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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 10
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National oder International
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Ruhemann, Alfred: Von belgischer Kunst
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Nr. f0

4- Die Kunst-Halle -k-


können. Sehen sie es aber als ihre vornehmste Aufgabe
an, dem Publikum nach Möglichkeit ein Bild vom ge-
lammten europäischen Kunstschaffen zu geben, so wird zu
erörtern sein, welche Interessen wichtiger sind für das
ganze Volk, die Interessen der Sammlungen oder die
Interessen der zeitgenössischen Kunst." — x.
Unser Dresdner Mitarbeiter schreibt uns noch
Folgendes:
Aus den Mitteln der Güntzftiftnng, die unter der
Verwaltung des Oberbürgermeisters von Dresden steht,
wurde auf Veranlassung des Direktors der Kgl. Skulpturen-
sammlung Treu, ein Relief von Charpentier-Paris
für 6000 Mark erworben; es soll s. Zt. am neuen Rath-
hause angebracht werden. Es ist zu hosten, daß aus dem
Rathhausbau-lvettbewerb ein deutsch empfindender Architekt
als Sieger hervorgeht, der sich der Ausführung dieses
planes widersetzt. Andernfalls würde es ein trauriges
Unikum sein, daß ein deutsches Rathhaus als ersten
plastischen Schmuck ein französisches Relief er-
hält. Und da giebt es noch Leute, die sich über das vor-
gehen der Dresdner Bildhauer wundern!
L
^oy belAiscfier I^ansk.
von Alfred Ruhemann, Brüssel.

^Mt^ch sehe noch immer jenen Pascha vor mir,
cvWM der nach einem reichlich begossenen Dmer,
den Fez auf der Nasenwurzel, ein über das
audere Mal versicherte: Ich habe jetzt genug vou
den Eisenbahnen! Der alte Herr war nämlich Thef
aller ottomanischen Bahnen. Der Wein nun ver-
rieth, wie ihm im Grunde alles zuwider war, was
ihn an die Thätigkeit seines langen Lebens erinnerte.
Mir geht es häufig wie jenem mir unvergeßlichen
Pascha. Ich möchte auch oft aus Herzensgründe
aufschreien: Ich habe jetzt genug von den sogenannten
schönen Künsten, von Bildern und Statuetten, von
all dem schalen Schaumwein. Her mit einem Schluck
klaren Wassers! Scbade, daß es noch kein Zucht
wähl-, kein Selektionsgesetz bezüglich der Produktion
von Kunstwerken giebt. Und auf der auderen Seite:
kanu man es den Jüngeren verargen, daß auch sie
nach deut Platze streben, den ein Dutzend große
Meister und Vorbilder einnehmen. Haben nicht auch
jene wenig beachtet, vielleicht gar talentlos ange
sangen, bis ihr Genie, ihre Kunstfertigkeit durch-
drangen und mit einem Male zur Geltung kamen?
Also soll man gutmüthig nnd respektvoll genug sein,
auch die mittelmäßigeu Leistungen zu achten, denn
es könnte ja sein, daß - — —. Man will dann
kein schlechter Mensch gewesen seit! und noch weniger
der Dummkopf, der nicht von vornherein geröchelt
hat, daß Peter unbedingt ein zweiter Nubens und
Paul eilt Michela,tgelo zum Mindesten werden würde.
Folglich plätschert man weiter in der immer höher
steigenden Fluth von Salons und Salonnets, welche
die Brüsseler Wintersaison in beängstigender Fülle
hervorbringt. Und wenn dann der Mai vor der
Thür steht und inan mir guten, Gewisseu sagen
kann: ich habe fast alles gesehen, was zu seheu war,
was hat man denn selbst oder was hat die belgische
Kunst in, letzten Jahre gewonnen? Die Antwort
wird regelmäßig lauten: wenig. Die Alten find die-

selben geblieben; die zweite Kategorie arbeitet nach
derselben Schablone; unter den Jüngeren haben
einige ihre Abirrungen erkannt und sind solide, ja
sogar talentvoll geworden und die Allerjüngsten
schließlich fallen in dieselben, nach Effekten haschenden
Fehler, über die ihre Vordermänner und Muster-
knaben gerade glücklich hinweggekommen sind.
Wenn aus vorstehendem vielleicht der Eindruck
hervorgehen sollte, daß es mit der modernen bel-
gischen Kunst bergab geht, so kann ich nicht schnell
genug diesen Eindruck wieder verwischen. Nein,
mein Tadel betrifft nur die Ueberproduktion, die ja
allerdings leicht den Eindruck des Stagnirens uud
damit des Rückschrittes Hervorrufen kann. Mein
Unuiuth betrifft vielmehr die Spärlichkeit der Ent-
hüllungen, welche uns das Talent vieler belgischer
Künstler versprochen und die trotzdem noch immer
auf sich warten lassen. Nichts fürchterlicher, als
wenn inan ein Atelier oder eine Ausstellung mit der
Ueberzeugung betritt: was wirst, was kannst Du da
noch Neues sehen? Die .Kunst da drinnen ist mir
eine sehr angenehme, sie umspielt mich, deu Maun
vou Geschmack, Schönheits- uud Kunstsinn, wie meinen
Körper die laue Welle in Sommertagen, aber sie
packt und ergreift mich nicht. And die Macht der Ge-
wohnheit — handelt es sich nicht um sehr große
Meister und Genies — schädigt den ausübenden
Künstler ungeheuer. Ich will aber jetzt von den
allgemeinen Betrachtungen zu koukreten Fällen über-
gehen und Ihren Lesern wenigstens die vollsten
Aehren aus dem reieblich genug hestandeneu Korn-
felde der belgischen Kunst vorlegen. Ich greife zu
diesem Zwecke bis auf den belgischen Landessalon
zurück, der die diesmalige .Herbstunterhaltung der
belgischen Hauptstadt ausmachte. Er brachte keilte
Seusationen, aber einige angenehme Ueberraschungen.
Isidore Ver Heyden zum Beispiel, der als Landschafter
und Porträtist schon seinen fest begründeten Ruf be-
sitzt, stellte zwei männliche Bildnisse aus, welche seilte
Porträtkunst zu einer fast': klassischen Vollendung er-
hoben, ihm die Stelle als Professor der Malklasse
der Brüsseler Akademie und den Verkauf des eiuen
der beiden Bilder an das hiesige Museum einbrachteu.
Da war feruer der auch nicht mehr junge, im Aus-
lands jedoch wenig bekannt gewordene de la Hoese
init männlichen und weiblichen Bildnissen von einer
Realistik und Plastik, wie sie kaum Franz Hals besser
getroffen hat. Die sogenannte „Attraktion" jenes
nur iuteressanten, aber durchaus nicht berauschenden
offiziellen Salons jedoch war, wenn man dieses Wort
in diesein Falle schon gelten lassen will, Auguste
Levoque. Wenigstens förderte seine Kunst heftige
Meinungsdifferenzen zu Tage, das beweist also, daß
der Mann schon etwas werth ist. Levoque ist ein
Grübler, ein Sonderling, er lebt abseits von: Ge-
triebe der Welt und seiner Zunftgenossen, von
den Wenigsten gekannt. Er glaubt sich verfolgt und
griff, während durch mehrere Jahre seiue Bilder
von allen Ausstellungen fernblieben, zur Feder, um
seinem Grolle und seinen pessimistischen Anschauungen
Luft zu machen. Aber Noth lehrt beten, Levoque
begann wieder zu arbeiten. Er trat vor zwei Jahren
auf dem Antwerpener Landessalon nut einem Parzen-
bilde hervor, neben das er während des letzten
Brüsseler Salons noch weitere Theile eines Fresken-
zyklus stellte, der nach seiner Vollendung den Gesammt-
titel „Das Thor zur Hölle" erhalten soll. Dieser
Titel kennzeichnet den Menschen. Levoque stellte
gleichzeitig ein Triptychon aus „Die tragischen Ar-
 
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