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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 20
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Dworaczek, Wilhelm: Wiener Kunstbrief
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Wirth, Robert: Kunstbrief aus Bad Elster
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0360
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Die Nun st-Halle

Nr. 20

3^

ähnlich jener wereschagins. Man muß ihnen aber nicht
allein der wirklich erschütternden Motive und der er-
greifenden Stimmungen, sondern auch ihres künstlerischen
werthes halber, den ein starkes Können und eine tiefe
Ehrlichkeit bestimmen, besondere Beachtung zollen.
Sochaczewski ist ein wahrheitsgetreuer Schilderet der er-
greifendsten und erschütterndsten Episoden ans jenem
menschlichen Martyrium, das mit dem Worte Sibirien um-
schrieben erscheint. Es ist aber besonders anzuerkennen,
daß sein Temperament, seine starke Subjektivität ihn nicht
verleiteten, brutal zu übertreiben, oder das Tatsächliche
durch Phantasie zu verschärfen. Seine Bilder machen den
Eindruck einer fast naiven Ehrlichkeit, und auch die künst-
lerischen Behelfe find mit größter Sparsamkeit und be-
scheidenster Zurückhaltung zur Wirkung herangezogen
Man hat das Gefühl, nirgends sei dem Maler das rein
Künstlerische um seiner selbst willen vor Augen geschwebt,
und wo er, wie vornehmlich im Landschaftlichen, bedeutendere
malerische (Qualitäten erweist, bedient er sich ihrer auch
nur, um dem geschilderten Vorgang einen stimmungs-
vollen Hintergrund zu verleihen. Dadurch gewinnen die
Schöpfungen des polnischen Künstlers etwas sehr Einheit-
liches und durch ihre Einfachheit doppelt Ergreifendes.
Das Größte der Gemälde heißt „Der Abschied der Ver-
bannten" und schildert die herzzerreißenden Szenen, welche
sich am Grenzstein von Sibirien absxielen. Dies war in
früherer Zeit die letzte Etappe, an welcher noch eine Be-
gnadigung erfolgen konnte, war dieselbe nicht eingetroffen,
so ging es hoffnungslos weiter in die Liswüste, — auf
Nimmerwiederkehr! Viele werfen sich mit lautem Jammer
zur Erde, Andere verharren in stumpfem, verzweiflungs-
vollem Brüten. Diese Szene hat der Künstler uns mit
großer Kraft und Eindringlichkeit veranschaulicht. Die
einzelnen Typen sind mit erschütternder Lebenswarheit
charakterisirt, und über dem ganzer: Bilde liegt ein künst-
lerischer Ernst und ein starkes menschliches Mitempfinden.
Sich selbst hat der Künstler gleichfalls auf dem Bilde an-
gebracht, wie er in dumpfem Gleichmuth vor dem Grenz-
stein steht und die unzähligen dort angebrachten Anschriften
studirt. Dieses mehrere Meter lange und etwa drei Meter
hohe Gemälde ist das bedeutendste der Sammlung. Daran
schließen sich noch mehrere größere Bilder und eine große
Anzahl von Studien und Skizzen. —
Andersartig ist die Kunst Z. V. Krämer's, von
dessen Arbeiten die „Sezession" eine sehr reichhaltige
Kollektivausstellung veranstaltete. An den zahlreichen
Arbeiten des jungen Künstlers überrascht neben seinem
erstaunlichen Fleiß seine Vielseitigkeit. Mit einer allen
Wandlungen gefügigen und geschmeidigen Technik begabt,
giebt es für Krämer fast keine Schwierigkeit. Es ist
staunenswerth, wie leicht und widerstandslos sich sein Pinsel
jeder Stimmung fügt, wie er in den verschiedenartigsten
Techniken zu Hause ist und alles dies scheinbar mit einer
spielenden Leichtigkeit bewältigt. Man kann in einer
Fülle von Landschaftsskizzen und Studien beobachten, wie
fein sich der Künstler allen Stimmungen hinzugeben weiß,
wie er die glühenden Farben des Südens ebenso auf seiner
Palette hat, als die vornehme Abgetöntheit der maurischen
Architektur oder den Zauber einer kleinen, mit melancholischer
Grazie hingeworfenen Abendstimmung. Zn den Land-
schaften, die das künstlerische Ergebnis weiter Reisen
bilden, hat der Künstler nach meinem Gefühl auch sein
Reinstes und Bestes geboten. Hier ist er, unterstützt von

der spielenden souveränen Kunst seiner Technik, Herr seiner
künstlerischen Absichten, die er rein und ohne Rest auf-
zulösen im Stande ist. Seine „Blühenden Gbstbäume", die
ich schon vor Zähren im Künstlerhaus gesehen zu haben
glaube, sind ebenso srisch, naturwahr, und. voll freudiger
Kraft in Ton und Kolorit, als seine Studien und Bilder
aus Tunis und Algier und seine Meeresskizzen, von be-
sonders flotter und charakteristischer Mache sind seine
Porträts marokkanischer, algerischer und tunesischer Studien-
köxfe, die mit prächtiger Raturwahrheit geschaut und vor-
trefflicher Zndividualisirung wiedergegeben sind. Auf diesem
Gebiet liegt nächst der Landschaft Krämers Bedeutung.
Die größeren Bilder, welche Komposition und starke bedeut-
same Bewegung erfordern, sind zum Thei! im Banne der
Konvention — der, sich voll zu entringen, die Begabung
des Künstlers zu sehr der großzügigen Persönlichkeit ent-
behrt —, zum Theil fehlt es ihnen an der eindringlichen
Kraft der Erfindung! Seine „Nuten clolorosu" z. B. ist
theatralisch, wie gestellte Modelle, an ein schauspielerisches
Gruppenbild eines passionssxieles gemahnend, seine Skizzen
zu kirchlichen Gemälden verrathen guten willen und
manchen glücklichen Zug, erreichen aber nirgends das Starke
persönliche und Eigenartige, das den so vielfach be-
handelten Vorwürfen neuen Reiz und neue Wirkungen
abzugewinnen vermöchte. Auch zwei Panneaux: „Frühlings-
stimmung" sind in der Komposition schal und unbedeutend,
ohne Poesie im Vorwurf, desto reizvoller und duftiger im
Kolorit und voll feiner Einzelheit im landschaftlichen
Hintergrund.
Tuyskbvief
aus Ustl Wskep.
m tt- Mai d. Z. wurde in dem bekannten Bade
Elster die Alb ertpark - Villa, ein sächsisches
staatliches Fremdenheim oder Logirhaus, der öffentlichen
Benutzung übergeben. Diese Thatsache ist insofern be-
merkenswert!^ als dieses Fremdenhaus das erste öffentliche
Gebäude im Königreich Sachsen darstellt, dessen Znnen-
ausstattung streng im sogen, neuzeitlich-deutschen Stile
durchgeführt ist. — Unser Plauener Mitarbeiter, Herr Rob.
Wirth, schreibt uns hierüber einige allgemeine Bemerkungen,
die wir hier wiedergeben wollen. Die Ausstattung, sagt er,
des von dem Geh. Baurath Waldow in Dresden ent-
worfenen Baus in diesem Stile bei der obersten Behörde
durchzusetzen, verursachte begreiflicherweise immerhin einige
Umstände, wenn schon der s802 verstorbene Philosoph
Zoh. Aug. Eberhard verlangte, daß die Schönheit eines
Werkes seinem Zwecke untergeordnet werden müsse, so
sehen wir diesen eben heutzutage bei der Herstellung des
Hausraths befolgten Grundsatz in dieser Villa durchgängig
festgehalten. Zedes benöthigte Geräth fügt sich vor allem
seinem Zweck, seiner Anwendbarkeit; kein Gebrauchsgeräth
hat dem Gewerbekünstl«-^ an erster Stelle Gelegentheit ge-
geben, seine aparten Kunstideen der erstaunten Welt vor-
zuführen. Nach dem in der schaffenden Natur durch-
dringenden Gestaltungsprinzip sagen ja auch wir Menschen
heute: Ze praktischer, desto vollkommener. Heute will man
kein aufgexutztes prunkendes Fabrikmöbel mehr für die gute
Stube, sondern ein ehrliches Möbelindividuum von Einfach-
 
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