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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 15
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Ebe, Gustav: Sezessionistisches in der Architektur, [2]
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Dworaczek, Wilhelm: XIV. Ausstellung der Wiener "Sezession"
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0262

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— '“

vervollſtändigen. Einige deutſche Städte haben ſogar
eigene Wettbewerbe veranſtaltet, um Facadenent-
würfe zu erlangen, die ſich im Sil an die Bauwerke
der als glanzvollſt erachteten Periode der Vergangen-
heit anſchließen, und den neu zu errichtenden als Muſter
dienen ſollen. Nun kann es ja Fälle geben, in
denen die Rückſicht auf monumentale Geſchloſſenheit
eines öffentlichen Platzes das Feſthalten an der ein-
mal gegebenen Stilform zum unverbrüchlichen Geſetz
macht, wie es zum Beiſpiel für den Dombau in
Berlin in Betracht kommt, der mit dem Königsſchloß
eine Einheit zu bilden hat, und deshalb wie dieſes
im Schlüterſchen Barock errichtet werden mußte. Es
würde jedoch eine übertriebene Alterthümelei ſein,
wenn man die Anlehnung an das Hiſtoriſche zum
maßgebenden Prinzip erheben, und namentlich wenn
man daſſelbe auf das bürgerliche Wohnhaus aus-
dehnen wollte. Keine frühere Zeit hat ſo weit auf
ihr eigenes Weſen verzichtet, um ſich einzig der Aus-
füllung der Lücken im Schaffen der künſtleriſchen
Vergangenheit zu widmen; und unſere Zeit würde
ſich ſelbſt ein Seugniß geiſtiger Armuth geben, wenn
ſie die Berechtigung auf Bethätigung einer ihr
eigenthümlichen Bichtung aufgeben wollte. Die Ver-
ehrung für das von den Vorfahren überlieferte Erbe
darf uns keinenfalls eine ſchablonenhafte Nach-
ahmung aufzwingen, wenn wir auch bereit ſind, den
wahrhaft — volksthümlichen Inhalt der alten Denk-
mäler, ſoweit ſich derſelbe mit dem Empfinden unſerer
Seit deckt, zu bewahren und wieder zu verwerthen.
Jedenfalls wird es ſchwer ſein, eine verſöhnende
Vermittelung zwiſchen dem Feſthalten an der vater-
ländiſchen Art und der in der Hauptſache kosmo-
politiſch angelegten neuen Bichtung zu finden; und
es könnte wohl ſein, daß der ſtets zunehmende
Zwiſchenverkehr der Völker die Fortdauer einer
Heimathkunſt ganz in Frage ſtellen oder wenigſtens
nur in beſchränktem Maaße ferner zulaſſen wird.

Ob die neue Kunſtrichtung, wie wir ſie aus


eine Geſchichte haben wird, iſt noch fraglich. Vor-
läufig hat ſie ihre beſten Erfolge in der Dekoration
errungen, welcher ſtiliſtiſche Beſonderheit nicht abge-
ſprochen werden kann. Dieſe beſteht namentlich in
einer Art der Linienführung, in welcher man eine
Quelle origineller Bildungen entdeckt zu haben glaubt.
Die Vertreter dieſer Meinung wollen die Linie als
eine Verkörperung der in den Einzeltheilen latent
wirkenden Kräfte, des dynamiſchen Lebens, aufgefaßt
wiſſen, obgleich es näher läge, das Linienſpiel als
eine bewußte oder unbewußte Anlehnung an japa-
niſche Vorbilder zu betrachten. Wäre die Linien-
ornamentik wirklich auf den Ausdruck des Dyna-
miſchen zurückzuführen, ſo läge darin im Prinzip
nichts Neues, da das in der Antike gebrauchte
Pflanzenornament genau demſelben Sweck diente, und
zwar in vorzüglicher Vollendung der Form, was von

den Erzeugniſſen der Moderne nur ſelten behauptet
werden könnte. Die Säulen- und Pilaſterkapitelle
der Antike mit ihren Eckvoluten und umgeſchlagenen


Verzierung der tragenden, trennenden und zuſammen-
faſſenden Geſammtgliederungen ſind Zeugniß genug
für die ſtatiſche Ausdrucksfähigkeit und zugleich für
die Formenſchönheit der Antike. — Wollen wir indeß
einmal zugeben, daß wirklich der Begriff einer ſtrö-
menden Energie mit der Symbolik der Linie in der
Moderne verknüpft iſt, ſo ſpringt das Eigenartige
und Gutgewählte der Erſcheinungsform ſofort in die
Augen. Die in Büſcheln von einem Punkt aus-
ſtrahlenden, parallel geführten oder ſich durch-
kreuzenden Linien mahnen an den Verſuch, ein elek-
triſches Kraftfeld ſichtbar zur Darſtellung zu bringen,
und knüpfen alſo an das Wirken der im Vorder-
grunde des Tagesintereſſes ſtehenden Naturkraft in
ganz moderner Weiſe an. Mag auch die vollendete
Schönheit und ſinnliche Greifbarkeit der antiken
Formenwelt von der Moderne keineswegs erreicht
ſein, ſo läßt ſich die neue Wendung des von ihr ge-
botenen Erſatzes doch nicht beſtreiten.
(Schluß folgt.)

*

XIV. Husſtellung

der Mener „Sezeilion“.
Von Paul Wilhelm.

Es giebt Kunſtwerke von ſolcher Reinheit und
Erhabenheit des Ausdrucks, daß der Eritiker bei
ihrem Betrachten das Gefühl empfindet, ſich ſeines
kritiſchen Amtes entſchlagen zu müſſen, um in reiner
und voller Genußfreude anſtaunen und bewundern
zu dürfen. Denn es giebt Kunſtwerthe, welche jen-
feits von Gut und Böſe gemeiniglich äſthetiſcher An-
ſchauungen ſtehen. Zu dieſen ſcheint mir Mar
Klingers „Beethoven“ zu gehören. Wie man
die Empfindung haben mag, daß in großen hiſto-
riſchen Momenten, in Augenblicken, welche etwa zwei
Gewaltige, Weltbeherrſchende einander gegenüberſtellt,
die Geſchichte gleichſam den Athem anhält, ſo drängt
ſich auch der Gedanke auf, es breite ſich eine ſtille-
gebietende Heiligkeit über ein Kunſtwerk, in welchem
zwei große Genien ſich begegnen. Da muß auch
das laute oder vorlaute kritiſche Gerede verſtummen,
und nur, wenn der Bann des tiefen Schweigens, das
ein ſolches Werk — mag es wo immer {tehen —
mit der Stimmung eines Tempels umgiebt — ſich
löſt, mögen die Freude und die tiefe Begeiſterung


der Kritiſcheſte zum naiven Bewunderer, und er, der
vor anderen Werken gern explizierend und erläuternd
aus dem Gros der Suſchauer hervortrat, miſcht ſich
nun beſcheiden unter ſie und verſchwindet als ſtummer
Bewunderer im Gros der Menge. Und darum
ſcheint es ſo erhaben ſtill in dem großen Saal der
Sezeſſion, der den Klingerſchen Beethoven enthält,
denn Niemand will ſich mit ſeinem ſonſt ſo gerne
 
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