Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

DOI Heft:
Nummer 11
DOI Artikel:
Thomas, Bertha: Die Londoner Ausstellungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0192

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

DIZ

von sssi Oelgemälden und einer ziemlich gleichen
Anzahl Aquarelle und Zeichnungen von nach Anno
1850 verstorbenen britischen Künstlern, also aus einer
Periode, die von Turner und David Tox bis zu
Burne Jones und Millais reicht. Das Ergebniß
ist natürlich auch nicht annähernd ein Gesammteindruck
des britischen Kunstschaffens vom letzten halben Jahr-
hundert. Und selbst als Bruchstück des Ganzen ge-
nommen, läßt die Auswahl viel zu wünschen. Als
lobenswerth ist hierbei jedoch immerhin anzuerkennen,
daß man offenbar bestrebt war, nur die Bedeutung
der Künstler in Betracht zu ziehen, ohne danach zu
fragen, ob sie bei der Akademie in Gunst gestanden
haben oder nicht, wir sahen eine der seltener! groben
von Gelmalerei des als Bildhauer bekannten Alfred
Stevens, einen in italienischer Manier gemalten
prächtigen Porträtkopf von stark ausgeprägter Indi-
vidualität. Ford Mador Browns „Josephs
Bruder mit seinem Rock vor Isaak"" und „Lhaucer
am bsofe Eduards III." interessiren in hohem Grade
als Belege für dieses Künstlers engste Gemeinschaft
mit den präraffaelischen Bestrebungen, wenn diese
Bilder nicht der Vergessenheit anheimfallen, so wird
dies mehr ihrer kunsthistorischen Bedeutung, als ihren
malerischen Vorzügen zu danken sein. Die Wirkung
ist bei den beiden Kompositionen abgeschwächt durch
Ungleichheiten des Entwurfs, und die Ausführung ist
nicht kraftvoll genug, um für den Mangel an Schön-
heit entschädigen zu können. In der ganzen Aus-
stellung ist Keiner durch mehr Werke vertreten, als
Alfred chunt, obwohl er nie zu akademischen Aus-
zeichnungen gelangt ist. Die Folge hiervon war, daß
er wohl als Aquarellist beim großen Publikum ver-
diente Würdigung genossen hat, aber bei Lebzeiten
für seine Oelmalereien nicht die gleiche Anerkennung
finden konnte, wie sie ihm nach den hier vorgeführten
Landschaften wohl zugekommen wäre, weder in der
Wahl, noch der Auffassung seiner Motive macht sich
das geringste Sensationsbestreben fühlbar, und auch
mit der Farbe hat er nirgends über die ruhige har-
monische Stimmung hinaus gewollt, die den poetischen
Reiz seiner Schöpfungen bildet.
Es ist nicht zu leugnen, daß manche Werke, die
hier eine Statt fanden, dies nur der Pietät für ihre
Urheber verdanken. Doch Besuchern, deren Er-
innerung noch weit genug zurückreicht, mag auch die
Vorführung jener Erzeugnisse in gewissem Sinne
lehrreich sein. Lassen sie uns doch erkennen, welch
flüchtig Ding eine nur populäre Kunst ist. Es sind
zum Theil recht gut gemalte Bilder, von denen zu
ihrer Zeit aber viel zu viel Aufhebens gemacht wurde
und die nun erst, nach heutigen: Maaß gemessen, ihre
richtige, und zwar eine weit niedrigere Schätzung er-
fahren. Freilich wird der künstlerische Erfolg zu allen
Zeiten theilweise immer von der Mode abhängig sein.
Es fragt sich nur, ob das betreffende Werk (Qualitäten
besitzt, die außerhalb des Bereichs der Mode liegen
und dazu taugen, den wechsel der Moden zu über-
leben. Anders aber die einst vielbewunderten, jetzt
mißachteten englischen Landschaften von Linnel l, die
Kostümbilder von Talthrop; die nicht reizlosen,
doch etwas eintönigen landschaftlichen Studien Teci l
Lawsons; ferner eine Anzahl von anekdotischen
Genrebilder so mancher für dieses Fach typischen
Akademiker. Landseer, den herabzusetzen heut zu
Tage Mode geworden, indem uur von seinen Mängeln
gesprochen wird, behauptet seinen Ruhm hier mit dem
„LtuZ ut (Der gestellte ksirsch) trotz alledem.
Doch nicht in der Vorführung dieses oder noch jüngerer

Aunst-Halle -4— Nr. ff

berühmter Leute, wie Leighton, Millais, Burne
Jones oder Rossetti, die noch frisch im Gedächt-
niß des Publikums leben, gipfelt das Interesse,
welches durch die Veranstaltung geboten wird. Als
„Llowdes Unternehmens darf vielmehr die seltene
Gelegenheit erachtet werden, das Können George
Masons zu bewundern, dieses unstreitig größten
Malers der englischen Landschafts-Idylle, dessen nicht
allzu zahlreiche Werke jedoch sämmtlich in Privat-
besitz von Kunstliebhabern und daher der Besichtigung
viel zu wenig zugänglich sind. Der (872 verstorbene
Künstler hat auf seinem Lebensweg wohl Erfolg ge-
funden, ist indessen keineswegs seinem vollen Werth
nach geehrt worden. Und selbst jetzt noch sind seine
Bilder, so hoch sie von Kennern geschätzt werden,
dem großen Publikum nicht genügend bekannt. Ihr
Reiz ist unwandelbar, denn er beruht auf Vorzügen,
die nicht von der Veränderlichkeit der Geschmacks-
und Geistesrichtungen abhängen. Die gewöhnlich
mit Mason in eine Kategorie gestellten Schilderer auf
gleichem Sujet - Gebiet übertrifft er namentlich an
Originalität und würde, wie auch durch eine tiefere,
von jeder Sentimentalität freie Auffassung, eine nicht
auf das bloß pübsche gerichtete Behandlung der
Motive. Die Ausstellung weist neun seiner Scböpfungen
auf. Gb sie uns nach italienischen Gefilden versetzen,
wie das „pflügen in der Tampagna", oder in länd-
liche Gegenden Englands, wie „Die Beerensammler",
„Der Erntemorgen" und „Die Abend-bsymne", sie
sind überall der Ausdruck einer echten Stimmung,
durchweht von der Poesie des Landlebens und von
innerer Wahrheit zeugend. Man spürt eben die
Seele und die Pand des Genies. Vollkommeneres,
als sein Pinsel geschaffen, dürfte auf demselben Ge-
biet innerhalb des verflossenen halben Jahrhunderts
schwer zu finden sein. Der ihm geistesverwandte und
in der Stoffwahl nahestehende Frederick Walker,
dessen vielseitiges Schilderungsvermögen die An-
erkennung weiter Kreise fand, hat ihn auch nicht an-
nähernd erreicht an schlichter Größe des Entwurfes
und den: Erfassen des malerischen Grundzuges eines
Motivs, unter strenger Beobachtung der Koordination
des ob auch noch so reizvollen, doch immerhin un-
wesentlichen Details. Indessen läßt sich in Folge
Walkers frühzeitigen Todes billigerweise kein Ver-
gleich zwischen den Beiden hinsichtlich ihrer künstle-
rischen Entwickelung ziehen Drei Werke von
pinwell, einen: ebenfalls in der Jugend gestorbenen
Maler derselben Gattung heischen Beachtung wegen
einer seltenen Naturwahrheit und Vornehmheit. Er
hat verhältnißmäßig wenig hervorgebracht und dies
zumeist im Aquarell. Die probew seines Könnens,
die hier vorgeführt sind, zeugen von einer Frische
und gehaltenen Kraft des künstlerischen Ausdrucks,
wie es nicht Vielen gegeben ist.
Diese Ausstellung legt einmal wieder Zeugniß
ab für den stark ausgeprägten Individualismus in
der engliscben Kunst. Die Zeitgenossen einer be-
stimmten Periode, und sei dieselbe noch so knapp be-
messen, unter ein Schema zu bringen, ist nicht mög-
lich. Ein Jeder verfolgt nur den ihm von seiner
eigenen Natur vorgezeichneten weg — zum Lseile
oder zur Vernichtung, je nach seinen Fähigkeiten.
Inwiefern dies zu beklagen und ob es überhaupt zu
beklagen sein mag, darüber zu disputiren, überlasse
ich Anderen. Es ist einmal so und liegt vielleicht in:
britischen Nationalcharakter. Die Zeit wird daran
nichts ändern, noch bessern.
X
 
Annotationen