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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 20
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Collner: Soziale Kunst
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Thomas, Bertha: Die Londoner Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0353

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Vr. 20


achtung empfindet, als vor irgend welchen Macht-
habern, ſeinen Beruf, ſeine Häuslichkeit, ſein Alltags:
leben für werth erachtet, zu ſchildern. Eine ſolche
Kunſt wird weiter das Bindeglied bilden, den ein-
fachen Mann aufmerkſam zu machen auch auf die
anderen Kunſtrichtungen, die ihm bisher nicht recht
zuſagten, weil ſie ſeinem Ideen- und ſeinem Inter-
eſſenkreiſe zu fern lagen, und ſie wird ſich als ein
außerordentlich gutes Mittel erweiſen, auf die Maſſen
in kulturfreundlichem Sinne zu wirken. — Denn
darüber beſteht doch wohl nirgends ein Zweifel mehr,
daß es kein beſſeres Mittel giebt, veredelnd auf
Sitten und Charakter zu wirken, als die Uunſt, die
man heute nicht mehr — wie in früheren Zeiten —
zum Luxus zu rechnen berechtigt iſt, ſondern die ſich
als Lebenselement immer weitere Kreiſe erobert.

Man gehe nur einmal des Sonntags in die
öffentlichen Kunſtſammlungen und ſehe ſich die
Schaaren von feſtlich gekleideten Arbeitern an, wie
ſie mit Weib und Kind die Säle durchſchreiten, mit
welch' kritiſch⸗bewundernden Blicken ſie Alles prüfen
und wie eingehend ſie meiſt auch Kleinigkeiten be-
achten! Wie dankbar ſind ſie dafür, daß der Staat
ihnen endlich auch einmal geſtattet, an all den Herr-
lichkeiten ſich zu ergötzen, die früher meiſt nur in den
Wochentagen, d. h. alſo nur von den Angehörigen
der begüterten Stände, beſichtigt werden durften. Wer
die Arbeiter einmal dort beobachtet hat, wird ſich
der Ueberzeugung nicht verſchließen können, daß ſie
in den Muſeen ein weit, weit werthvolleres Publikum
bilden, als der unreife Backfiſch oder der Roue, der
durch die Säle rennt, nur um ſagen zu können, er ſei
auch dort geweſen.

Die Kunſt muß Wurzel im Volke ſchlagen, das
wird der Fall ſein, wenn ſie zum Gegenſtand des
Jugendunterrichts gemacht wird, wenn das Kind
erzogen wird in der Liebe zum Schönen. Das wäre
auch ein Stück praktiſcher Sozialpolitik.

Und dann ſollte man dafür ſorgen, daß an-
erkannt ſchöne Gemälde und Skulpturen zu einem
unentbehrlichen Theil des Hausraths werden. In
Anbetracht deſſen, daß durch unſere hochentwickelte
Induſtrie derartige Reproduktionen für billiges Geld
auf den Markt gebracht werden könnten, dürfte es
— wenn nur der Sinn der Maſſen für die Uunſt
hinlänglich geweckt iſt — wohl nicht allzu ſchwer ſein,
dahin zu gelangen.

Wir leben im Zeichen der ſozialen Beformen,
und die Zukunft der Kunſt beruht nicht zum wenigſten
darauf, daß ſie ſich ihnen in geeigneter Form an-
paßt. Der Arbeiter — das läßt ſich doch nicht in
Abrede ſtellen — iſt mündig geworden, er ſtrebt nach
Höherem, ihn dürſtet nach Wiſſen und Wahrheit.
Die Kunft aber iſt in hohem Maße berufen, ihn in
dieſem berechtigten Drange zu unterſtützen, denn ihre

Erzeugniſſe regen die Phantaſie an und befördern die
Denkthätigkeit.

Die Aufgabe des Künſtlers iſt es ja von jeher
geweſen, das Leben und die Natur ſo darzuſtellen,
wie ſie ſich ſeinem Genius offenbaren, und keines-
wegs liegt es außerhalb ſeiner Wirkungs-Sphäre,
wenn er auch auf ſozialem Gebiete ſchafft. Verfährt
er alſo, verklärt er das Schaffen und Ergehen des
Arbeiters mit dem Sonnenſcheine der Kunft, dann
trägt er zu ſeinem Theile dazu bei, dem Sehnen des
Armen nach Glück und erhabener Schönheit gerecht
zu werden, dann handelt er im Geiſte der End-
prinzipien der Kunſt: alle Verbältniſſe des Lebens
zu durchdringen mit dem Hauche des Göttlichen.

Collner.

Die kondoner Kunſtausſtellungen.

Von Bertha Thomas, London.

— on den Ausſtellern der Boyal Akademy und
der New-Gallerv iſt Keiner auch nur an

nähernd ſo glänzend vertreten wie John
Sargent. Während ſeine Kollegen von der Akademie
in dieſer Saiſon beſtenfalls nur, inſoweit es ihre
Stellung erfordert, ihr Können gezeigt haben, und
von Vicht Akodemikern kaum irgend ein hervor-
ragendes Werk zu erwähnen iſt, hat Sargent durch
ſeine diesjährigen Darbietungen ſeinem Ruf ganz und
voll entſprochen. Elf Bilder ſandte er, deren ſechs
ſogar bei Weitem überragen, was er ſelbſt bisher
geleiſtet und — mehr noch — die Erzeugniſſe ſeiner
Kunſtgenoſſen in den Schatten ſtellen. Seit den Tagen
der Glanzepoche der vorigen Generationen hat man
in dieſen Räumen nichts ſo Bedeutendes geſehen.
Meiſt allerdings Bildnißmalerei, iſt doch noch mehr
darin enthalten, als die ſpeziell fürs Fach erforder-
lichen Qualitäten. Daß in dieſer Beziehung die
weitgehendſten Anſprüche erfüllt worden ſind, bedarf
keiner Verſicherung. Es gilt dies vornehmlich von
drei Porträtgruppen auf großer Leinwand. Eine
Gartenſzene zeigt der Künſtler mit ſeinem Bildniß
dreier Schweſtern, der Töchter des Lord Gosford.
Die großen, hübſchen jungen Damen wenden ihr
Intereſſe einem in einer koloſſalen Terrakottavaſe ge-
wachſenen Orangebaum zu, von dem eine die gol-
digen Früchte pflückt und dann der zweiten darreicht,
die ſie in den Falten ihres weißen Kleides birgt,
während die dritte, die auf dem dunklen Haar einen
breitkrämpigen, maleriſchen, ſchwarzen Hut trägt, ſich
mit Zuſchauen begnügt. Der weiße Satin der Kleider,
die bei allen Dreien gleich bis auf die Schärpen,
deren eine ſchwarz, eine ſchwarz und weiß, eine von
leicht grau getöntem Blau ſind; das dunkelgrüne
Laub des Baumes, die goldgelben Früchte — das
Alles ergiebt eine köſtliche Farbenwirkung. Vielfach
finden Kenner jedoch noch mehr Gefallen an einem
Gruppenbildniß im Interieur, wo die Wirkung eine
ruhigere iſt. Geſchwiſter auch hier, und als ſolche
durch die Aehnlichkeit der Geſichtszüge gekennzeickmet,
drei Fräulein Hunter. Sie ſitzen dos-a-dos auf einem
runden Divan — eine bedenkliche Stellung zum
Malen. Hierzu kommt noch die techniſche Schwierig-
keit, daß zwei der Damen ſchwarze Kleider tragen
und der Hintergrund ein dunkler iſt — doch hat der
 
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