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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 18
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Rücklin, R.: Stufen der Ornamentik, [1]
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Heilmeyer, Alexander: Die Münchener Kunstausstellungen 1902, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0317

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S


dagegen faſt nie eine maleriſch freie, individuelle
Behandlung. Die Abſicht des griechiſchen Ornament-
künſtlers ging nicht darauf aus, ein Bild der harm-
loſen Pflanzenſchönheit, ſondern ein verallgemeinertes,
abgezogenes Symbol ihrer Wuchskraft zu geben.
Eine Auffaſſung, die von unſerer heutigen ſo weit
als möglich entfernt iſt.

vergleichen wir damit das Bild der gothiſchen
Pflanzenornamentik. Wie anders wirkt dies Heichen
auf mich ein! In voller Stärke kommt hier das
nord iſche Naturgefühl mit ſeinem intimen Verſtändniß
für den beſcheidenen Sauber der Pflanze zum Aus-
druck. So bedienen ſich die Künſtler vorwiegend
einer maleriſchen Linienführung bezw. Grnament-
darſtellung, dem der ſpekulative Sinn der Zeit einen
erheblichen Beſtandtheil geometriſcher Elemente bei-
mengt. Daher wirkt die gothiſche Pflanzenornamentik
gerade der beſten Seit mehr naiv und liebenswürdig,
als geſchloſſen und impoſant. Die Empfindung,
welche die blühende Vegetation auf einen maleriſch
veranlagten Sinn hervorruft, hat die Ornamentkunſt.
dieſer Zeit oft mit großer Meiſterſchaft wiederzugeben
gewußt. Gleichmäßig überzieht ſie mit ihrem Pflanzen-
dekor die Flächen, ohne eine ſtärkere tektoniſche Aus-
bildung zu verſuchen. Ihrer ganzen künſtleriſchen
Sinnesart entſprechend, hat ſie mit Vorliebe das
Schwanke, Zierliche, Schwingende im Pflanzenorganis-
mus ornamental verwerthet und auch deſſen kom-
plizirtere Formen, das Strauchwerk, den Baum unbe-
fangen in ihrer ſchlichten Handſchrift wiedergegeben.
Die gothiſche Pflanzenornamentik berührt ſich an vielen
Punkten mit unſerer modernen.

Weit entfernt davon iſt wiederum die dekorative
Pflanzendarſtellung der Benaiſſance. Sie iſt eine
ornamentale im ſtrengſten Sinne des Wortes, von
der Geſammtkompoſition bis zur geringſten Einzelheit
von dem Streben nach Linienſchönheit beherrſcht.
Ein Streben nach einem beſtimmten, einſeitigen
Stimmungsausdruck iſt im Allgemeinen nicht zu be-
merken. Da iſt Alles im Gleichgewicht, gleichweit
von geometriſcher Strenge wie von maleriſcher Frei-
heit entfernt. Das Körperliche, das Plaſtiſche an
der Pflanze wird betont, ihre individuelle Beſonder-
heit ſehr wenig berückſichtigt. Ganz wie in der an-
tiken Kunſt iſt der Ausdruck der Vaturfreude im
Pflanzenornament ein ſehr abgeſchwächter, dagegen
iſt die Naivetät und die ſchlichte Strenge des klaſſiſchen
Vorbildes nicht erreicht, auch nicht gewollt. So iſt
wenigſtens die Pflanzenornamentik der Renaiſſance in
ihrem italieniſchen Sweige, alſo in ihrer reinſten Aus-
bildung. Im Norden, in Deutſchland, kommt doch
die Vaturfreude und ein temperamentvoller Stim-
mungsgehalt zum Ausdruck und im Zuſammenhang
damit eine gewiſſe maleriſche, dekorativ-freie Unter-
ſtrömung in der Darſtellung zur Geltung.

In ſeiner hohen formalen Durchbildung hat
das GOrnament der Kenaiſſance eminent erzieheriſch

für uns gewirkt. Unſerem künſtleriſchen Empfinden


Von beſonderem Intereſſe iſt es, die japaniſche
GOrnamentik von unſerm Geſichtspunkt aus zu be-
trachten. Iſt uns doch von dieſer Kunſtäußerung
reichſte Anregung zugekommen, als unſer Empfinden
danach rang, ſeinen eigenen Ausdruck zu finden. —
Japans Grnamentik iſt vielfach ſtreng geometriſch:
Mäander, Rofetten, Kreiſe kommen ſehr viel vor.
Die Pflanze aber wird ſtets in liebevoller Ausſchließ-
lichkeit maleriſch dargeſtellt. Aber nicht naturaliſtiſch;
das hieße den japaniſchen Künſtler mißverſtehen, der
mit erſtaunlicher Feinfühligkeit aus der Fülle der
Vegetation die maleriſchen Einzelheiten dekorativ aus-
zuziehen und darzuſtellen weiß. Es iſt, wenn ich
mich ſo ausdrücken darf, eine beſchauliche, eine
idylliſche Ornamentik. Um unſerm Kunſtwollen ganz
zu entſprechen, dazu iſt ſie zu ſpielend, zu zierlich, zu
leicht. Sie vermeidet es durchaus, eine ſtatiſche
Funktion auszudrücken. Innerhalb dieſer ſelbſtge-
zogenen Grenzen aber iſt das japaniſche Pflanzen-
ornament kaum zu übertreffen; es vermag uns vor
Allem zu lehren, wie frei in der Linie ein ſolches
ſein kann, und wie ſehr eine künſtleriſch feinfühlige
Vereinfachung ſeinen Stimmungsgehalt zu heben
vermag.

(Ein zweiter Artikel folgt.)

Die Münchener
Kunſtausſtellungen I002.

Von A. Heilmever, München.

*

ie beiden großen Sommerausſtellungen haben

wieder eröffnet: die Künſtlergenoſſen-

ſchaftiim Glaspalaſte und die Sezeſſion
am Königsplatz. Beide ſind auch von auswärtigen
Künſtlern ſtark beſchickt. Nach wie vor fließen hier,
wie in einem natürlichen Sammelbecken, auch heuer
wieder die verſchiedenſten Strömungen zuſammen.
Wir gewinnen da fürs erſte den Eindruck von gehalt-
vollen Ausſtellungen; beſonders iſt dies bei der
Sezeſſion der Fall. Tüchtiges Können zeigt hier jede
Arbeit, keine ſteht unter einem relativ hohen künſtleri-
ſchen Niveau, wenn auch keine Einzelleiſtung ſich auf-
fallend darüber erhebt. Das Geſammtbild der Aus-
ſtellung iſt ein viel ruhigeres geworden; die einzelnen
Werke ſind reifer und abgeklärter. Die Wände
wirken nicht mehr wie mit bunten Affichen bedeckt.
Es iſt dies nicht als eine Folge rein äußerlicher Um-.
ſtände, wie etwa der Ausſtattung der Säle und eines
geſchickten Arrangements der Bilder anzuſehen, ſondern
als eine natürliche Erſcheinung einer beginnenden
Abklärung und fortſchreitenden Entwicklung. Die
Sezeſſionen haben nicht die Aufgabe, „Modekunſt“
zu machen, ſondern an der Weiterbildung der künſtleri-
ſchen Probleme zu arbeiten. Daß ſich die geſammte
 
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