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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 14
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Ebe, Gustav: Sezessionistisches in der Architektur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0244
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Vr. 14

deshalb ein Urtheil über ihren größeren oder gerin-
geren Werth für die Sukunft gefällt werden ſoll.
Man wird auch keinen Vorrang der jetzt lebenden
Künſtler vor denen früherer Zeiten in Bezug auf
den Grad des ihnen zugemeſſenen Talents behaupten
wollen, vielmehr ſcheint es ſogar heute an Meiſtern
erſten Ranges auf dieſem Gebiete ganz zu fehlen. Diel-
leicht aus dieſem Grunde, vielleicht auch, weil wir
erſt am Anfange der neuen Bewegung ſtehen, darf
von den Leiſtungen derſelben nicht gleich das Höchſte
gefordert werden. In der That laufen auch neben
den beſſeren ein gutes Theil unzulänglicher oder
ſogar ſpaßhaft wirkender Erfindungen mit unter.
Die Malerei hat im Laufe des vorigen Jahr-
hunderts die zahlreichſten Umwälzungen an Inhalt
und Form erlebt; ſie hat ſich vom Klaſſizismus zur
Romantik gewendet, hat ſich dann zum Bealismus
durchgearbeitet, um endlich im Impreſſionismus und
Symbolismus ein vorläufiges Siel zu finden. Die
skulptur hat an dem Stilwechſel theilgenommen,
wenn auch in etwas gemäßigterer Weiſe, indem ſie
von der Nachahmung der griechiſchen Antike eben-
falls zur Romantik und ſchließlich zum Barock gelangt
iſt; ſie hat jedoch in neueſter Zeit Bedeutendes in
der charakteriſtiſch vertieften Wiedergabe nationalen
Heldenthums geleiſtet, wie es ſich in den Herrſchern,
den Heerführern und Staatsmännern, in den
Männern der Wiſſenſchaft, aber auch in denen der
phyſiſchen Arbeit verkörpert. Am ſprödeſten hat ſich
die Architektur gegen jede Veuerung verhalten,
welche ihr bisheriges Grundprinzip, die reine oder
eklektiſche Wiederholung der Typen aller möglichen
hiſtoriſchen Stilformen, antaſten wollte. Es ſcheint,
als ob die Unbeweglichkeit und Erdenſchwere ihrer
Gebilde hemmend auf den freien Aufflug der bilden-
den Phantaſie eingewirkt hätten. Naturgemäß iſt
die Macht der Ueberlieferung in der Architektur
größer, als in den anderen Zweigen der bildenden
Uunſt, da Fortſchritte in den Baumbildungen und
Uonſtruktionen doch nur in geſetzmäßiger Folge auf
Grund des früher Erworbenen denkbar ſind.


die heute als Vorbilder dienenden Architekturtypen
ausbildeten, ſind die Antike mit Einſchluß der Be-
naiſſance und das Aittelalter. Obgleich wir nun
ſeit Langem den hohen Werth des Vaterländiſchen
in der mittelalterlichen Kunſtüberlieferung erkannt
haben, fühlen wir uns durch tauſend Beziehungen
mit der Antike verflochten. Wir können auch keines-
wegs vergeſſen, daß wir im klaſſiſchen Alterthum die
Wurzel unſerer gehemmten Geiſteskultur zu ſuchen
haben, aber dennoch drängt die unaufhaltſam fort-
ſchreitende moderne Entwickelung auf die Noth-
wendigkeit hin, einen freien, über alle Eraditionen,
alſo auch über die der Antike, erhabenen Stand-
puͤnkt zu erlangen. was macht Shaͤkeſpeare zum
größten Dichter der Neuzeit, als ſeine, der äußeren

Form wie dem innerſten tiefen Sinne nach, ent-
ſchiedene Loslöſung von der Antike? Was giebt
den holländiſchen Malern der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, einem Bembrandt und Ruysdael,
ihr neues Ideal, als die Unabhängigkeit von den
Feſſeln irgend einer hiſtoriſchen Ueberlieferung? Da-
gegen ſtoßen wir auf ſittlichem Gebiete im Leben
einiger Geiſtesheroen vom Ende des 18. und dem
Anfang des 19. Jahrhunderts, bei Winckelmann,
Mengs, Thorwaldſen und Anderen, welche von
Goethe als „antikiſche“ Naturen gefeiert werden,
auf einen undeutſchen Zug, der auf den ſchädigenden
Einfluß der Antike zurückzuführen iſt: es fehlt dieſen
Männern die Schätzung des Weibes als Gattin und
Mutter, ſie wollen in den ihnen nahe ſtehenden
Frauen nur die Freundin, die Hetäre im beſten
griechiſchen Sinne finden.

Die griechiſche Plaſtik, die den Obengenannten
als höchſte Offenbarung der Schönheit gegolten
und auch heute noch großen Ureiſen als ſolche gilt,
bringt zwar die ideale Auffaſſung der Körperformen
zur größtmöslichen Vollendung, gebietet über den
Ausdruck ewig höherer, göttlicher Würde, idylliſchen
Behagens, ſowie tiefſter Tragik; aber die neueren
Nachahmungen ibrer Typen reichen doch bei Weitem
nicht aus, um den hehren Geſtaltenkreis der Bibel,
die chriſtlichen Tugenden und ebenſo wenig, um die
von den ſozialen Aufgaben der Neuzeit bedingten
Menſchentypen zur charakteriſtiſchen Erſcheinung zu
bringen. Gleichfalls verſagt der „antikiſche“ Stil in
der Wiedergabe der modernen Perſönlichkeiten, die
wir nicht mehr in die Masken römiſcher Kaiſer oder
griechiſcher Götter traveſtirt wiſſen wollen, wie es
noch in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts her-
kömmlich war. Zur Beſtätigung braucht man nur
an die Goethebüſten Trippels und Kauchs zu
denken: die eine giebt den Dichter als Apollo, die
andere als Zeus wieder, die Charakteriſtik des
deutſchen Mannes iſt ganz verwiſcht.

wenn es der neuen Bichtung gelänge, die
Nachfolge der Antike in der bildenden Kunſt, na-
mentlich auch in der Architektur, abzuſchütteln, ſo
wäre das mit Freude zu begrüßen. Es iſt nicht ſo-
wohl der gewaltige Geiſt der Antike, den die
Moderne bekämpft, ſondern es iſt der Schutt des
nachahmenden todten Formelweſens, den ſie fortge-
räumt haben möchte, um den eigenen Weg frei zu
bekommen. Wie lange hat man ſich mit den Sorde-
rungen des Ariſtoteles für das Drama, den drei
Einheiten und der Keinigung der Ceidenſchaften, die
der Endzweck der Tragödie ſein ſollte, fruchtlos ab-
gequält, um ſie endlich als nutzlos für das moderne
Drama bei Seite zu laſſen! Noch nicht überwunden,
obgleich ebenſo nutzlos, iſt die einſeitige, übertriebene
Begeiſterung für den griechiſchen Säulentempel, der,
aus der Urform der Hütte erwachſen, als abſolutes
Ideal organiſcher Bauweiſe angeſehen werden ſoll.
 
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