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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 14
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Pariser Kunstbrief. Die Gemälde Chérets im Hôtel de Ville
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Zur Frage der Preisausschreiben
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0249

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Lr. 14


ſeine Lichtgeſtalten auch ſcheinbar befreit von körperlichen
Feſſeln durch den roſigen Luftraum dahinſchweben, ſo ver-
leugnen ſie doch nie die Geſetze der Anatomie, alle ſeine
Geſtalten ſind wohl proportionirt.

Man hat Choret beauftragt, einen Saal des Hötel de
ville mit Gemälden zu ſchmücken. „Die Freuden des
Lebens“ iſt der gemeinſame Titel dieſer Serie von Ge-
mälden, und Cheéret glaubte dieſe Freuden nicht ſym-
boliſch zeichnen zu müſſen. Er hat ſeine Geſtalten der
Wirklichkeit entlehnt. In einem deutſchen Rathhauſe, wo
ſo viel Ernſt und ſo viel Würde iſt, wären dieſe luſtigen
Gemälde undenkbar. Aber in Paris ſind ſie am rechten
Platze. Der Canz, die Muſik, die Blumen und die Spiele
bilden die vier Motive, die er mit wunderbarer Ereiheit.
und ſouveräner Beherrſchung der Formen und Farben be-
handelt „Der Tanz“ iſt durch ſchwebende, lächelnde
Ballerinen perſoniftzirt; er verleiht ihnen eine Grazie,
welche alle phyſiſchen Geſetze ſiegreich überwunden zu haben
ſcheint. Eine an Verzückung grenzende Freude ſtrahlt
aus den Zügen der auf lichten Wolken dahinſchwebenden
Tänzerinnen, deren Geſtalten doch wieder ſo ganz dem
Leben abgelauſcht, ſo ganz natürlich erſcheinen, und die
ſich in unabſenbaren Reigen im Aether verlieren. Im
Vordergrunde aber haben wir eine mit leichten Schleiern
und Blumen geſchmückte Tänzerin, welche ganz Pa-
riſerin iſt.

Glückſelige Freude belebt auch die ſingenden und
ſpielenden, in weichem Khythmus ſich wiegenden Weſen,
welche die Muſik verkörpern. Chéret hat ſeine Geſtalten
nicht nach weiblichen Modellen geſchaffen; er erklärt, daß
ihm dies unmöglich geweſen ſein würde, da dann das
Geſuchte, das Gekünſtelte der Stellungen unvermeidlich
geweſen wäre. Er hat frei geſchaffen, nur der Difion
folgend; doch dieſe Difion hat er zuvor aus der Natur
ſelbſt geſchöpft.

„Die Blumen“ und „die Spiele“ ſind durch reizende
Kindergeſtalten dargeſtellt. Da, wo Andere uns die Kind-
heit durch kleine nackte Amoretten mit oder ohne Flügel,
mit oder ohne Uöcher, perſonifiziren, wagt Chöret, die
roſigen Geſchöpfchen in ihren modernen Aleidchen, mit
ihren Pariſer Lärvchen ohne jede allegoriſche Poſe zu
malen. Er ſtellt ſie ſo dar, wie ſie ſind, in der Freude
ihrer kindlichen Spiele, mit lachenden und glänzenden
Augen, und trifft wunderbar ihre naiven Stellungen, ihre
drolligen Geſten, ihre unbeholfene Anmuth, die zarte
Fleiſchfarbe. Das ſind keine Phantaſiegeſtalten, es ſind
Weſen von Fleiſch und Blut, ſchwebend, übereinander pur-
zelnd, lachend und ſchreiend, in jedem Falle aber — glück-
lich. Das ſind „die Freuden des Lebens“ in kindlichſter
und urſprünglichſter Form.

Cheret iſt ganz ein Maler ſeiner Zeit, und kaum ein
Anderer hat ſo wie er verſtanden, mit dem Reiz mo-
derner Toiletten, dem Glänzen und Jriſiren ſchöner
Stoffe zu rechnen. Er weiß dieſe Keize naturgetreu
wiederzugeben, ſo daß ſeine Gemälde dereinſt, wie die-
jenigen Watteaus, ein Dokument der Moden und Ge-
ſchmacksrichtung unſerer Zeit ſein werden. Cheret ſieht
Alles mit ſeinen Augen, er will nichts Disharmoniſches,
nichts Abſtoßendes ſehen; ſeine Kunſt iſt eine verherr-
lichung des Schönen.

——

Zur Frage der Preisausschreiben.

n Leipzig hat der unlängſt ſtattgehabte 12. Dele-

girtentag des Perbandes deutſcher Kunſt-

gewerbe-Vereine auch zur Frage der
kunſtgewerblichen Preisausſchreiben Stellung genommen.
Ein früher gewählter Ausſchuß hatte die Aufgabe, die
Normen für das Preisgericht aufzuſtellen. Ueber dieſe
Normen, nach welchen das Verfahren bei öffentlichen
kunſtgewerblichen Uonkurrenzen künftig zu regeln wäre,
berieth die Leipziger Verſammlung unter Leitung des
Prof. von Thierſch-München. Es galt hierbei, den bei
einzelnen Wettbewerben vorkommenden bedenklichen Aus-
ſchreitungen nach Möglichkeit entgegenzutreten und die
Betheiligten gegebenen Falles vor Ausbeutung und Miß-
bräuchen zu ſchützen. Der Delegirtentag entſchied ſich nach
längeren Diskuſſionen für die Abfaſſung des folgenden
Entwurfes:

Kunſtgewerbliche Preisausſchreiben können erlaſſen
werden ſowohl zur Erlangung von Entwürfen (Zeichnungen
und Modellen), als auch von fertigen Gegenſtänden. Das
Preisausſchreiben ſoll Folgendes enthalten: a. Zweck des
zu entwerfenden oder des fertigen Gegenſtandes; b. das
Material und die Technik der Ausführung; c. Höhe der
Ausführungskoſten mit der beſtimmten Erklärung, ob auf
die Einhaltung der Koſtenſumme ein Hauptgewicht gelegt
wird; d. Anzahl und Maßſtab der einzureichenden Ar-
beiten; e. Anzahl und Höhe der Preiſe; f. Beſtimmung
über das Eigenthumsrecht der preisgekrönten Entwürfe;
g. Ablieferungstermin der Arbeiten; h. Nennung der
Preisrichter mit der Angabe, daß dieſelben das Programm
gebilligt haben; i. Beſtimmung, ob die Entwürfe mit dem
VNamen des Derfaſſers oder anonym mit Motto oder
Zeichen einzureichen ſind, Mittheilung, ob und wo eine
Ausſtellung ſtattfindet; k. Angabe des öffentlichen Blattes,
in welchem das Ergebniß des Preisausſchreibens, ſowie
Zeit und Ort der Ausſtellung bekannt gegeben werden
ſoll. Die Durchſchnittshöhe des niedrigſten Preiſes darf
nicht unter das Honorar treten, welches bei direktem
Auftrage einem anerkannten ünſtler zugeſtanden wird.
Weitere Auszeichnungen können noch in Form von Me-
daillen, Diplomen, öffentlichen Belobungen, Empfehlungen
zum Ankauf und Aufnahme der Konkurrenzarbeit in die
engere Wahl erfolgen. Die Summe der ausgeſetzten Preiſe
muß ungeſchmälert zur Dertheilung gelangen. Der erſte
Preis iſt unter allen Umſtänden feſtzuhalten Für eine
vom Programm abweichende Vertheilung der übrigen
Preiſe bedarf es des einſtimmigen Beſchluſſes der Preis-
richter. Die Ausſchließung eines Gegenſtandes von der
Preisbewerbung darf nur ſtattfinden: a in Folge nicht
rechtzeitiger Einlieferung, b. in Folge weſentlicher Ab-
weichung von den Bedingungen des Preisausſchreibens.
Die Anzahl der Preisrichter muß eine ungerade ſein.
Ihnen ſollen Sachverſtändige des beſonderen Faches an-
gehören, welchem der Gegenſtand der Konkurrenz an-
gehört.

Die Annahme des Preisrichteramtes bedingt Derzicht-
leiſtung auf jede unmittelbare oder mittelbare Preis-
bewerbung, desgleichen darf ein Preisrichter die für das
bezügliche Preisausſchreiben beſtimmten Arbeiten in keiner
Weiſe beeinfluſſen.

Die eingelieferten Arbeiten ſollen in der Begel nach
 
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