Die Kunst-Halle — 7.1901/1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0264
DOI issue:
Nr. 15
DOI article:Dworaczek, Wilhelm: XIV. Ausstellung der Wiener "Sezession"
DOI article:V. Ausstellung der Berliner "Sezession"
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durchbebt iſt, darzuſtellen. Geradezu prachtvoll in
der Wirkung und voll tiefer Beziehungen im Ge-
danken iſt ein mächtiger Adler in ſchwarzem Marmor
gemeißelt, der zu den Füßen des Gewaltigen, noch
flatternd mit den Flügeln, mit den bronzenen mäch-
tigen Klauen an dem Selfen ſich ankrallt, als ob er
eben hingeflogen wäre und faſt erſchrocken aufblickte
— verwundert, hier an dem einſamen Horſt noch
einen Größeren, Gewaltigeren thronen zu finden.
So verſinnlicht ſich im erſten Anblick der allegoriſche
Grundgedanke, der voll moderner und einfacher und
zugleich ergreifender Schönheit iſt. Wenn man aber
iänger hinblickt und ſich in die einſame, weltentrückte
Groͤße der dargeſtellten Figur hineinträumt, dann
tritt auch der Begriff des großen Leidens, des großen
Schmerzes der Einſamkeit immer mehr hervor, und
dann ahnt man, daß der Künſtler vielleicht in der
erhabenen Einſamkeit des großen Gewaltigen, dem
der Adler zu Füßen flattert, auch in gedankentiefer
Doppelbeziehung an den Prometheus gedacht haben
mag. Bieſes Bändigen und Gebändigtſein, das
machtvolle Doppelloos des großen Weltbeherrſchers,
des Lichtbringers des großen göttlichen Gedankens,
der ſelbſt an den Felſen des Leidens geſchmiedet er-
ſcheint, und an deſſen Seele der Weltſchmerz nagt,
in Beethovens künſtleriſchem und menſchlichem Loos
wahrhaft ins Leben getreten. Und ſo hat ihn
Klinger erfaßt — ſo hat er das Düſterſte nehen das
Heitere geſtelit — die Siegerfreuden des Genius mit
den Teiden des Schöpfenden, die ewige Schönheit,
die heiteren Erlöſungen der Kunſt und die ewigen
Qualen des nach dem Welträthſel grübelnden
Menſchengeiſtes zu einer mächtigen und im Grunde
wundervoll harmoniſchen Geſammtſchöpfung ver-
einigt, etwa wie auch in der Kunſt Beethovens, das
gewaltig Ringende, das gigantiſch Suchende niemals
die Graͤndioſität einer erhabenen Harmonie zerſtört.
Die „Sezeſſion“ hat ſich anerkennenswerthe Mühe
gegeben, dieſe Ausſtellung zu einer einzigen großen
Hoation für das große Werk Klingers zu geſtalten.
Der Baum der Ausſtellung iſt eigens zu dieſem Sweck
adaptirt und in drei Bäume eingetheilt worden, —
den Hauptraum, deſſen Mitte das Klingerſche Werk
einnimmt, und zwei Seitenräume rechts und links,
welche wie Gallerien zu dem Hauptraume erſcheinen,
und von welchen man durch eine durchbrochene
Baluſtrade in Verbindung mit dem Hauptraume ſteht.
So kaͤnn das wundervolle Werk auch aus der Ent-
fernung und von allen Seiten betrachtet werden, und
der ganze Ausſtellungsraum gewinnt das Ausſehen
eines Tempels, deſſen Mittelpunkt der Beethoven
Ulingers bildet. Die Decke, ſowie die Wände des
Hauptraumes und der beiden Seitenſchiffe ſind von
den Mitgliedern der „Sezeſſion“ mit eigens ge-
ſchaffenen Kunſtwerken bemalt und auzgeſchmückt
worden, deren Kunſtwerth zum Theil ihr kurzes pro-
viſoriſches Daſein aufrichtig bedauern läßt. Freilich
ſind nicht alle dieſe aus der Abſicht einer vornehmen
künſtleriſchen Ovation entſtandenen Schöpfungen von
gleichem Werthe, und einige nehmen ſich in der ge-
fährlichen Nähe eines ſo erkabenen und abgeklärten
Uunſtwerkes, wie die Klingerſche Schöpfung, recht
wunderlich aus, etwa wie allerhand Hexenſpuk in
einer Walpurgisnacht, der den Goethe der Tonkunſt
umgaukelt. So hat Klimt's üppige Phantaſie in
Seiſenſaal ſchmücken, wieder recht wunderliche Blüthen
getrieben. Man wird immer von Veuem an dieſem
Fochbegabten Künſtler irre. Je mehr die Größten
der modernen Malerei dem allgemeinen Verſtändniß
näherrücken, deſto bizarrere und unnatürlichere Ver-
renkungen leiſtet ſich die Muſe Klimts. Es hat faſt
den Anſchein, als ſähe ſie ihren Beruf darin, durch
Groteske und Exzentrizität aufzufallen — die richtige
Variétékunſt der modernen Malerei! Gäbe es für
die bildenden Künſte eine Ueberbrettlbewegung, dann
wäre Klimt der geeignete Mann, in die Fußſtapfen
des Herrn v. Wolzogen zu treten. Eine Beihe Mit-
glieder der „Sezeſſion“, die wir hier nicht einzeln
nennen wollen, würden ſich zu einem trefflichen En-
ſemble der plaſtiſchen und maleriſchen Brettlkunſt
vereinen laſſen. Es iſt ſchade, daß ſo viel großes
und echtes Können durch die Zucht, aufzufallen und
um jeden Preis hervorzuſtechen, in ſeiner organiſchen
und künſtleriſchen Entwicklung gehemmt und ver-
bildet wird.
Freilich ſind auch eine Beihe von künſtleriſchen
Schöpfungen vorhanden, die als ernſt und würdig
in der Gefolgſchaſt des großen Hauptwerkes der
Ausſtellung ſich zeigen dürfen. So ſind zwei
Brunnenniſchen mit plaſtiſchen Figuren aus blauem
Stampfbeton von Tukſch voll Geſchmack und ro-
mantiſcher Kühle, auch die Wandſchmuckfelder „Der
werdende Tag“ von Adolf Böhm und „Die ſinkende
Nacht“ von Alfred Boller ſind fein und vornehm
in Farbe und Materialanwendung, während Ferdinand
Andris Lehnſtühle mit Pfeilerendigungen aus
Lindenholz ſich gerade in dieſem Raume, den groß-
zügige Kunſt beherrſcht, recht abſonderlich ausnehmen.
Friedrich König, Joſef Hoffmann, Elena Tukſch Ma-
kowsky, Ferd. Andri (zwei markige Lindenholzreliefs),
Felician v. Moyrbach, Schimkowitz und Jettmar
haben zum Theil intereſſante und techniſch originelle
Arbeiten als Wandſchmuck beigeſtellt, auf die ich mir
leider aus Raummangel ein näheres Eingehen ver-
ſagen muß. So iſt der Geſammteindruck dieſer Aus-
ſtellung ein künſtleriſch vornehmer und weihevoller
— den auch einige Abſonderlichkeiten, wie etwa die
weniger geſchmackvolle als unbequeme Neuerung —
die Katalogziffern durch Initialhieroglyphen zu erſetzen
— ſowie eine zum Theil recht ſeltſame Ausſchmückung
des Katalogs — nicht weſentlich zu beeinträchtigen
vermögen.
Es wäre nur auch innig zu wünſchen, daß die
große Schöpfung Alingers, der man in Wien eine
fo würdevolle Aufnahme bereitete, der Stadt, in der
Beethoven lebte und wandelte, auch dauernd erhalten
bliebe. Dies wäre für den Genius Beethopens und
das Klingerſche Meiſterwerk die nachhaltigſte und
würdigſte Ovation!
—
%
V, Ausstellung der Berliner
„Sezg;_s_ion“.
*
ie V. Ausſtellung der hieſigen „Sezeſſion“ wurde
ſchon am 26. April eröffnet und ihr Geſammt-
bild iſt, dank dem ſtarken Aufgebot draußen,
das ſich die etwas reduzirte Berliner Vereinigung mit ihren
92 außerordentlichen Mitgliedern geſtatten konnte, zum
mindeſten nicht ſchlechter als in den Vorjahren. Anregung
Zahl der mit kühner Phantaſie und friſcher Empfindung