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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 20
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Strassburg. i. E. Der neue Reinhardtsbrunnen
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— 20


Wärme in mildem Glanze aus. Wohl ſcheint der
kKünſtler zuerſt von der Darſtellung des Aktes aus-
gegangen zu ſein und es iſt als ob er durch die
Einzelerſcheinung angeregt wurde, die Natur in ihrer
ganzen Fülle zu umfaſſen. Die Landſchaft erſcheint
uns ſo als die natürliche Fortſetzung und Umgebung.
Es iſt aber eine eigene Welt für ſich, die der Künſtler
aus ſeiner Vorſtellung heraus geſchaffen hat. Wie
arm und dürftig an Anregungen iſt dagegen ein,
wenn auch meiſterhaft gezeichneter und nach der
Natur gemalter Akt wie Hernandéz Bild „Müßig!“

%.
Strassburg i. E.
der neue Reinhardtsbrunnen,

n Vr. 18 d. Ihgs. brachte die „Kunſt-Halle“ die
folgende Notiz: Auf dem Broglieplatze vor dem
Stadttheater wurde kürzlich ein von Prof. Hilde-

brand ausgeführter Monumentalbrunnen enthüllt. Er
giebt als Mittelpunkt die Figur des Bheins in einer von
früher abweichender Auffaſſung.

Es ſcheint nun, daß dieſe Ungewöhnlichkeit der Auf-
faſſung des genialen Münchener Meiſters ſehr wenig den
Beifall der hieſigen Kreiſe findet. Wenigſtens giebt ein
Artikel der „Straßb. Ztg.“ von einem Einſender, der ſelbſt
dem Werke Ad. Hildebrands hohe Anerkennung zu Theil
werden läßt, jener abſprechenden Haltung der Majorität
und den Gründen, die hierbei in Betracht kommen, un-
zweideutigen Ausdruck.

Die Straßburger haben, ſo führt der Autor aus, ihrem
neuen Mitbürger, dem „Vater Rhein“, als erſte Begrüßung
ein ziemliches Kopfſchütteln entgegengebracht. Man vermag
ſich in das Werk nicht ſogleich hineinzufinden, man iſt be-
fremdet, und aus dem Befremden wird Mißbehagen. Ich
theile daſſelbe nicht, ich empfinde vorherrſchend das Gegen-
theil davon; aber ich begreife, daß es da iſt. Ein Uunſt-
werk, das ſofort gefällt, kann eben nur eines ſein, das auf
gewohnten Bahnen ſich bewegt, das eine dem Publikum
geläufige Sprache redet. Das Keich der Schönheit iſt aber
unendlich, es giebt immer Neues darin zu entdecken. Ich
gebe mich nun keineswegs der Illuſion hin, als könnte ich
durch mein Wort, und gar das matte geſchriebene, ein
vorhandenes Mißfallen in ein poſitives Wohlgefallen um-
ſtimmen, welches zu erzeugen allein Sache des Kunſtwerkes
ſelbſt iſt. Wohl aber möchte ich den Verſuch wagen, ge-
wiſſe vorgefaßte Meinungen, die dem Verſtändniß im Wege
ſtehen, daraufhin zu betrachten, ob ſie für ſich wirklich eine
unbedingte Geltung beanſpruchen können.

Was iſt es denn, was mißfällt? Gffenbar nicht die
Geſtaltung des Brunnens im Ganzen. Dieſe iſt ſo ſach-
gemäß, ſo klar, ſo abſichtslos ſcheinbar und doch ſo tief
durchdacht, ſo reine Kunſt und ſo wenig Künſtelei, daß ſie
als etwas Selbſtverſtändliches hingenommen wird. Ein
ſolches nicht zum Ausdruck, kaum zum Bewußtſein kommendes
Lob iſt im Grunde das Höchſte, das ein Künſtler ſich wünſchen
kann. Die Einwendungen beginnen erſt bei der Figur,
die im Mittelpunkt ſteht. Vun ſucht ja die Mehrzahl der
Menſchen ein Kunftwerf nicht aus ſich ſelbſt zu verſtehen,
ſondern erwartet, daß der Name deſſelben ihnen die Pforte
zum Verſtändniß öffne. Das ſoll der „vater Khein“

ſein? Sonſt dachte man ihn ſich immer erhaben und ideal,
d. h. als einen mäßig umfriſirten antiken Flußgott. Und
nun dieſer da! Dieſer ungeſchickte Rüpel! Gffenbar iſt
für den Ideengang des Künſtlers ſelbſt der Name nicht
das Erſte, ſondern das Letzte geweſen Gegeben war ihm:
das Waſſer, der Brunnen. Hieran knüpfte ſeine Einbil-
dungskraft an, ganz frei geſtalteud, nnabhängig von aller
antiken Mythologie; ſehr erkennbar dagegen an Vorſtellungen
des deutſchen Volksmärchens anknüpfend, eine Art von
Rübezahl, nur modifizirt als Waſſermann. Ich meine, ge-
rade den Straßburgern, die ſich nichts Beſſeres wiſſen, als
einen lieben langen Sommertag am Flußufer im Schilf
und Rohr zu ſitzen und den Fiſchen nachzuſtellen, ſollte
dieſer Charakter im Grunde ein ſehr vertrauter ſein.
Jedenfalls iſt er wahrer, als jene Vater Bhein-Figuren,
die nichts anderes ſind als Tiber oder Nil unter falſchem
Vamen.

Sodann hat ſich der Künſtler einer anderen, ebenfalls
ungewohnten Freiheit bedient. Was uns von großer Plaſtik
geläufig iſt, iſt entweder ſeinem Urſprunge nach Kultbild,
wie alle antike oder mittelalterliche und unmittelbar auch
die Renaiſſanceplaſtik, wenigſtens die ſpätere; oder es iſt,
wie die Denkmalſtatuen auf öffentlichem Platz, einem Helden,
einem Fürſten gewidmet; in beiden Fällen nothwendig von
gebundener, mehr oder minder feierlicher Haltung. Die
unſerem Hildebrand gegebene Aufgabe iſt von ſolcher Ge-
bundenheit frei. Er hat recht gethan, dieſe Freiheit zu
benützen. Allerdings müßte er uns überzeugen, daß er ſie
nicht nur kühn, ſondern auch künſtleriſch wahr und fruchtbar
benutzt hat. Ob ihm das gelingen wird, darüber kann
nicht der erſte Anblick entſcheiden.

Ein drittes Hinderniß für ſchnelle Befreundung liegt
in ſpeziellen Straßburger Verhältniſſen. Darin, daß die
Mehrzahl der Straßburger ihre künſtleriſche Kultur von
Frankreich empfangen hat. Unfranzöſiſch, und zwar im
höchſten Grade, iſt nun Hildebrands Werk allerdings. Es
athmet durchaus künſtleriſche Dornehmheit, aber es hat
nichts von jener ſpezifiſchen Eleganz, die ein franzöſiſch
Gebildeter nicht miſſen will. Unverkennbar iſt Hildebrand
nicht umſonſt der Zeitgenoſſe Böcklins. Daß, wer von der
franzöſiſchen Kunſt herkommt, von den ſieben Siegeln der
Böcklinſchen Kunſt höchſtens eines oder zwei zu loͤſen vermag,
ſteht erfahrungsmäßig feſt. Hier ſtehen ſich zwei Kulturen
gegenüber.

Schon tiefer liegt und mehr ins Allgemeine geht das
Bedenken, ob es der Plaſtik erlaubt ſei, eine humoriſtiſche
Auffaſſung — denn das offenbar iſt die hier gegebene —
in ſo großem, monumentalem Maaßſtabe vorzutragen?
Irre ich nicht, ſo geht ein großer Theil der oft ſehr wunder-
lich formulirten kritiſchen Aeußerungen der letzten Tage
auf dieſen Punkt zurück. Ich glaube indeß nicht, daß es
ein Kunſtgeſetz giebt, das hier ein für alle Mal eine be-
ſtimmte Grenze zieht. Im vorliegenden Fall iſt das Ko-
loſſale ſogar ein integrirender Beſtandtheil des zu ſchildernden
Charakters. Denn obgleich mit komiſchen Zügen reichlich
ausgeſtattet, ſoll dieſer doch keineswegs nur ein komiſcher
ſein; es iſt ein Rieſe, den wir vor uns ſehen, ein Ele-
mentargeiſt, ein Halbgott, wenn auch niederer Art, der
unter Umſtänden auch ganz andere Saiten aufziehen könnte,
als in dieſem gutgelaunten Augenblick. Von der humo-
riſtiſchen Seite aus iſt nicht nur der Kopf, ſonder natürlich
auch die ganze Körperbildung und die Art der Bewegung
zu verſtehen. Ein Mann von guter Erziehung, einer, der
 
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