Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

DOI Heft:
Nummer 19
DOI Artikel:
Galland, Georg: Der Meister und sein letztes Werk
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0339
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. G

Dis Aun st-Halle -r^

295

So können wir dem letzten Werke des Weisters,
wenn wir an das Gegebene die höchsten Ansprüche
stellen, zwar nicht das volle Lob spenden. Es wächst
aber die Sympathie zu ehrlicher Bewunderung, so-
bald wir daran denken, daß ein 70jähriger Künstler,
den freilich Niemand schon heute einen Greis nennen
wird, diesen edlen Schwung einer statuarischen
Komposition, diese lebensvollen packenden Kolossal-
gestalten, so voll ungebrochener Energie zu Stande
brachte . . . Wollen wir aber seine reiche Begabung
ungetrübt genießen, so wenden wir unsere Blicke doch
lieber den früheren kleineren Schöpfungen des
Weisters zu, z. B. dem Berliner Schillerdenkmal, den
poesievollen Sarkophagen und nicht minder den
Liebesgruppen, die wie seine Zentauren und Nymphen,
seine von sehnigen Wännerarmen geraubten Sabine-
rinnen durch stürmische Empfindung und reizende
formale Kontraste entzücken.
Zwei Wal hat Neinhold Begas in Berlin
für den ersten Deutschen Kaiser ein Denkmal gestaltet.
Künftige Kritiker mögen entscheiden, ob die greise
kaiserliche Erscheinung, ob der Geist der alten
wilhelminischen Epoche in der schlichten Gruppe der
Siegesallee oder in dem pompösen Wonumente auf
der Schloßfreiheit mehr dem Bilde der Volksphantasie
zu entsprechen vermag. Charakteristisch ist dort aller-
dings auch die kaiserliche Neiterstatue mit dem Genius,
der die Schritte des Nosses behutsam leitet . . .
Bismarck steht diesem beschützten Imperator gegen-
über als der Schutzherr des Neichsbesitzes, über dessen
Urkunde sich die Rechte legt, während gleichzeitig die
Linke am Schwertknauf geballt ist. Weder an
gedankenvoller Erwägung, noch an monumentaler
Würde fehlt es diesen beiden Schöpfungen unseres
Reinhold Begas; und der Ausdruck der Freude über
das, was wir künstlerisch durch ihn bis heute ge-
wonnen, soll darum an dem bevorstehenden Ehren-
tage des Weisters wahrlich kein geringer sein.
G. G.
X
Herman Stimm h.
m W. Juni ist, 73jährig, Herman Grimm
aus dem Leben geschieden, schmerz- und
kampflos, in der Sonntagsfrühe. Harmonisch,
wie sein Leben und Wirken, war sein Ende, ein
sanftes Ausklingen.
Wit ihm ist ein letzter Ausläufer der klassischen
Tage von Weimar dahingegangen. Als Sohn
Wilhelms, Neffe Jakob Grimms, der Träger eines
der theuersten Namen aus der Werdezeit unseres
Volkes, als Schwiegersohn Achims von Arnim und
der Bettina dem göthischen Kreise nahestehend, hat
er das heilige Feuer jener Tage geschürt und über
Menschenalter zu uns herübergetragen. Herman
Grimm ist der letzte Romantiker.
Der offiziellen Klassifikation nach war H. Grimm
ja wohl Kunsthistoriker; doch wer ihn lediglich als

solchen betrachtet, erschöpft seine Bedeutung nicht.
Denn „Kunst" war ihm alles Geschehen, das ge-
sammte geistige Leben der Nationen, die nationale
Phantasiearbeit der Völker. Als Künstler galten ihm
Homer so gut wie Raffael, Dante so gut wie Dürer
und Goethe, und seine drei Hauptwerke — „Michel-
angelo" — „Göthe" — „Homer" — zeigen deutlich
die Art seiner Geschichtsbetrachtung. Sein Blick um-
faßte das gesammte Leben der Völker als ein Ganzes;
auf den Höhen der Geschichte dahinschreitend, lösten
sich ihm die Wirrnisse der Zeit und des Tages wie
leichte Nebel; sein unverwüstlicher Glaube an die
siegreiche Macht des Gedankens ließ Mißmuth und
Kleinmuth in ihm nicht aufkommen.
Sein Optimismus war unzerstörbar; mit ihm
fand er sich auch zurecht in einer Zeit, dessen geistiger
Gehalt seiner Natur völlig entgegengesetzt war. wer,
wie er, eingestandenermaßen in der ästhetischen
Kultur die höchste Blüte der Entwicklung einer
Nation sah, müßte sich verwirrt, bedrückt, zurück-
gestoßen gefühlt haben in einer Epoche, in der das
materielle Interesse alle anderen überwog, hätte nicht
sein dem Dauernden, Erhabenen zugewandter Blick
über seine Zeit wie über ein umdüstertes Thal hin-
weggesehen, über dem sich doch bald wieder die Sonne
Homers und Göthes leuchtend erheben sollte, was
er s868 schrieb: „Mag in den letzten Jahren durch
Staatsmänner und Feldherren geschehen sein was da
will, mögen wir diese Männer mit Alexander und
perikles vergleichen, immer werden doch die Jahre
nicht ausbleiben, wo wieder das richtende Urtheil
der Geschichte Homer und phidias höher stellt als
Alexander und perikles" — galt auch noch für seine
späteren Jahrzehnte und verlieh ihm mit seiner
Zukunftsfreudigkeit zugleich jene nachsichtige Milde in
Anschauung und Urtheil, gegenüber „Verirrungen"
der Gegenwart, die die moderne Kunst wohl zu dem
Glauben verleiten konnte, als fände sie bei Herman
Grimm Billigung, wer ihn kannte, hält ihn einer
solchen Felonie nicht für fähig.
Kunst- und Kulturhistoriker, Geschichtsphilosoph
und Litterarhistoriker zugleich, hat Herman Grimm
doch nie die Forderung der Wissenschaft, die gelehrte
Forschung als das Endziel seiner Thätigkeit angesehen.
Ein rein wissenschaftliches Werk ist vielleicht nur sein
erstes größeres, der Michelangelo. Aber schon in
ihm zeigt sich, und von Auflage zu Auflage fort-
schreitend, der Zug, über die Zufälligkeiten der
historischen Person und der zeitlichen Beschränktheit
hinauszugehen zu dem Allgemeinen, dem Bleibenden,
dem Menschlichen. Michelangelo ist ihm, wie später
noch deutlicher Göthe und Homer, nicht mehr der
persönliche Künstler, sondern der Träger eines Kultur,
inhalts, der siegreich die Jahrhunderte durchschreitet-
„Raffaels Ruhm in vier Jahrhunderten", „Göthe in
freier Luft" werden reine Lieblingsthemen, an Dante
und Homer mißt er Menschenthum und Kunstgefühl
der Gegenwart, die historische Bedingtheit löst sich
ihm wie ein Nebel, der die Gipfel der Berge zu
krystallener Klarheit entschleiert.
Denn Herman Grimm selbst war ja ein Künstler,
ein Dichter, ein Erleber. Sein Kunsturtheil hatte,
wie seine Geschichtsbetrachtung, nicht theoretische
Grundlage. In ihm war alles Anschauung, Ahnung,
ein Sehnen nach harmonischem Zusammenhang.
Das musikalische Element spielte in seinem Kunst-
gefühl eine wichtige Rolle, und es ist kein Zufall,
wenn er, um den Stimmungsinhalt eines Werkes
der bildenden Kunst zusammenzufasfen, etwa Bach
 
Annotationen