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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 11
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Herain, Jan; Kamper, Jaroslav: Das Lusthaus der Königin Anna in Prag
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4- Die Aun st-Halle

(65

Vas Lustbauz tler Königin Unna
In Prag?)
in duftiges Märchen italienischer Renaissancekunst,
das sich nur durch einen Zufall in die alte, hundert-
thürmige Stadt im diistern Norden verirrt hat, ist dieses
schmucke, lustige, vornehme Lusthaus. Im Osten des könig-
lichen Gartens gelegen, erhebt es sich stolz über dem tiefe
Melancholie athmenden Pirschgraben. Aus sattem Grün
der Anlagen, von denen es auf allen Seiten umgeben ist,
ragt der einstöckige Renaissancebau mit seinen schönen
Säulenarkaden und dem griinschimmernden, 8-förmigen,
kühn geschwungenen Dach. Die Anlage des Ganzen ist
von einer solchen Vornehmheit, von einem solchen Schwünge
getragen und die majestätischen Formen von einer solchen
Reinheit, daß man wohl sagen dars, diese herrliche
Schöpfung italienischer Renaissance besitze diesseits der
Appeninen nicht ihresgleichen. Luftige Säulenarkaden
ziehen sich im Parterre um das ganze Lusthaus herum,
eine Treppe hoch befindet sich eine geräumige Gallerie, von
der sich einer der schönsten Ausblicke auf die Stadt eröffnet.
Das Erdgeschoß des Gebäudes besteht aus dein im Jahre
t8^s erbauten Stiegenhaus mit zwei geräumigen, durch
eine Klosterwölbung überwölbten Pallen, im ersten Stock-
werke finden wir einen großen Saal mit einer hölzernen,
getäfelten Decke in der Dachkonstruktion. Je vierzehn auf
den Langseiten, je sechs jonische Säulen auf den Breit-
seiten bilden die Arkaden.
Diese jonischen Säulen, die die halbkreisförmige Wöl-
bung der oberen Gallerie tragen, weisen wunderschöne, auf
den Voluten mit gekräuseltem Laubwerk geschmückte Kapi-
talen auf; die Sockel der Säulen sind attisch. Reich sind
anch die ornamentalen Details des Gesimses oberhalb der
Arkaden. Das steinerne Gesimse besteht aus dem Zahn-
schnitt, dem Eierstab und feinen Laubwerkkonsolen, zwischen
denen auf dem Untertheile der Gesimseplatte reiche Blütchen
hängen. Unterhalb des Gesimses befindet sich ein auf dem
durch den großen und kleinen Perlenstab getrennten Archi-
trav aufrnhender Fries nut reichem Lanbwerk, oberhalb
der Säulen sehen wir in den Zwickeln der Schwibbögen
reichen, plastischen Schmuck. Mythologische Szenen, von
denen sich viele auf die Sage vom goldenen Vließ be-
ziehen, bilden den Gegenstand desselben, wie man am
Nord- und Westeingang noch sieht, ruhten diese Säulen
einst auf einer steinernen Ballustrade von edlen Formen.
Jetzt ist die Unterlage gemauert. Die Brustwand der
oberen Gallerie, gleichfalls in Stein gemeißelt, weist figu-
rale Zwickeln auf, deren Motive durch die einzelnen
Kettenglieder des im ersten Drittel des sechszehnten Jahr-
hunderts von Karl dem Fünften, Kaiser von Deutschland
und König von Spanien, gegründeten Ordens vom goldenen
Vließe gegeben sind. Nur in den Erkern der Gallerie
sind Delphine abgebildet. Um das Regenwasser von der
oberen Gallerie abzuleiten, dienen kupferne, aus dem Fries
etwa auf t,80 in hervortretende geflügelte Drachen, von
denen auf den Langseiten je vier, auf den Breitseiten des
Gebäudes je zwei sich befinden. Von diesen Wasserspeiern
*) Aus dem soeben erschienenen Werke: Alt-Prag,
80 Aquarelle von w. Jansa. Text von perain und
Kämper. Kunstverlag von B. Koci, Prag (vergl. Bücher-
schau).

hat sich nunmehr ein einziger in seiner ursprünglichen
Form erhalten, während die übrigen durch einfache Dach-
rinnen ersetzt worden sind. Als Stütze der Drachen dienen
herrliche, zum Theil noch erhaltene eiserne Renaissance-
konsolen mit reichem Geschnörkel. Das steinerne Paupt-
gesimse ist klein, und unterhalb desselben befindet sich ein
Fries mit Triglyphen und Metopen. wunderschön sind die
fein profilirten, reichgegliederten, in Sandstein gemeißelten
Lhambranen, namentlich jene der Fenster im Erdgeschosse,
wo der Perlenstab im weichen Sandstein bis ins kleinste
Detail meisterhaft ausgeführt ist. Den reichsten Figural-
schmuck weist der Fries oberhalb des Westeinganges auf.
Ein galanter König hat dieses herrliche,Lusthaus zu
Ehren seiner Gemahlin bauen lassen: Ferdinand der Erste
aus dein Panse pabsburg ließ es für feine Gemahlin
Anna, Tochter des Jagiellonen Wladislaw, Königs von
Böhmen, bauen. Seiner peirath mit der böhmischen Prin-
zessin verdankte er die Krone Böhmens, denn er wurde,
nachdem das Jagiellonengeschlecht im männlicher: Stamme
erloschen war, durch freie Wahl der böhmischen Stände
im Jahre Z52o als König von Böhmen anerkannt. Eine
Anspielung darauf, daß Ferdinand der Erste das Lusthaus
für feine zärtlich geliebte Gemahlin aufführen ließ, ist
auch die Szene, die wir im Zwickel oberhalb der dritten
linksseitigen Säule auf der Westseite der Arkaden erblicken
und die uns Ferdinand den Ersten zeigt, wie er seiner
Königin galant einen Blumenstrauß reicht. Auf dem von
dem Niederländer Aegidy Sadeler gestochenen plane Prags
und auf dem die Metropole Böhmens darstellenden Stiche
des Pragers Wenzel Pollar (beide Stiche haben Bezeich-
nungen in böhmischer, deutscher und lateinischer Sprache)
wird dieses Gebäude das „Lusthaus" genannt. Die Be-
zeichnung „Belvedere", die an ähnliche Bauten in Rom
und Florenz erinnert, stammt erst aus der ersten pälfte des
XIX. Jahrhunderts. Das eigentliche Prager Belvedere wurde
um das Jahr (716 auf der gleichnamigen Anhöhe ober-
halb der jetzigen Kaiser Franz Iosefsbrücke vom Grafen
Waldstein erbaut und während der Belagerung Prags
durch die Preußen im Jahre t7q^ — zu welcher Zeit es
den Grafen Eernin gehörte — in die Luft gesprengt.
An das königliche paar, dem wir das schöne Lust-
haus verdanken, erinnern uns die Wappen in den Zwickeln
nächst der Ecken der Säulenarkaden, wo wir in der rechten
Ecke der Nordseite im Wappen unterhalb einer kupfernen
Krone das eingemeißelte Monogramm F. A. (Ferdinand,
Anna) erblicken, ferner die an den übrigen Ecken ange-
brachten Wappen Böhmens, Ungarns, sowie jenes des
pabsburgischen pauses und das kaiserliche Wappen.
Das Lusthaus wurde von Giovanni de Spatio*),
einein italienischen Künstler, der vor dem Jahre (534 als
Gberbaumeister in die Dienste Ferdinands trat und dessen
Vater, der Steinmetzmeister Giacomo de Spatio, gleichfalls
in königlichen Diensten in wiener Neustadt stand, erbaut.
Diesen Künstler betraute Ferdinand mit der Ausarbeitung
des planes und der Leitung des Baues. Am z. April
(525 trat Spatio mit 3( italienischen Gesellen die Reise
von Wien nach Prag an, und schon im Jahre (538 war
der Bau bis zum Dachgesimse fertig. Zur Durchführung
der Steinmetz- und Bildhauerarbeiten in den Arkaden,
auf der Gallerie und bei der Fenstereinfassung wurde vom
*> Irrthümlich wird Pietro Ferrabosco als der Erbauer
des Lnsthauses bezeichnet.
 
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