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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 16
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Rücklin, R.: Unpersönliche Kunst
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M., C.: Dresden: Internat. Kunstausstellung 1901
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0285

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Nr. ^6

»—Die Kunst-Halle

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geiurg sich in historisch gewordene Lintheilungen und
Gesetze schnüren lassen, sodaß es ihr wohl zu gönnen
ist, wenn sie jetzt die Glieder srei reckt und sroh ist,
auf sich selbst gestellt zu sein. Aber nun stehe sie
auch und sehe zu, daß sie nicht auseinanderfalle. So
verlockend es für jede Künstlerpersönlichkeit, und ge-
rade für eine tiefgründige und zarte, sein muß, nur
aus der Natur und der eigenen Brust zu schöpfen,
so wenig wird durch eine solche Vereinzelung der
Kunstblüthe einer ganzen Nulturepoche gedient. Und
darauf muß hier unser Auge gerichtet sein, nicht auf
das einzelne Künstlerindividuum.
„Immer strebe zum Ganzen, und kannst Du
selber kein Ganzes bilden, als dienendes Glied schließ'
an ein Ganzes Dich an." Dieses Wort möchte ich
dem Schlagwort von der modernen „Kunst des In-
dividualismus" entgegensetzen, wer ein „Ganzes",
d. h. eine naive, selbstschöpferische und selbstfördernde
Künstlernatur ist, der preise sein Geschick und mache
sich dessen würdig, wem nur ein Theil davon ge-
geben ist, der „schließe an ein Ganzes sich an", an
eine abgegrenzte Richtung, beschränke sich auf ein
bestimmtes Gebiet und diene hier der Kuust treu und
still, statt sie mit ohnmächtigen Händen individuell
meistern zu wollen. Line lebendige Kunst ersteht
und blüht nur da, wo nicht Jeder einsam für sich
seinen weg sucht, sondern wo die Großen führen
und die Kleinen folgen, wo Jeder, nach dem Goethe-
scheu Wort, das „glücklich von Andern Gefundene"
fröhlich erkennt und schätzt, und wo in lebendiger
Wechselwirkung Liner für Alle und Alle für Linen
arbeiten und vorwärtsstreben.
Wenn man gerade unsere Kunstepoche im Gegen-
sätze zu anderen als eine Zeit des künstlerischen In-
dividualismus bezeichnet, so kann das kaum anders
gemeint sein, als daß es heutzutage nur eine Art der
Kunstübung gebe, nämlich die der einzelnen persön-
lichkeit, daß jetzt jeder Kunstbeflissene lediglich sich
selber in seiner Kunst auszusprechen und seiner Ligen-
art Geltung zu verschaffen habe. Das scheint mir
ein Dogma, und ein recht verhängnißvolles. So ein-
fach ist die künstlerische Begabung nicht abgestuft,
daß Jeder nur seiner Natur zu folgen brauchte, um
das Möglichste und Werthvollste zu leisten. Ls giebt
nicht nur große uud kleine, es giebt auch selbstständige
und unselbstständige Künstlernaturen. Ls giebt Er-
finder, Nachempfinder und Kopisten. Den beiden
letzteren Kategorien die Ligenschaft als Künstler ein-
fach abzusprechen, macht sich ja in der Theorie ganz
schön. Für das praktische Leben ist damit nichts ge-
wonnen, und, bei Licht betrachtet, für die Kunst
auch nichts.
Denn ohne Zweifel braucht die Kuust zu ihrer
Entfaltung ins Breite ebensogut kleine Künstler-
persönlichkeiten wie große, schon aus dem einfachen
Grunde, weil die letzteren nicht zahlreich genug sind,
um das gesammte Kunstbedürfniß ihrer Zeit zu be-

friedigen. Je weniger selbstständig und erfinderisch
eine Künstlerpersönlichkeit aber ist, desto weniger kann
sie nur den Eingebungen ihrer individuellen Natur
folgen — denn diese sagt ihr eben zu wenig —,
desto eher muß sie Anregungen, Kenntnisse und Er-
fahrungen auf ihrem Studien- und Lebenswege zu-
sammenraffen, um etwas zu leisten.
Ich sehe wirklich keine Veranlassung, solchen
Leuten die (Qualität als Künstler abzusprechen; aber
die Eigenschaft als besondere künstlerische Individuali-
täten kann man ihnen jedenfalls nicht zuerkennen.
Sie können aber deshalb doch sehr nützliche, tüchtige
und brauchbare Werke liefern, auch wenn sie sich
bewußt sind, daß es mit dem eigentlichen „göttlichen
Funken" schwach bestellt ist. Im Gegentheil, soweit
dies menschenmöglich ist, sollte jeder Künstler über
seine Begabung, über das ihm dadurch zugewiesene
Arbeitsfeld, kurz über den Posten, den er im Reiche
der Kunst auszüfüllen berufen ist, sich klar sein,
wer die Schaffensfreudigkeit, wer die Bethätigung
seiner persönlichen Eigenart dadurch verliert, daß er
kein Genie zu sein bekennen muß, der ist am weitesten
vom wahren Künstler entfernt.
Denn es handelt sich bei der bildenden Kunst
einer Zeit nicht darum, daß die persönliche Eigen-
art jedes einzelnen Künstlers möglichst unumwunden
zu wort komme, sonderu daß sich die Gesammtkultur
der ganzen Epoche darin ausdrücke. Von diesem
Standpunkte aus kann man dem Künstlerstand keine
andere Organisation zuerkennen, als jedem andern
Beruf: Hier wie überall anderswo wird es eben auch
Führer uud Gefolgschaften, Herren und Diener,
Selbstständige und Unselbstständige geben und geben
müssen.
(Schluß folgt.)


Dreien:
Internat. Hunstaumellung iqoi.
I.
ie allseitige Beachtung und Anerkennung,
die sich die großen Dresdener Kunst-
ausstellungen der letzten fünf Jahre er-
worben haben, und die Thatsache, daß diese unserer
Stadt mit überraschender Schnelligkeit die verloren
gegangene Position als in erster Linie stehende Kunst-
stadt zurückerobert haben, wird wohl kaum von
Jemandem angezweifelt werden. Auch die am 20. April
im Beisein des sächsischen Hofes und vieler aus-
wärtiger Künstler eröffnete Internationale Kunst-
ausstellung ist in jeder Hinsicht geeignet, den guten
Ruf dieser Veranstaltungen, deren vornehme künstle-
rische Höhe vor Allem dem Einflüsse Gotthard Kuehls
zu verdanken ist, zu befestigen. Allerdings ist ebenso,
wie bei den vergangenen Ausstellungen, auch jetzt
noch mancher Wunsch unerfüllt geblieben; auch dies-
 
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