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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 14
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Ebe, Gustav: Sezessionistisches in der Architektur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0245

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Vr. 14


vielleicht begünſtigt die in neuerer Zeit in die Wege
geleitete Schulreform, welche den lateinloſen Schulen
eine größere Kompetenz als früher einräumt, die
wirkſamere Ausbildung der Geiſter im modernen
Sinne? Ungeachtet alles gewohnheitsmäßigen Träg-
heitsmoments muß es doch gelingen, unſerem Jahr-
hundert zur Ausprägung ſeines eigenen Charakter-
bildes, namentlich wie es ſich in den Werken der
bildenden Kunſt darſtellt, zu verhelfen. Wäre es
nicht möglich, dieſe Aufgabe zu löſen, ſo wäre dies
gleichbedeutend mit dem Aufhören des Kunſtſchaffens
überhaupt.

Gehen wir näher auf die Grundbedingungen
ein, aus denen unſer ganzes modernes Bauweſen
erwachſen iſt, ſo finden wir als ſolche: einmal die
Uebereinanderlagerung gleichwerthiger Räume in
mehreren Geſchoſſen, dann die Umſchließung des
Bauwerks durch feſte Wände, welche in der Begel
nur durch Eingangs- und Lichtöffnungen durch-
brochen werden. Zur Erlediguug der an die Außen-
geſtaltung moderner Bauten zu ſtellenden Forderungen
bietet jedoch die Antike nur eine ſehr beſchränkte
Auswahl von Uunſtmitteln. Das griechiſche Bau-
ſyſtem ſchloß prinzipiell die Anlage mehrerer Stock-
werke übereinander aus, außerdem verſteckte ſich die
Wand hinter offenen Säulenhallen, in ganzer Aus-
dehnung, wie am Peripteraltempel, oder zum Theil,
wie am Antentempel und einer Anzahl öffentlicher
Profanbauten; die Gliederung der Wand beſchränkte
ſich in allen Fällen auf das Vorhandenſein eines
Sockel- und oberen Abſchlußgeſimſes. Die römiſche
Architektur, welche öfter von dem Stockwerksbau
Gebrauch machte, behalf ſich in einfacher Weiſe, in-
dem ſie Säulen- oder Pilaſterordnungen, ſelbſt in
den oberen Geſchoſſen mit Stylobaten verſehen, alſo
ganz unorganiſch, an den Mauern übereinanderſtellte.
Ein Fortſchritt in der Wandgliederung ergab ſich bei
den Bömern nur inſofern, als die fortlaufende Ar-
kadenſtellung zwiſchen vorgeſetzten Säulen oder
Pilaſtern eingeführt wurde.

Die italieniſche Renaiſſance bietet in den Syſtemen
der Faſſadengliederung wenig neue Erfindungen, ſie
wiederholt im Weſentlichen die im alten Rom aus-
geprägten Typen mit verhältnißmäßig geringer An-
paſſung an die neuzeitlichen Bedingungen. Das
Erdgeſchoß wurde in der Begel, und meiſt im Wider-
ſpruch zu ſeiner den Obergeſchoſſen gleichartigen
inneren zwecklichen Beſtimmung, als Zockel behandelt,
ähnlich dem Unterbau der altrömiſchen Tempel, dar-
über erhoben ſich in den Obergeſchoſſen die nach
den verſchiedenen Grdnungen mit Rückſicht auf das
Leichterwerden nach oben abgeſtuften Pilaſterſtellungen,
wenn man es nicht vorzog, die Faſſadenwand ganz
oder zum Theil hinter eine offene Säulenhalle zu
verlegen, welche zwar ebenfalls auf einem hohen,
feſten Sockel ſtand, aber ſonſt die griechiſche Tempel-
halle nachahmte. Es war dies der höchſte von der

Benaiſſance zu erreichende Bauluxus, der aber doch
meiſt nur eine paradirende Maske war, zum Schaden
der Nutzbarkeit des Innera, wie beiſpielsweiſe an
der berühmten Perraultſchen Louprefaſſade in Paris.
Für die Prachteingänge diente meiſt der römiſche
Triumphbogen als Vorbild. Indeß mußte die regel-
mäßige Wiederkehr der genannten Motive auf die
Länge ermüdend wirken, und konnte auch keineswegs
der im modernen Sinne geforderten Einzelcharakteriſtik
der verſchiedenen Gebäudeklaſſen förderlich ſein. In
der That zeigen auch die öffentlichen Profangebäude
der Renaiſſance annähernd denſelben Haupttypus;
und ſelbſt der Palaſt und das dieſem nachſtrebende
beſſere ſtädtiſche Wohnhaus entbehren vielfach des
Ausdrucks einer ausgeſprochenen Individualität.
Aus dem Vorigen heraus verſteht man erſt
ganz die innere Berechtigung und den Werth der
nordiſchen, ſpeziell der Deutſchrenaiſſance für unſere
vaterländiſche bauliche Entwickelung indem man ſich
klar macht, wieviel ſchematiſches Formelweſen von
ihr beſiegt werden mußte, damit eine unſeren
Berhältniſſen entſprechende Heimathkunſt entſtehen
konnte. Allerdings giebt es auch in Deutſchland zu-
nächſt eine ſtark italieniſirende Auffaſſung der Re-
naiſſance, welche die Faſſaden mit den üblichen
Pilaſterſtellungen und Gebälken im rein dekorativen
Sinne überſpinnt und die Fenſteröffnungen gleichfalls
mit Pilaſtern oder architravirten Rahmen umſäumt,
für die Portale den römiſchen Triumphbogen nach-
bildet und den oberen Abſchluß der Faſſaden durch
ein ſtark vorſpringendes Bekrönungsgeſims in hori-
zontaler Linie bewirkt, ſo daß das flache Dach wenig
oder gar nicht zur Erſcheinung kommt. An den
Bauten dieſer Stilperiode ſind die mit Luſt und Ver-
ſchwendung übertragenen Zierformen der italieniſchen
Renaiſſance das Anziehendſte. — Aber dieſe erſte
Begeiſterung für antikiſche Art weicht bald dem
wiedererwachenden Einfluſſe des heimiſchen mittel-
alterlichen Formenkreiſes, welcher ſeine Beſtandtheile
nun in friſcher Weiſe mit den Entlehnungen aus
der Antike miſcht. Man entledigt ſich des Schein-
weſens der Pilaſterſtellungen und Gebälke, dagegen
kommen Fronterker und Altane, ſteile Dächer mit
ausgebildeten Aufbauten, entſprechende ſteile Giebel
und wirkſam gegliederte Thurmanlagen wieder zu
ihrem Bechte und verleihen der Geſammterſcheinung
den der deutſchen Empfindungsweiſe ſo überaus zu-
ſagenden maleriſchen Charakter. In demſelben Sinne
wirkt die Maſſengruppirung als eine Erbſchaft aus
dem Mittelalter fort. Ein Beiſpiel maleriſcher Bau-
anlage von nicht gewöhnlichem Beiz bildet die Ecke
des Rathhauſes in Görlitz, welche ſich aus der Zu-
ſammenſtellung der Freitreppe, der Säule mit der
Figur der Juſtitia und der vorgekragten Altane er-
giebt. — Die Mittel zur Gliederung der Außen,
wände, welche die echt deutſche Form der Renaiſſance
mit Vorliebe anwendet, ſind die Betonung der Ge-
 
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