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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 19
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Galland, Georg: Der Meister und sein letztes Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0338

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Die Run st-Halle

Nr. (9

29^

aus athletischen Spielen redete . . . Damals, als der
junge Begas in Nom ein Genosse von Feuerbach,
Böcklin und Lenbach seine plastischen Idylle meißelte,
die marmornen Gruppen und Reliefs, in denen das
heitere Reich des Pan, des Bacchus, der Venus, des
Amor und der Psyche wiederauslebte, da mochte wohl
ein Jeder glauben, daß er so endigen würde, wie er
fiegessroh angefangen, als ein berufener und wie
wenige auserwählter Lyriker der Plastik. Da konnte
Niemand auch nur ahnen, daß dieser Bildhauer
zugleich berufen war, einst der deutschen Nation in
der Hauptstadt des Reiches die imposantesten
Monumente unserer Zeit zu schenken.
Manche behaupten, seine Arbeiten seien von den
Zeitgenossen überschätzt worden. Man wirft ihm
sogar gelegentlich vor, er verdankte seine lohnendsten
Erfolge mehr der fürstlichen Gnade als der Be-
gnadung von Kunstwegen; die Siegesallee, die
Nationaldenkmäler Kaiser Wilhelms I und Bismarcks
u. s. w. Es ist wahr, ein mächtiger Wille, der selbst
über dem Ergebniß öffentlicher Wettbewerbe steht,
hatte vor Jahren in der Frage des Berliner
Bismarckdenkmals zu seinen Gunsten entschieden.
Aber es wäre sicherlich verkehrt, auf solche Bevor-
zugung mit einem herben Urtheil über diesen wahr-
haft kunstbegnadeten Mann zu antworten, dem die
Nation nicht nur eine Fülle herrlicher Werke, sondern
überhaupt eine Bereicherung der bildnerischen Potenz
verdankt. Es darf in der That als geschichtlich fest-
gestellt gelten, daß er der heimischen Plastik — die
vordem in der formalen Gebundenheit der Schule
Rauchs zwar ein Schutzmittel gegen die Ausartung,
aber keine Möglichkeit zu weiterer künstlerischer Ent-
wickelung besaß — eine größere Ausdrucksfähigkeit
verlieh, in der das erregtere Blut, der Odem einer
veränderten Zeit in die Erscheinung traten. Seine
Rolle ähnelte wohl derjenigen, die einst der un-
vergessene David d'Angers gegenüber dem französischen
Klassizismus spielte. And das sichert auch einem
Reinhold Begas die dankbare Erinnerung der Nach-
welt auf lange Dauer.
Nur wissen wir heute noch nicht, welches Ver-
dienst die Nachwelt höher taxiren werde, das seiner
köstlichen Darstellungen des hüllenlosen Weibes, für
die gewöhnlich das Motiv des Bades oder der
Toilette gewählt ist, oder z. B. die Gruppe seiner
charakteristischen Büsten, in denen er völlig rücksichts-
los dem Kultus der Wahrheit huldigte. Am be-
kanntesten ist Adolph Menzels energische Halbfigur
durch die volle Ausprägung der persönlicbkeit.
Aber auch die Köpfe Bismarcks, Moltkes, der männlichen
und weiblichen Mitglieder unseres Kaiserreiches find
in dieser Gruppe glücklich vertreten.
Je länger er arbeitete, je mehr er in die eigent-
lich großen Aufgaben bineinwuchs, die seiner in der
Hauptstadt seit Ende der sechziger Jahre harrten, um

so begieriger strebte sein Ehrgeiz nach Aneignung
heroischer Ausdrucksformen. Der Bildhauer, der
ehedem Vielen nur ein Nachkömmling der graziösen
pariser Bildner des (8. Jahrhunderts, der Girardon,
Tlodion u. A., erschien, verflieg sich später nicht selten
gar zur stolzen Rivalität mit dem Schöpfer des
„Moses". Der muntere Ganymed, der mit den
Blitzen des Zeus spielt, kann nicht mehr überraschen,
als der moderne Bildhauer, der abwechselnd mit
süßem Mädchenfleisch und der Terribilitä Buonarrotis
jonglirt. Und wenn auf diesem monumentalen Ge-
biete keineswegs der Erfolg ausblieb, wenn auch die
bis heute erwiesene Theilnahme des Meisters für den
athletischen Sport wenigstens die künstlerischen Früchte
trieb, die den Vergleich etwa mit einem Johann von
Bologna rechtfertigen, so mag doch in alledem der
noch nicht verklungene Ausspruch über den „Berliner
Michelangelo" eine Erklärung finden.
Doch erscheint Begas, wenn er auch —- seit er
die wuchtige Attikagruppe der Berliner Börse schuf
und um das Kölner Denkmal König Friedrich
Wilhelms III. konkurrirte — gern kolossale Muskel-
menschen anordnet, darin keineswegs ein Nachahmer
der alten Barockmeister. Die Verwandtschaft liegt
doch wohl mehr in der Uebereinstimmung, das
Heroische rein äußerlich durch übertriebene Formen,
mächtige Bewegungen und Gebehrden zu versinnlichen.
So sehr hatte es ihm schließlich das überwältigende
Heroenthum Bismarcks angethan, daß ihm der
brennende Wunsch, die Größe des ersten Kanzlers in
Erz zu bilden, ein Sporn wurde, die Mittel, über die
seine oft bewährte Kraft und Phantasie gebot, zur
höchsten Fülle zu steigern. Für das kürzlich enthüllte
Monument aus Bronze und röthlichem Granit erfand
er eine imponirende Gestaltung, an welcher freilich
allein der intensive Ausdruck des Hauptes seines
Helden unbestreitbar herrlich gelungen ist. Die
übrigen Bestandtheile des Werkes aber reden eine
statuarische Sprache, die selbst von Theatralik nicht
frei wirkt, und stehen auch nicht aus der Höhe seines
sonst bewiesenen dekorativen Geschmacks. Jede der
Gruppen an der zu beiden Seiten weitausladenden
Basis — die Germania, die einem Panther, dem
Dämon der Zwietracht, ingrimmig das Bein aus die
Kehle setzt, die träumende Wissenschaft aus dem
Rücken der Sphinx und, vorn und hinten, Atlas mit
der Weltkugel, Jung-Siegfried als fröhlicher Schwert-
schmied — spielt im Gesammtrahmen episodisch für
sich, jede dieser vier Gruppen (oder, wenn man
will, vier Temperamente) könnte ein Denkmal für sich
bilden. Im Gesammtrahmen der Aufgabe fehlt es
an wohlthuendem Rhythmus und Geschlossenheit.
Und endlich verschwinden die zarten Reliefs am
Postament und an der Basis durch ihren allzukleinen
Maßstab zü sehr in der Masse des Denkmalskörpers;
ihre Technik erinnert wohl an die skizzenhafte Art
überstrichener Thonbilder.
 
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