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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 23
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Heilmeyer, Alexander: Die Münchener Kunstausstellungen 1902, [4]
DOI Artikel:
Imhof, Franz: Grosse Berliner Kunstausstellung 1902, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0412

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Yit, 23

Tradition einen ſicheren Maßſtab für die Entwicklung
der Moderne geben. Da iſt vor Allem Wenglein
zu nennen, deſſen eigentliche Domäne die Darſtellung
der oberbayeriſchen Hochebene und vor Allem das
Flußgebiet der Iſar iſt. Gleich der alten holländiſchen
Malerei wurzelt auch ſeine Kunſt im heimathlichen
Boden. Er kennt den Lauf der Iſar mit ihren
mannigfachen Terrainbildungen; er kennt ferner das
Moor und die Landſchaft der Vorberge; wie kaum
ein zweiter weiß er auch die beſondere Beſchaffenheit
der Atmoſphäre, wie ſie über der Ebene lagert,
darzuſtellen. Der räumliche Aufbau in ſeinen Bildern
iſt mit großem Herſtändniß des landſchaftlichen
Charakters durchgeführt; die Farbgebung iſt naͤtürlich
und harmoniſch.

Neben Wenglein ragt Ludwig Willroider auf.
Nach der Sintfluth“ hat er ein großes Bild betitelt.
Der räumlichen Ausdehnung nach könnte es ein
Gegenſtück zu Prells Titanenkampf ſein. Und wie
jenes Werk auf eine vergangene Epoche hinweiſt,
jo läßt auch Willroiders Schöpfung auf eine gewiſſe
Tradition ſchließen. Der große Sug in der Tinien-
führung der Kompoſition, ſorbie das Pathos der
Schilderung gemahnen an Bottmann. Boch unver-
kennbar iſt auch dieſem Werke ein moderner Zug
eigen — es iſt in erſter Linie Stimmungsbild. In
einem beſtimmten Raume würde es auf ıms ſo an-
regend wirken, wie eine ruhige, feierliche Muſik.

S

Grosse
Berliner Runstausstellung looꝛ.

IL plaſtik.

äumlich hat die Plaſtik-Abtheilung der dies-

maligen Ausſtellung eine erhebliche Erweiterung

erfahren, mit der ſie wohl zufrieden ſein darf.
Iſt doch der Skulpturenſaal im Luxembourg zu Paris nicht
annähernd ſo groß, wie allein der hinzugekommene letzte
Saal (9) der früher den Illuſtratoren zugewieſen wurde.
Inhaltlich kann dieſe Sammlung freilich kein auſchauliches
Bild des heutigen plaſtiſchen Schaffens geben, da man vor-
weg weiß, daß die hervorragenden Kräfte ſich von gewöhn-
lichen Ausſtellungen in der Kegel fernhalten. Dennoch
kann man ſich ſchon bei flüchtiger Betrachtung der Samm-
lung bezw. des Katalogs davon überzeugen, daß dieſes
Mal eine Anzahl reſpektabler Künſtler vertreten iſt. Be-
ſonders unſere heimiſchen Talente, die jüngern naturgemäß
ungleich mehr als die älteren, frequentiren noch immer die
gut beſuchten Bäume des Moabiter Glaspalaſtes; fehlt es
doch ſonſt in Berlin an genügenden Ausſtellungsmöglich-
keiten für unverkaufte Bildwerke. Das Hünſtlerhaus hat
ſich in die Bolle gefunden überhaupt nicht mitzuzählen.
Aber wenn auch gegen die äußerliche Theilnahme für die
„Große Berliner“ in dieſem Jahre nichts einzuwenden
wäre, gegen das Viveau der bildneriſchen Leiſtungen iſt
leider zu bemerken, daß man nicht Urſache hat, ent-
zückt zu ſein. Das gilt im Allgemeinen auch für die aus-
wärtige Betheiligung, der wir die Gegenwart nicht weniger
namhafter Vertreter verdanken. Unter dieſen möchte ich
einſtweilen nur W. von Ruemann, den inzwiſchen mit
der großen „Goldenen“ gekrönten Münchener Meiſter, den

Breslauer Chriſtian Behrens, den Leipziger Karl Seffner,
den Wiener K. Kundmann, die Brüſſeler Dillens und
Lagae und den Turiner P. Canonica hervorheben. Der
letzterwähnte hat ſich mit 5 ſeiner Arbeiten entſchieden in
den Mittelpunkt der ganzen Plaſtik⸗Abtheilung geſtellt,
ſodaß die kleine „Goldene“, die er neulich empfing, wohl
nur als eine Art Abſchlagszahlung für die Zukunft anzu-
ſehen iſt. Hat doch nahezu die ganze Preſſe die Arbeiten
Canonicas ſogar für den „clou“ des diesmaligen Berliner
Salons erklärt. x

Die „Kunſt-Halle“ kann es ſich als Verdienſt anrechnen,
daß ſie vor einigen Jahren, in einem Aufſatz von Hellen
Zimmern über Pietro Canonica, dieſen bei uns bis
dahin völlig unbekannten, feinfühligen, vornehmen Plaſtiker
zum erſten Male dem deutſchen Publikum vorführte —
daß ſie den italieniſchen Meiſter dadurch reizte, ſich grade
in Berlin mit mehreren ſeiner vollendet ſubtilen, geiſtvollen
und charakteriſtiſchen Marmorplaſtiken zu zeigen. Es giebt
kaum einen zweiten Bildner, der mit gleich intenſiver
Neigung zum Quattrocento, dem er z. B. auch die Idee
des feingeſchmückten Büſtenſockels entlehnt, eine ſo ſelbſt-
ſtändige, vergeiſtigte und naturfriſche, alſo echt moderne
Auffaſſung verbindet. Wundervoll wirkt das kindliche
Seelenleben in einem zierlichen Köpfchen und in den beiden
frommen kleinen „Hommunikanten“, der weibliche Typus
in den Büſten einer älteren Dame und eines jungen
Weibes, wobei das beredte Spiel zarter Hände ebenſo
ſehr feſſelt wie der maleriſch-plaſtiſche Formenreiz auch
durch den gelblichen Ton des Materials. Ergreifend iſt
ein Chriſtuskopf von energiſcher Durchbildung der tiefbe-
ſeelten Züge.

Sonſt vermag das Ausland nichts Bemerkenswerthes
aufzuweiſen, mit Ausnahme etwa eines Gips-Porträts des
Brüſſelers Lagae, des jovial lächelnden bärtigen Kopfes
des Herrn Lequinne, der durch den Zauber frappanter
Natürlichkeit unwiderſtehlich wirkt. Mehr wie eine aka-
demiſche Leiſtung wirkt dagegen ein auf den Kücken ge-
ſtürzter verwundeter Cajus Gracchus von Marino Raffaeli-
Paris. Ein dunkelgefärbter Wachskopf mit vogelartig-
weiblichen, hageren Zügen, betitelt „Der Krieg“ von Bingel
d'Illzach, ein ziemlich ſchwächliches Marmorrelief mit der
vom Wolken-Jupiter umhüllten Semele von Madeleine
Joupray und einige kleine Bronzereproduktionen bekannter
Frömietſcher Schöpfungen ſind ungefähr Alles, was von
Paris geſchickt wurde. R. Kißlings Gipsabguß des Kopfes
von der Altdorfer Tellſtatue vermag die Schöpfung des
Schweizer Künſtlers ebenſowenig zu veranſchaulichen, trotz
der dabei befindlichen Photographie, wie dieſe Grabfigur
X. Kundmanns die anerkannte Bedeutung des Wiener
Meiſters.

Von deutſchen Bildhauern außerhalb Berlins rühren
die beiden beſten lebensgroßen Frauenakte der Ausſtellung
her: Profeſſor von Ruemanns ſitzendes Mädchen und
Profeſſor KX. Seffners Ceipzig) zögernd ſchreitende „Eva“.
Hier die mütterliche Reife der Formen, dort die noch an
Hals und Aacken zurückgebliebene Magerkeit halbkindlicher
Unreife. Weniger des Lobes werth finde ich die Münchener
Waderé und G. Buſch hier vertreten, wenn auch des
letzteren „Derlorener Sohn“ als ausdrucksvolle Studie eines
zuſammengebrochenen Jünglings nicht überſehen zu werden
verdient. Aus Dresden erwähne ich: P. Pöppelmann mit
einer verſilberten Bronzebüſte „Marion“, G. Moerlins
liebliche, im Baſen gelagerte Mädchenfigur und H. E.
 
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