, heimathlicher, als jene beiden Delikaten,
sondern er schlägt nebenbei auch die Feinheit ihrer
Technik und ihrer Ausdruckmittel noch um ein Be-
deutendes. Das ist freilich nicht mehr Sache der
Nationalität, sondern der Persönlichkeit. Uprka steht
im rein Malerischen auf einer Stufe der Vollendung,
die überhaupt keinem Lande mehr angehört, sondern
der letzten europäischen Lntwickelung. Er hat eine
ganz entzückende Kunst, auf seinen Oelbildern in
kreidigen, gouacheähnlichen Farben einen aus Sonne,
dicker, nebeliger Lbenenluft, weißen Getreidescbwaden,
lichten Leinwandkleidern und Hellen Gesichtern resul-
tirenden Gesammtton festzuhalten. Der liegt wie ein
Hauch starker hinreißender Fröhlichkeit fast auf allen
seinen Bildern, daß sie dem ersten Blick fast wie Helle
Farbenwimpel entgegenwinken. Und daraus erst löst
sich, langsam bemerkt und immer stärker bewundert,
die Buntheit der Reize und Vorzüge im Detail los:
diese Behandlung von Licht und Raum! diese un-
gezwungen herbeigeführte Expression großer, schöner,
origineller Linien in der Gruppirung! Ungezwungen
wirkt hier Alles, und daruni wirkt es.
Der Sieg dieses Malers sollte in einer zweiten
tchechischen Ausstellung ausgenutzt werden, welche
das Künstlerhaus aufnahm: einer Kollektion des
Prager Manesbundes. Die Veranstaltung war
hier anspruchsvoller, programmatischer, aber wie es
gerade da manchmal zu kommen pflegt — nicht frei
von leiser Enttäuschung. Man sagt uns, daß der
Manesklub, nach einem Maler so benannt, von
großer nationaler oder zumindest lokaler Bedeutung
für die tschechische Kunst sei. Und wer von Uprka
kam und gelegentlich auch eineu Blick in moderne
tschechische Bildwerke geworfen hatte, und auch wer
bloß die starke Regsamkeit und künstlerische Hin-
gebungsfähigkeit dieses Volkes keimt, mußte ins
Künstlerhaus gehen und ganz Besonderes erwarten.
Von Besonderem fand er nur eiuiges und von
Mittelmäßigem ziemlich viel. Slavioek und Hudecek,
ein nationales Brüderpaar moderner Wiener Aus-
stellungen, zeigen in verträumten, echt böhmischen
Bildern, Teichlandschaften und Dorfnächten mit
rothen Dächerprofilen, von Neuem ihre stille und
liebenswürdige Malergröße. Uprka ist auch hier
vertreten. Den ganzen übrigen großen Saal aber voll
Namen und Bilder wird man vergessen, und nur
ein einziger Namen bleibt noch in Erinnerung: der
Bildhauer Bilek. Dieser Künstler greift resolut in

den Sagen- und Legendenreichthum seiner Nation,
für den uns Deutscben Grillparzers Libussa ein so
klangvolles Beispiel giebt. Die Phantastik eines
vrchlicky, eines Tech, eines Julius Zeyer kann uns
heute schon, in deutschen Übersetzungen, diese Welt
näher bringen, und von ihr muß man sich Bilek er-
füllt und angeregt denken. Da nimmt selbst die
christliche Legendengeschichte ihre ganz besonderen
volksthümlichen Züge an. Der Mutter Gottes
schmerzvoll gehobenes, bleiches, starres Gesicht leuchtet
im Mondschein von feuchten, vernarbten, todten
Baumstämmen dem Wanderer entgegen. Das wird
bei Bilek zum zeichnerischen Motiv für zwei panneaus,
und mit diesen rahmt er einen nicht minoer eigen-
artigen, lebensgroß aus Holz geschnitzten Christus
am Kreuz ein. Der Kopf ist einem modernen Porträt
angepaßt, Figur und Arme erscheinen dekorativ ver-
längert und verdünnt, und die als Reliefhintergrund
mitverarbeitete Holzwand trägt in einein sehr seltsam
wirkenden, direkten Realismus zahllose Buchstaben,
Hieroglyphen, Zeichnungen und Zeichen. Ein „Gol-
gatha" im Gipsentwurf zeigt den Künstler noch mensch-
lich ausgeprägter und reicher. Maria ist hier ver-
körpert als slavische Bäuerin, und zwar in dem über-
aus gelungenen und wirksamen Typus einer bis zu
eigener Verschlossenheit und Härte Schmerzgeprüften,
dem Schmerz selbst schon Ueberlegenen, geheimnißvoll
Ruhigen. So blickt sie auf den weinenden Zünger
herab. Zn dieser Figur hat Bilek eine ungewöhnliche,
poetische Höhe erreicht. Von seiner Kunstform ist zu
sagen, daß sie ihm dabei gehorcht — darüber hinaus,
als Eigenart, wirkt sie nicht.
Den dritten Trumpf wollte die tschechische Kunst
bei Miethke mit Radimsky ausspielen. Aber vaolaw
Radimsky ist ein Tscheche, der den Spuren moderner
Franzosen und Thaulows folgt, nicht nur nut seinen
Motiven, die er sich eben dort holt wie jene, sondern
auch mit seinen vielfachen Künsten. Er ist der voll-
endete Eklektiker, nirgends zu Hause als in der dandy-
haften Gesellschaft scheinbaren Alleskönnens, und je
mehr er zaubert, desto mehr Mißtrauen erweckend.
Zwei Denkmäler bekam Wien in eben diesen
Tagen, und eines derselben ist zugleich em Denkmal
großer bleibender Wiener Skulpturkunst: Edmund
Hellmers „Goethe". Zm großen Humbug des
Monumentenwettkampfes war diese Aufgabe frei-
lich von vornherein ein Ereigniß. Aber Hellmer
stand auch auf der Höhe dieser Aufgabe. Er hat
auf ein abgestuftes piedestal von etwa halber Meter-
höhe einen prächtigen Sluhl — eine bronzene Nach-
bildung des Kaiser Karlstuhles in Aachen — gesetzt
und in diesen Stuhl den alternden Dichter. Wie
die zur Fülle neigende Gestalt, mit vorgestreckten,
auf Seitenlehnen aufliegenden Armen, lässig dasitzt
— das ist unsagbar fein und natürlich gerathen.
Und wie diese Schultern doch ehern und gerade die
Rückenlehne überragen und einen Kopf tragen, der
in der ungezwungensten und majestätischesten Haltung
mit senkrechter Linie sich aufrichtet: das ist mehr
als gute Arbeit, das ist geniale Arbeit, wenn auch
in formenstiller, schlichter, heute noch nicht Jeder-
mann das Eigentliche verrathender Ausführung.
Der „Gutenberg" des Herrn Bitterlich wirkt
darnach recht — süßlich, um nichts Aergeres zu
sagen. Es ist Konvention darin, vom bärtigen,
barettgeschmückten Kopf bis zur vorgeschobenen rechten
Fußspitze.
V
 
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