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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 6
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Beyer, Johann: Dötlingen und der Maler Georg Müller vom Siel
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Hood, Fred: Mehr Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0103

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vollen Schöpfungen, die ihre Wirkung auf empfäng-
liche Gemüther nie verfehlen. Müller vom Siel iſt
zur Zeit noch wenig bekannt; er verſchmäht es,
Reklame zu machen, dazu iſt er zu beſcheiden. Umſo
mehr verdient er Beachtung. Wer ſeine Gemälde
kennt, iſt des Lobes und der Bewunderung voll.
Prof. Dr. Bräutigam nennt Müller einen Entdecker
eines Neulandes für die Kunſt und widmete ihm in
der „Deutſchen Heimath“ einen eingehenden warmen
Artikel. Arthur Fitger rühmt ihn — bei Gelegenheit
der letzten Bremer Kunſtausſtellung — als die
ſympathiſchſte Erſcheinung unter den ausſtellenden
Künſtlern. Mögen ihn zu fernerem fröhlichen Kunſt-
ſchaffen die Worte ſeines Landsmannes, des Malers
und Dichters, begeiſtern:

„Und wie ich zum Werke ſchreite,

Jauchz' ich laut aus voller Bruſt:

© geweihte, benedeite,

Ueberſeel'ge Künſtlerluſt“.

P
Mehr Farbe.

Von Fred Hood.
Nachdruck verboten.)

(A. Sitger).

Ud. heute ein Café oder ein Bierhaus der

jüngſten Berliner Baukunſt betritt, dem
muß es unbedingt auffallen, in welch üppiger, ver-
ſchwenderiſcher Weiſe man von der weißen Farbe
Gebrauch macht. Bieſige Wandfelder, weite Gewölbe
ſind glattweiß getüncht. Dieſes Weiß iſt eine große

Idee — wirkt ſehr angenehm, ſehr dezent, ſehr
modern und — koſtet nichts. Die neue Schilling-
Konditorei — weiße Gewölbe, das romaniſche Café

— weiße Gewölbe; jedes Beſtauxant, das ganz vor-
nehm fein will, ſtrahlt in unſchuldreinem Weis.
Böchſtens verſteigt man ſich noch zu ein Paar Gold-
linien.

wenn ich nach „mehr Farbe“ ſchreie, ſo meine
ich natürlich nicht, daß man noch mehr weiße Farbe
über die Wände und Decken ausgießen ſoll; dem
deren haben wir gerade genug. Ich denke mich in
die Seele eines kalentvollen jungen Malers hinein,
welcher ſich der praktiſchen Kunſt zugewendet hat,
nachdem er die „hohe Kunſt“ als ziemlich brotloſe
Kunſt erkannt hat. Wozu hat man nur all die
jungen Künſtler für das moderne Kunſtgewerbe mobil
gemacht, wenn man ihnen nichts zu thun giebt?

Dieſe Flächen ſchreien ja ordentlich nach farbiger
Behandlung. Gder iſt es etwa vernünftig, ein Kreuz-
gewölbe in glattes Weiß zu kleiden, ſo daß weder
die Wölbung noch die Grate zur Geltung fommen ?
Der Erfte, der auf die Idee kam, ein großes weißes
Wandfeld mit einer breiten Goldlinie einzufaſſen,
kann vielleicht die Ehre für ſich in Anſpruch nehmen,
Griginalität bekundet zu haben — obwohl dieſe auch
nichk weit her iſt. Der Zweite aber, der ihm das
Aunſtſtück nachmachte, das war ein — rechter Eſel.

wir fallen von einem Extrem ins andere. Vor
einigen, Jahren noch konnte man in Berlin gar nicht
genug Farbe verpantſchen. Ganze Facaden hat man

von oben bis unten wie Jahrmarktsbuden mit
Bildern bemalt; ich erinnere nur an das „Spaten-
bräu“ und „Tucher“, und ſelbſt noch das ſonſt ſo
gefällige deutſche Haus der Weltausſtellung hat man
in ähnlicher Weiſe beſchmiert. Eine Pariſerin fragte
mich, ob die deutſchen Dekorationsmaler wirklich ſo
geſchmacklos ſeien. „Vein“, antwortete ich, „nur
einige“. Und warum hat man dieſe gerade nach Paris
geſchickt? „Vermuthlich, weil man ſie zu Haus am
leichteſten entbehren konnte.“ —

vor einigen Jahren noch wurden in den Eneipen
alle Flächen mit koloſſalen Frieſen bemalt. Alle Ge-
müſe der Sentral-Markthalle ſchüttete man über die
Flächen aus. Dazwiſchen ſah man feuchtfröhliche
Trinkſzenen: Studenten, welche den Schoppen ſchwingen,
Schützenliesl und den unermeidlichen Kater. — Es
war ſehr gemüthvoll. Voch ſchöner aber waren die
klotzigen Diſtelranken im Tucherlbräu, welche einige
Quadratkilometer Wandfläche bedeckten. Wo hatten
die Leute nur all die grüne Farbe herd Die Folgen
dieſer grenzenloſen Farbenverſchwendung ſind denn


jetzt offenbar ſo knapp und ſo theuer geworden, daß
man die Kaffeehäuſer und Kneipen nur noch weiß
tünchen kann. Vornehm nennt man dasd Nein, ich
laſſe mir nichts weiß machen. Das iſt die geiſtige
Impotenz in höchſter Potenz. Jede große Epoche
der Baukunſt hat den Malern reichlich Beſchäftigung
gegeben; die Vornehmen beſchäftigten die erſten
Künftler mit der Ausführung großartiger Fresko-
gemälde oder farbenreicher Grnamente — man be-
fſchäftigte das Auge und die Phantaſie.

Aber ich will garnicht einmal die hervorragendſten
Beiſpiele monumentaler Kunſt anführen. Halten wir
uns an das Naheliegende. Wenn Jemand früher
aus der Provinz nach Berlin kam, ſo fragte man
ihn: „Du, biſt Du ſchon im Café Bauer gewefen ?
enr 20 da LaCHh MM - Hın .03 ſteh Dir die
ſchönen Wandgemälde an.“ Jetzt iſt es ganz anders
geworden. „Du, wir müſſen nach dem VCafẽé
— S M u —
höchſt vornehm! — Denke Dir: — Alles weiß.“

Hier haben wir ein Beiſpiel, mit wie wenis
witz die Welt regiert wird. Wenn man ſehr kühn
iſt, kann man immer dem Spießbürger imponiren —
ſogar mit einem Kübel weißer Leimfarbe. — „Groß-
artig — alles weiß.“ Iſt das nicht gerade ſo, als
wenn uns Jemand ſagt: „Höret mal, Leute, heute
war ein ſehr reicher Herr bei mir — der Uerl hat
nie was in der Taſche.“

warum laſſen ſich das die Dekorationsmaler
gefallen? Das iſt ja der reine Boykott. Warum
revoltiren ſie nicht? denn das iſt nicht nur eine Kunft-,
fondern vor allen Dingen eine Brotfrage. Wenn
das ſo fortgeht, ſo muß ich ſagen: Dieſe neue Rich-
tung iſt ſchon mehr Hinrichtung.


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