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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 6
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Dworaczek, Wilhelm: XII. Kunstausstellung der Wiener "Sezession"
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Rethwisch, Ernst: Lied der jungen Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0104

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bied der jungen Künſtler.

Mel.: Wohl auf, Kameraden.
$ — O— —

Friſch auf, ihr Geſellen, den Meißel zur Hand,
Und ſchaffet aus jauchzender Seele,
Und Keiner ſei in die Thorheit verrannt,
Daß der Kuß der Muſe ihm fehle!
Noch küßte ſie Jeden, der an ſie geglaubt,
Dem echte Begeiſt'rung geadelt das Haupt.

Friſch auf, ihr Geſellen, den Pinſel ergreift,
Nicht nach Gold und Medaillen getrachtet!
Sum treuen Jünger die Muſe ſchweift
Und zu dem, der nicht ſelbſt ſich verachtet:
Wwem heilig iſt und erhaben die Kunft, —
Den führt zu den Sternen der Muſen Gunſt.

Friſch auf, ihr Geſellen, den Sirkel herbei,
Baut Dome, Paläſte, baut Hütten,
Fühlt ihr euch nur in der Seele frei,
Nichts kann Euer Werk dann zerrütten;
Und kommen darin auch die Flammen zu Hauf,
Voch herrlicher baut ihr es wieder dann auf.

Und Einen Rath noch ertheil' ich euch jetzt,
Er iſt nicht der geringſte von allen,
Und kommt er auch erſt zu guterletzt,
Er wird Euch doch Allen gefallen:
Küßt ſelber die Muſe, die zögern will noch,
Sie ſträubt ſich ein wenig, dann thut ſie's ja doch!

Ernſt Rethwiſch.

T
XII. Runſtausſtellung
der Wiener , Sezelfion “

von Paul wilhelm, Wien.

aum jemals hat eine Ausſtellung — ſo ſehr man

Abſonderliches in den Mauern der „Sezeſſion“ zu
ſehen gewöhnt iſt — mehr Befremden erregt,
als die diesmalige. Es ſcheint faſt, als hätte man alle
böſen Elemente der Geiſtesverwirrung und Geſchmackloſig-
keit losgelaſſen und auf das ahnungsloſe Publikum gehetzt.
Gewiß — es wird von keinem Vernünftigen geleugnet
werden, daß die Werthe der Kunſt tiefgehenden Der-
änderungen unterworfen ſind, daß man zu vielen Zeiten
als unwahr und geſchmacklos bezeichnete, was eine ſpätere
Zeit als künſtleriſches Ideal auf den Schild hob. Aber
ſelbſt ohne dieſe oft etwas krummführende Entwicklungslinie
der Kunft aus dem Auge zu verlieren, ſelbſt mit allem
vorbehalt der Beſcheidenheit, welche wir künſtleriſchen
Individualitäten entgegenzubringen ſtets herzlich gewillt
ſind, muß man hier bei mehr als einem künſtleriſchen
Geiſtesprodukt die Zumuthung, es ernſt nehmen zu müſſen,
entſchieden zurückweiſen. Mit allem nachfühlenden DVer-
ſtändniß für die etwas abſonderlichen Stimmungswerthe
der neuen Kunſt ſcheint es unbegreiflich, wie geſchmackvolle
Kritifer vor dem unleugbarſten Humbug oder doch künſt-
leriſchen Uebermuth in Verzückungen gerathen können,
die nur durch die bei Kunſtempfindungen leider eine ſo

große Kolle ſpielende Suggeſtion oder Autofuggeſtion —
menſchenmöglich erſcheinen. Aber ſchließlich ſcheint doch
die Zeit kommen zu wollen, da man es müde wird, unter
dem Deckmantel von Griginalität und Genialität einfach
geuzt und genasführt zu werden. Schließlich wird es eines
Tages der ganzen Prieſtergeſellſchaft wie jenem Könige
ergehen, der erſt durch das naive Wort eines Kindes an
ſeine mangelhafte Toilette gemahnt werden mußte, da
niemand in ſeiner Umgebung den Muth hatte, diefelbe
einzugeſtehen. Das iſt ein ſehr ſinnreiches Märchen und
läßt ſich zuweilen mit guter Wirkung erzählen. So bin
ich vor dem Frühling Hodlers und ſeinem „Auserwählten“
geſtanden mit dem ſchmerzlichen Gefühle, daß ich nicht zu
den Auserwählten gehöre, welche in dieſen Karrikaturen
alles guten Geſchmacks einen neuen Frübling der Uunſt
erblicken können oder erblicken möchten. Alle die Er-
hitzungen kritiſcher Phantaſie, durch welche Vorzüge aus
dieſen unſäglichen Geſchmackloſigkeiten herausdeſtillirt
werden ſollen, wirken auf mich nicht weniger abſtoßend,
als dieſe Kronzeugen künſtleriſcher Verirrung ſelbſt. Hod-
ler iſt ein ſtarker Rönner. Das fühlt man. Selbſt beim
„Frühling“ der wie im Plakat zum Abnormitätenkabinet
der Barnum und Beilay ausſieht, fühlt man — trotz der
wahnſinnigen Derzeichnungen — eine Sicherheit des Stiftes
heraus, die das perverſe Empfinden und die ſich in Stim-
mungskrämpfen windende Phantaſie des Künſtlers dop-
pelt beklagenswerth erſcheinen laſſen. Auch ein Por-
trät Hodlers von Amiet, der den Kopf des Künſt-
lers zwiſchen ein paar auf die Wand projizirte
Landsknechtsbeine malte — warumd — bleibt dem Cief-
ſinnigſten unergründlich —, fügt ſich der Geſellſchaft des
Abſonderlichen, trotz hervorragender Qualitäten in der Cha-
rakteriſtik des Kopfes, würdig an. Gleich hieran reihte
ſich — ich ordne diesmal nach den Graden der Geſchmack-
loſigkeit — die Kaminverkleidung von Michael Wrubel in
moskau, eine Großthat von unmöglicher Zuſammenſtellung
der Farben und Linien, eine Symphonie von Mißtönen, die
einen wahren Anarchismus des Geſchmacks bekundet. Ich
glaube, wenn ich ihn in meinem Zimmer ſtehen hätte, ich
würde nach 24 Stunden einen Tobſuchtsanfall bekommen.
Man ſollte doch glauben, daß das kalte Rußland, dieſer
herbe Kulturboden, der einen Tolſtoy, einen Turgenieff
und Doſtojewsky zeugte, etwas immun ſei gegen
den Sezeſſionsbacillus! Das iſt leider nicht der
Fall — im Gegentheil. Auch die übrigen Ueramiken
von Wrubel und Golowine ſind zum Cheil von
unglaublicher künſtleriſcher Naivität. Selten dürften
ſich Präpotenz und Impotenz ſo vereinigt vorgefunden
haben. Sehr reizvoll und voll entzückender Feinheiten ſind
eine Reihe Holzarbeiten von Maiſon Mamontoff in
moskau. Es iſt ſchade, daß ſie von ihrer Umgebung völlig
erdrückt werden. Zu dem Abſonderlichen gehören wohl
auch die meiſten der Schöpfungen Jan Toorops, der,
vereinzelnd auftretend, ſtets großen Widerſpruch fand, dies-
mal aber in einer ganzen Uollektion ſeine große Künſtler-
ſchaft überzeugend erweiſt. Seine geſpenſtiſchen, viſionären
Zeichnungen werden auch jetzt noch Manchem abſtrus er-
ſcheinen, es liegt aber ein Zug von wirrer Genialität
darin, der an E. T. A. Hoffmann gemahnt. Bei Toorop
fühlt man, daß das Eigenartige, Abſonderliche ſeines
weſens Ratur iſt, daß es wirklich gemalte Difionen, Pro-
dukte einer vielleicht krankhaften, überhitzten Phantaſie ſind,
 
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