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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 3
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Wirth, Robert: Gewerbliche Geschmackslehre
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Neues zur Kunstgeschichte
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Nr. 3

4- Die Aun st-Halle

35

L(l 06nl08 können wir uns gar nicht entziehen, sie
erzieht uns zunächst selbst zur Aufmerksamkeit für das,
was in ihr schön ist. Mit seinem verstände weiß
kein Weiser recht zu sagen, was das schöne ist, durch
seine unmittelbare Wirkung aber auf unser Gefühl
erhalten wir die Gewißheit, daß es ist. Wie geist-
reich sich schon Plato, der ebenfalls den Grund der
spontanen Wirkung des Schönen nicht begreifen konnte,
die Sache schließlich zusammenreimte, will ich hier
nicht auseinandersetzen, da es jetzt Mode ist, „un-
akademisch" zu reden. Man darf also bei Leibe nicht
Ideen des Gründers der „Akademie" vortragen.
Die Leitung der Plauener Industrieschule ver-
spricht sich von einer Unterweisung in den verschie-
denen geschichtlichen Geschmacksrichtungen, haupt-
sächlich in der Verwendung der stilisirten Pflanzen-
form, einen nachhaltigeren Eindruck als von einem
Zeichenunterrichte, der besonders in Handelsschulen
gegenüber der dortigen Menge der für dieses Fach
nicht geschaffenen Schüler durchgreifend nicht ertheilt
werden kann. Die Stilisirung der Pflanze zum
Ornament vollständig durchzusetzen, hat die genannte
Anstalt selbst und haben die auf ihr gebildeten Zeichner
für Gardinen- und Spitzenmuster einen langwierigen
Kampf mit dem publiknm und den aus leichtbegreif-
lichen Gründen sich zumeist auf die Seite des Publi-
kums stellenden Fabrikanten zu kämpfen gehabt.
Durch die Geschmackslehre soll fortan ein gegen-
seitiges Einvernehmen, mindestens ein leichteres ver-
ständniß zwischen dem kunstgewerblichen Lehrer,
Zeichner, Former u. s. w. angebahnt und dem ge-
schmacklosen Eklektizismus im Muster, dem Hange
des Publikums für Muster in naturalistischen Blumen,
wo solche gar nicht hingehören, gesteuert werden.
Line Verbesserung des Geschmacks erwartet man —
und gewiß mit Recht — durch Berücksichtigung der
Fehler in der heutigen Stilverarbeitung und der Aus-
artungen der Stile. Daher werden auch Fehler und
Mißgriffe in der Stilnachahmung, die der Lehrer als
solche zu begründen hat, auf Wandtafeln vorgeführt.
Die Fehler sind natürlich nicht all lloe erfunden,
sondern erlebt, bez. auf Industrieausstellungen notirt
worden. Das Klagelied über Geschmacklosigkeit in
der Kunst und Literatur ist freilich, wie das über die
Verderbtheit der Menschen, in jeder Epoche ange-
stimmt worden. So schrieben z. B. in Deutschland
über dieses ergiebige Thema im vorigen Jahrhundert
Bodmer (Anklage wegen des verderbten Geschmacks,
Zürich (728), G. F. Meyer (Untersuchungen über
einige Ursachen des verdorbenen Geschmacks der
Deutschen, Halle (7^6), Herder (Ursachen des ge-
sunkenen Geschmackes bei den verschiedenen Völkern)
und viele andere. Wie viele beherzigenswerthe Ge-
danken sind in diesen Schriften und denen der Aus-
länder über dasselbe Thema bereits aufgestapelt
worden —- aber wer liest heutzutage noch in ver-
gilbten Blättern? Heute liest man gemeiniglich in

Kunstsachen nur noch unvergorene Geistreicheleien, die
im Tempo der Schnellpresse losgelassen allerdings
auch mit dem nächsten Tage wieder vergessen werden.
Wie leicht läßt sich mit Wandtafeln, die alle
Schüler auf einmal sehen können, arbeiten! Man
stellt sofort die benöthigten Tafeln der Muster zu-
sammen, man wendet die Tafel um und läßt auf
der daneben stehenden schwarzer! Wandtafel das
Muster oder Einzelheiten desselben aus dem Kopfe
nachzeichnen, man läßt es einen aufgerufenen Schüler
verbessern, man läßt ein Muster mit eigenen freien
Zuthaten um- oder nachbilden u. s. w. Zu welch
klarer Anschauung die Möglichkeit eines sofortigen
allen Schülern sichtbaren Vergleichs zwischen den
Stilarteri führt, bemerkt man z. B. auf der Stelle,
wenu man ein modernes Muster einem aus der
italienischen Renaissance oder auch dem persischen
Granatapfelmuster gegenüberstellt. Unsere beliebten
heutigen Muster, z. B. der einsame Hexentanz des
gaukelnden Strebelinienbüschels oder die auf eineirr
dreigabeligen steifen Draht gespießte Ranunkel be-
weisen doch dem unbefangenen Beschauer zur Genüge,
daß die angeblich ausgehende Morgenröthe eines
neuen gelungenen Stils vor der Hand nur in der
Einbildung der Künstler existirt. Und wenn auch
die Tafeln weiter nichts bedeuten sollten, so ist mit
ihnen eine große Erleichterung im Unterrichte eines
Theils der Kunstgeschichte geboten worden.- Bei-
gegeben ist eine Tafel für einsetzbare farbige Pappen
zu versuchen und Farbzusammenstellungen; die
Papperr kann der Lehrer nach Bedarf vermehren.
Uns erscheint eine solche bequeme Vorrichtung bei
der ungemeinen Bedeutung der Farbe im modernen
Ornament im höchsten Grade beachtenswerth. Die
übrigen Tafeln sind freilich nicht farbig, sondern nur
in einem stumpfen Violett — nicht in kaltem Schwarz
— gehöht.
L
Neues rur MlMgescbicbte.
(. Antike Malereien in Bosco Reale.
er Ort am Fuße des Vesuvs, Bosco Reale,
, 3 Kilometer von Pompeji entfernt, ist seit
längerer Zeit eine vielgenannte Stätte
glücklicher Ausgrabungen. Der Schauplatz dieser
antiquarischen Entdeckungen befindet sich im beneidens-
werthen Besitz des Abgeordneten de prisco, der es
versteht, dem Schooße der Erde hier systematisch alle
die Schätze materieller und künstlerischer Art zu ent-
reißen, die einst sammt ihren unglücklichen Eigen-
thümern durch das furchtbare Naturereigniß des
Alterthums (7s) n. Thr.) begraben wurden. Fast
20 Jahre hindurch waren diese Ausgrabungen de
priscos heimlich geschehen, und nur die Eingeweihten
der Nachbarschaft konnten aus dem wachsenden Wohl-
stand aller bei den Erdarbeiten beschäftigten Hilfs-
kräfte auf die reichen Ergebnisse schließen, d. h. auf
die Fülle der wieder ans Licht geholten Schätze, zu-
 
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