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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 4
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Ruhemann, Alfred: Von belgischer Kunst
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Semper, Hans: Die Plastik auf d. Intern. Kunstausstellung in München, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0066

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Yrl

Niemand eine Thräne nach. In Töwen und Courtrai
gab es auch halbamtliche Salons, in denen die lokale
Talentloſigkeit die Sendungen der wirklichen Künſtler
durch ihr Dornengeſtrüpp ſtark in den Hintergrund
drängte. In Brüſſel hat der „Labeur“ ſeine Aus-
ſtellung im Muſeum und damit die Beihe der end-
loſen Kunſtgenüſſe des Winters eröffnet. Der „Labeur“
hat wenigſtens diesmal einem friſchen Trunke ge-
glichen. Die Jüngſten ſind in einem ſichtbaren Fort-
ſchritte begriffen. Viele taſten noch nach Natur und
Wahrheit, Einige ſind noch grotesk, wo ſie ernſt ge-
nommen ſein wollen, immerhin iſt im Binge des
„Labeur“ Der und Jener ſeit dem Vorjahre zum
Künftler geworden. Ich ſignaliſire Namen wie
Martin Melſen, Jakob Madol der Jüngere, Jules
Merckaert, Auguſte Oleffe, auf welchen ich ſchon im
Frühjahr hinwies, Louis Cambier. Von Bildhauern
wieder Baudrenghien, Herbavs, der ſich jetzt endlich
von Lambeaux freimacht, und Grandmoulin, zweiter
Rompreis 1900. Alfred Delaunois aus Löwen ſtellt
auch noch aus alter Anhänglichkeit bei den Jünpſten
aus, einige Landſchaften aus ſeinem Zyklus „Im
Mönchslande“. In dieſem begabteſten Schüler
Meuniers erwartet Belgien einen neuen Meiſter der
Zukunft. Delaunois bat ſeit einigen Jahren nicht
nur nicht enttäuſcht, ſondern iſt in ſeiner ſo ganz
eigenartigen, grübleriſchen Malweiſe von beſonderer
Sammlung und Poeſie regelmäßig vorgeſchritten.
Man wird von ihm noch Vieles zu ſagen haben.

In den Ateliers der einzelnen Meiſter kann man
noch nicht viel Neues ſehen, viele ſind noch ge-
ſchloſſen; Mancher will erſt in den Ausſtellungen
zeigen, was er den Sommer über geſchaffen hat. Für
Deutſchland werden einige intereſſante Uollektionen
vorbereitet. Ich nenne Lucien Frank, einen der har-


in der Kleinmalerei, der noch den warmen, feinen
Hauch ſeiner Pariſer Studienzeit ſich gerettet hat.
Ich nenne ferner den vielgewandten Aquarelliſten
Edouard Elle, deſſen reizende Arbeiten bereits bei
uns Eingang gefunden haben. Ich nenne Georges
Bernier, für deſſen Talent als Thiermaler, in glück-
licher Uebereinſtimmung mit dem Landſchafter der
weiteren Perſpektiven und blendenden Flächen, wie
ſie nur Flandern kennt, ich von jeher eingenommen
war und der nun thatſächlich die Hoffnungen erfüllt
hat, die ich in ilm ſetzte. Bernier wird ſich in einer
wechſelvollen Beihe von Bildern den Deutſchen vor-
ſtellen. Auch Lambeaux, der vlämiſchſte aller bel-
giſchen Bildhauer, wird ſich endlich im Frühjahr mit
einer ganzen Anzahl Werke in Berlin einfinden und
ſo Gelegenheit geben, ſein großes Talent nach allen
Richtungen leuchten und kritiſiren zu laſſen. Die
bedeutendſten Stücke aus ſeinem Bieſenrelief „Die
menſchlichen Leidenſchaften“ werden dieſe Ausſtellung
unbedingt zu einem von den Glanzpunkten der dies-
maligen Berliner Kunſtſaiſon machen. Schließlich
tritt eine Kollektivausſtellung von vierzig erſten und
intereſſanten belgiſchen Malern und Bildhauern noch
in dieſem Herbſt eine Waͤnderfahrt durch Deutſch-
land an. ; *



*

Die Plastik
auf d. Intern. Runstausstellung in münchen.

Don Hans Semper.

4

— zahlreich ſind die Werke italieniſcher
Plaſtik, zumal der Mailänder Schule, auf der
Ausſtellung vertreten. Damit iſt ſchon eine allge-
meine Charakteriſtik der Mehrzahl dieſer Werke aͤn—
gedeutet, indem die mailändiſche Plaſtik ſich durch-
wegs durch eine gewiſſe Virtuoſität und Raffinirtheit
in der techniſchen Behandlung des Marmors und
beſonders in der täuſchenden, bis auf die zarteſte
Einzelheit ausgedehnten Wiedergabe der verſchieden-
artigen Gewandſtoffe nach ihrer Textur, ihrem Sier-
rath, Faltenwurf, Licht- und Schattenſpiel 2c. bemerk-
lich macht, wogegen ſie die menſchlichen Formen
vielfach mit einer mehr oberflächlichen Pikanterie
und äußerlichen Geſchmeidigkeit, ohne tiefere Be-
lebung, behandelt. Beſonders huldigt ſie dieſer
einſchmeichelnden Eleganz und ſalonmäßigen Mani-
rirtheit in der von ihr maſſenhaft erzeugten Markt-
waare, um deren tändelnde, oft läppiſche Stoffwahl
auch durch einen entſprechend einſchmeichelnden Vor-
trag den zahlreichen kaufluſtigen Liebhabern ſolcher
Dinge zu empfehlen. Bei ernſteren Vorwürfen wird
der Ausdruck tieferer Empfindung häufig durch ein
etwas zu ſtark markirtes Mienenſpiel, ſowie pathe-
tiſche Bewegung angeſtrebt; nicht ſelten erſcheint in
ſolchen Fällen die menſchliche Geſtalt als völlig
machtloſer Spielball einer ſchrankenloſen Leidenſchaft,
ſei es des Schmerzes, der Verzweiflung oder des
Zornes. Auch das maleriſche Element wird häufig
auf Koſten des plaſtiſchen zu ſehr betont, wogegen
monumentale Würde und Größe, eigentlicher Stil,
wenn auch auf realiſtiſcher Grundlage, ſelbſt an
monumentalen Aufgaben der Mailänder Plaſtik ſelten
gelingen. Dieſe Eigenſchaften bilden zum Theil ein
altes Erbtheil, da ſchon die mailändiſche Plaſtik der
Benaiſſance ſich mehr durch Eleganz des Vortrags,
Virtuoſität der Technik und dekorativen Effekt, als
durch Stilgröße und klaſſiſche Individualität ihrer
Vertreter auszeichnete. ;
Ein Werk jener leichteren Gattung iſt die Mar-
morſtatuette eines ins Bad ſteigenden Mädchens von
G. Federico, die nicht über das Niveau einer glatten,
zierlichen Nippesfigur hinausgebt, wogegen Enxico
Aſtorris „Arabiſche Spinnerin“ neben der Virtuoſität,
mit welcher das Stoffliche des grobwollenen Tuches
das in großen Falten die Stirn und den Anterleib
der ſitzenden Mutter verhüllt, doch auch durch die
natürliche Unmittelbarkeit des einfach und ſchon Fom-
ponirten Motivs anzieht. Enrico Caſſis Kolofjal-
marmorbüſte eines ſchiafenden Weibes giebt in den
ſinnlichgroben Zügen doch den Ausdruck des Schlafes
gut wieder, der Schein des athmenden Lebens wird
durch den roſigen Marmor vermehrt. Ein Ueber-
wiegen des Maleriſchen, in Eizenhaft unbeſtimmter
Thonplaſtik, zeigen Felice Bialettis Gyysmodelle
„Chetis“ und „Bie Wellen“, die beide mehr in die
Breite, als in die Höhe ſich ausdehnen. Thetis er-
ſcheint als nacktes Weib inmitten formloſer Gyps-
klumpen, welche das Meer darſtellen; die Wellen
oder „Viſion eines Schiffbrüchigen“ zeigen ein noch
formloſeres Gewirr von ſolchen Gypsbrocken, mit
menſchlichen Gliedmaßen vermengt, ſie erinnern an

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