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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 7
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Wirth, Robert: Bemerkungen zur Bildnißkunst, [1]
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Zimmern, Helen: Die Promotrice-Ausstellung in Rom, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0119

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— 1—


erreichen, vermag die Natur aber nur als Meiſterin.
Ganz ebenſo der menſchliche Künſtler, und je größer
er iſt, deſto mehr gleicht er hierin ſeiner Mutter
Natur. Es wird hiermit das anſcheinend verborgene
Geheimniß berührt, warum dem Uenner ſogenannte
flotte Skizzen ſo ſehr gefallen, die der Künſtler im
Antrieb ſeiner natürlichen Begabung ſicher und
ſcheinbar mühelos aus ſich heraus auf die Fläche ge-
worfen. Der Künſtler kann dies auch nur an ſeinem
guten Tage, da er mit Kraftdrang gefüllt iſt, der
ſich bethätigen will; ſein Produkt giebt davon be-
merkbares Seugniß. Der Dichter Platen drückt
dieſen Umſtand in einem ſeiner Zweizeiler mit der
ſimplen Bemerkung aus, daß der Meiſter ein Bild


Wuſt nicht der Geſelle vermag. Wenn Möbius in
der oben berührten Stelle es geradezu eine Un-
verſchämtheit nennt, da der Künſtler „nur die in der
Wirklichkeit verſteckte Idee“ wiedergebe, ſo möchte
man dieſe Behauptung frevelhaft nennen, denn: hat
der Künſtler die Idee gegeben, ſo hat er das Weſen
gegeben. Oder was denkt ſich Möbius in ſeinem
Satze unter „Idee“? Eine Art Verſchönerung, Ver-
jüngung, Schmeichelung oder ſo etwas wie Biß, Ver-
allgemeinerung? Wenn Condillac behauptete: Le
mot idée exprime une chose que personne, j'ose le
dire, n'a encore bien expliquée, ſo kann man doch
am eheſten noch, auch im Hinblick auf die Bildniß-
kunſt, mit Schelling ſagen, die Ideen verhalten ſich
als die Seelen der Dinge. In dieſem Sinne übt
auch der Künſtler, nicht bloß der Arzt, Lehrer oder
Bichter, die ſogenannte Geſichtsausdruckskunde zur
Erreichung der Individualität ſeines Modells. Bein-
hold Begas ſchrieb 1895 (Aphorismen in der „Hu-
kunft“): Der Künſtler, der nach der Natur einen be-
deutenden Kopf malt oder meißelt und nicht die
geiſtige Begabung ſeines Modells beſitzt, wird, da er
nicht im Stande iſt, deſſen Bedeutung zu erfaſſen, wohl
die Formen, aber nicht den Geiſt ſeines Modells
zum Ausdruck bringen können. Begas ſtellt hier
eine idale Forderung auf, indem er eine Kongenialität
des Künſtlers (ſelbſtverſtändlich auf dem Eigengebiete
ſeiner Begabung) mit der geiſtigen Größe ſeines
Modells verlangt. Gewiß würden unter dieſer Be-
dingung die höchſten Kunſtleiſtungen gewährleiſtet.
(Ein Schlußartikel folgt.)

Die (Promotrice⸗ Lusſtellung
in Gom.

Don Helen Zimmern, Florenz.

it einer gewiſſen Bangigkeit bin ich, offen

geſtanden, in die diesjährige Ausſtellung

> moderner Kunſtwerke in Rom gegangen,

um Ihnen den gewünſchten Bericht darüber zu
ſchreiben. Meinte ich doch annehmen zu müſſen, daß

von Meiſterwerken nichts zu finden ſein würde, da
die beſten und bedeutendſten Erzeugniſſe der heutigen
Italiener in Venedig zu ſuchen ſind. Und in der
That fand ich auf den erſten Blick meine Be-
fürchtungen beſtätigt. Der Eindruck, den ich da in .
den eleganten, voll beſetzten Sälen gewann, entlockte
mir den Ausruf: „Pius c’a change, plus c'est la
meme chose!“ Da hingen die gewohnten faden
Porträts, geiſtloſen Genrebilder und die grasgrün
hingeſtrichenen Landſchaften nach nordiſchen ſezeſſio-
niſtiſchen Muſtern. Alles wie ſonſt — aber, wie ich
nach genauerer Umſchau gewahrte, doch nicht ganz
ſo wie in früheren Jahren, ſondern dieſes Mal, neben
vielem Mittelmäßigem auch ſo Manches, das ernſtes
Streben und Tüchtigkeit verrieth. Und ein Zweites,
was ich konſtatiren konnte, iſt zwar nur ein äußerer
Umſtand, dürfte ſich aber doch von weitreichenden
Folgen erweiſen. Es betrifft die Ankäufe des Königs,
der ſich darin ganz ſo freigebig wie ſein Vater zeigt,
dabei aber einen abweichenden Weg eingeſchlagen
hat. Er hat ſich offenbar nicht, wie ſein Bater, von
ſeiner Umgebung Werke zum Ankauf empfehlen
laſſen, denn jedes Stück, das König Viktor
Emanuel III. erſtanden, wurde unverkennbar nach
perſönlichem Geſchmack gewählt. Es ſind dies zu-
meiſt Studien aus dem Thierleben oder Landſchaften
mit Motiven aus Meer- und Gebirgsgegenden, wie
ſie der Monarch und ſeine montenegriniſche Gemahlin
ſo ſehr lieben. Es ſcheint mir ein nicht unwichtiger
Punkt, daß ſonach dem höfiſchen Protektionsweſen der
Boden entzogen iſt.

An erfreulichen Wandlungen fiel mir zunächſt
eine ſolche im Bildnißfach auf. Es herrſchten nicht.
ſo die oberflächlichen und glänzenden Blenden vor.
Charakteriſtik und Ausdruck ſind fleißiger ſtudirt.
worden, als man ſonſt für nöthig hielt, und in All-
tagskleidern gemalte Perſonen bilden keine vereinzelte
Ausnahme mehr. Die in Italien nur allzu beliebte
Manier, ſich für die Sitzungen pomphaft aufzuputzen
und ſomit einen falſchen Eindruck zu bewirken, ſcheint
danach in der Abnahme begriffen. Beſonders an-
genehm fand ich ein Selbſtporträt und eine Reihe
weiblicher Bildniſſe von Federigo Madrazzo, ob-
gleich ſie im modernen franzöſiſchen Geſchmack
gehalten ſind und des individuellen Tons ent-
behren. Indeſſen weiſen ſie doch Kraft im Ausdruck
und ein unverkennbares Beſtreben des Künſtlers auf,
bei ſeinen Modellen das perſönliche Weſen zu er-
faſſen.

In der Sujet-Malerei ſind die Fortſchritte ge-
ringer. Nur ausnahmsweiſe iſt hie und da eine Ab-
kehr vom Abgedroſchenen, Alltäglichen, zuweilen be-
denklich an's Gemeine Streifenden zu verzeichnen.
Eine ſolche Ausnahme bildet ein Gemälde von Ida
Signoli Salvagnini, womit aber nicht geſagt ſein
ſoll, daß ſie mit ihrem „Die thörichten Jungfrauen“
eine durchaus einwandsfreie Leiſtung geboten habe.
Es war aber doch ſoviel daraus erſichtlich, daß es
der Künſtlerin ernſtlich um geiſtige Vertiefung ihres
Gegenſtandes zu thun geweſen und ihr außerdem die
Fähigkeit innewohnt, feine Lichtwirkungen in ſubtiler
Weiſe zu verwerthen, im vorliegenden Falle die der
erſten Morgenhelle, welche die fünf zuſammen-
gedrängten Geſtalten beleuchtet. Ein nicht angenehm
wirkendes, wohl aber von ſtarkem Können und
Originalität zeugendes Werk iſt der „Povero Diavolo“
von Mancini, einem Maler, der rückſichtslos ſeinen
Weg geht und in ſeiner eigenen etwas brutalen
Manier ehrliche Kunſt übt, wie er ſie eben auffaßt
 
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