Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

DOI Heft:
Nr. 13
DOI Artikel:
Die Frage der Ergänzung antiker Bildwerke
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0228
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Vr. is

Die Frage der
Ergänzung antiker Bildwerke.

— ie vom deutſchen Kaiſer vor einigen Jahren
2 angeregten Ergänzungen Berliner Antiken,

einer tanzenden Mänade, des edlen per-
gameniſchen Frauenkopfes und eines bronzenen Jüng-
lingstorſos archaiſchen Stils, haben die Frage der
Reſtaurirung antiker Werke neuerdings wieder
brennend gemacht. Trotz des ausgeſchriebenen Wett-
bewerbs, der beſonders bei der erſten Aufgabe eine
umfangreiche und anſehnliche Theilnahme gefunden,
war das Beſultat in allen drei Fällen doch keines-
wegs als ſo weit glücklich von der wiſſenſchaftlichen
Kritik bezeichnet worden, daß man den Arbeiten der
Sieger einen bleibenden praktiſchen Werth zugebilligt
hätte. Die betreffenden Skulpturen erſcheinen zwaͤr
ergänzt, aber man ſcheut ſich auch hier von defini-
tiven Wiederherſtellungen zu reden. Denn der Sinn
der Wiederherſtellung deckt ſich lediglich mit dem
Begriff einer richtigen Ergänzung. Falſche Er-
gänzungen aber kamen häufig vor und werden noch
ferner häufig geſchehen; ſie gehen zeitlich ſo weit zu-
rück, daß ſie uns beim Studium derartiger Verſuche
auf Schritt und Tritt begegnen.

Die Ergänzungen, die von den Archäologen ge-
wöhnlich als geglückte anerkannt werden, bilden in
der That eine verſchwindend kleine Zahl, ſo daß man
ihr gegenüber faſt von Ausnahmefällen reden möchte.
Und ſelbſt dieſe geringe Zahl hält im Laufe der
Seiten den wachſenden Ergebniſſen der archäologiſchen
Forſchung nicht ſtand. Selbſt die geſchickteſte, über-
zeugendſte Wiederherſtellung giebt nicht abſolute
Garantie für ewige Dauer.

Unſere Muſeen aber, die doch wiſſenſchaftliche


ſtitute ſein wollen, ſind noch heute wie ehedem voll
von „wiederhergeſtellten“ Antiken, an denen die Kunſt-
gelebrten längſt den Nachweis der falſchen Er-
gänzung erbracht haben. Daß dadurch fortdauernd
verkehrte Vorſtellungen über nicht wenige, ſogar be-
rühmte Antiken erweckt und verbreitet werden, be-
darf keiner weiteren Erklärung.

Aus obigen Bemerkungen geht aber eins deut-
lich hervor. Nämlich, daß bei derartigen Aufgaben
weder die Phantaſie, noch die auf Zcharfſinn und
Erfahrung beruhende Geſchicklichkeit des Künſtlers
den ausſchlaggebenden Faktor bildet, falls der Er-
gänzung wirklich die Bedeutung ſtrenger Wiſſenſchaft—⸗
lichkeit inne wohnen ſoll. Ohne die aufklärende Mit-
wirkung, die überzeugenden Vachweiſe des Archäo-
logen wird ſelbſt der ſchaͤrfſinnigſte und erfahrenſte
künſtleriſche Interpret allein nicht zum Siele gelangen.
Er wird in der Mehrzahl der Fälle höchſtens ein
brauchbares Proviſorium, einen nur vorübergehend
überzeugenden Zuſtand des ergänzten Werkes zu
liefern im Stande ſein. Jedenfalls wird das Beſte
zur Löſung ſolcher Reſtaurationen nur auf der Baſis
des Suſammenarbeitens des wiſſenſchaftlichen und des
künſtleriſchen Fachmanns oder wenigſtens einer künſtle-
riſchen Kraft möglich ſein, die in der Lage iſt, alles
für die ſchwierige Aufgabe erforderliche archäologiſche
Material ſich als wiſſenſchaftliches Rüſtzeug anzu-
eignen. — — — — *

Zur rechten Zeit hat kürzlich im Verein der
deutſchen Künſtler in Rom ein deutſcher Gelehrter,
Herr Dr. Amelung, einen Vortrag über das hier
eben behandelte Thema, begleitet von projektirten

Lichtbildern, gehalten. Wenn wir untenſtehend einen
Theil der Ausführungen des Bedners, nach dem
„Hamb. Korresp.“, wiedergeben, ſo geſchieht es des-
halb, weil wir darin unſere Meinung durch eine
Reihe geſchichtlicher Belege von Ergänzungsarbeiten
an Antiken illuſtrirt finden.

Vorige Jahrhunderte, ſo führte Dr. Amelung
u. a. aus, haben ſich damit begnügt, jedes irgend
brauchbare Fragment durch Ergänzung zu irgend
etwas zu machen, ohne ſich darum zu kümmern, ob


Muſeen voll von Figuren von abenteuerlichem Aus-
ſehen und oft unheimlicher Anatomie! Ein Beiſpiel
genüge. Im Vatikan in der Sale delle Statue
finden wir eine moderne Ergänzung der ſogenannten
trauernden Penelope. Aus ihr iſt ein Jüngling ge-
worden, der auf einem Felſen ſitzt. Amelung legt ein
Hochrelief vor mit der wahren Auffaſſung, wonach
ſie, den Kopf geſtützt, auf einem Seſſel ruht, den
Arbeitskorb unter demſelben.

Die Venus von Knidos im Vatikan leidet unter
zwei Uebelſtänden. Der ihr aufgeſetzte Kopf iſt frei-
lich antik, aber ein ſchwächliches Produkt, zudem ſitzt
er falſch. Und dann hat die Frömmigkeit ihr ein
ſcheußliches Blechgewand angelegt. Wird dieſes fort-
genommen und der Kopf in der richtigen Wendung
mit dem herrlichen im Beſitz des Herrn v. Kaufmann
in Berlin befindlichen getauſcht, ſo ſteht die Göttin
wieder vor uns, wie ſie einſt das Auge der Griechen
entzückte. Dieſe Schönheitslinien der Hals- und Kopf-
bewegung hat merkwürdiger Weiſe auch die Madonna
Aldobrandini Raffaels im Nationalmuſeum in London.
Der Torſo der ſchönen fliehenden Niobidentochter
wäre leicht zu ergänzen. Man brauche ihr nur den
in Florenz befindlichen Kopf aufzuſetzen. Wie unver-
ſtändlich ſolche Figuren eines Beliefs ſein können,
wenn ein Theil derſelben fehlt, zeigt Folgendes. In
Bovillae fand ſich die Hälfte eines ſolchen: Krieger,
in den Händen Waffenſtücke tragend Erſt durch
Ergänzung mit dem anderen Stück in Grotta Ferrata,
das einen todten Jüngling, von ſeinen Genoſſen ge-
tragen und von zwei Alten betrauert, darſtellt, können
wir aus einigen Anzeichen dentodten Meleagros nennen.

Für ſich allein könnten beſtehen ein großes Belief-
fragment im Lateran: eine Anzahl Römer im feierlichen
Zuge und ebenfalls ein anderes im Thermenmuſeum:
die Front eines Tempels mit der Rhea Silvia-Sage
als Mutter der römiſchen Swillinge. Die auf beiden
vorhandenen Säulentheile paſſen aber aneinander
und ſo haben wir einen Feſtzug von dem vom Kaifer
Hadrian erbauten Denus-⸗ und Boma-Tempel an der
Via Sacra. 2

Die Gedankenloſigkeit des Kopiſten zeigt ein altes
Belief. Wir kaben zwei ſtehende Figuren, die eine
niit den Attributen des Herakles, die theilnahmvoll
nach einem dritten, auf einem Felſen in lebhaftigſter
Bewegung Sitzenden, dem aber leider der Kopf fehlt,
blicken. Für den zweiten findet ſich in London eine
Beplik, die ihm einen tieftraurigen Ausdruck verleiht.
Dadurch wird das Bäthſel gelöſt; wir haben eine
Szene aus Herakles' Höllenfahrt, den Cerberus zu
holen, bei welcher Gelegenheit er den Thefeus und
deſſen Freund findet, die aus Strafe für ihr frevel-
haftes Vorhaben, die Proſerpina zu rauben, für
immer an einen Felſen Zebannt waren. Es gelingt
dem Heros, den aͤtheniſchen König zu befreien, der
nun im Begriff iſt, ihm zu folgen, aber tieftraurig
auf den Gefährten fieht, der zurückbleiben muß,
während die lebhafte Bewegung deſſelben zeigt, daß
auch er Hülfe erwartet. —
 
Annotationen