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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 22
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Neues von Kunst und Künstlern
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Kunstchronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0395

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Ar. .22


(1

Weiſe die Kunft zu pflegen, dürfte auch die Wegberufung
tüchtiger künſtlerifcher Kräfte fördern. Einem Lande, das
ſich von der Kunſt abwendet, kehrt auch der Künſtler leicht
den Rücken. Bayern hat allen Grund, ſeinen künſtleriſchen
Beſitzſtand zu waͤhren, ſeine Hauptſtadt als Kunſtzentrum
hochzuhalten und Alles zu vermeiden, was bei dem leb-
haften Wettbewerb in Deutſchland um die führende Stellung
7 Vorrang Münchens für die Folgezeit in Frage ſtellen
önnte.

Trotz des großen Aufwands an Patriotismus, Uunſt-
enthuſiasmus und Lungenkraft in jener denkwürdigen
Sitzung meldete ein Telegramm vom 6. Auguſt: „Die
Kammer der Abgeordneten lehnte mit den Stimmen des
Zentrums gegen die Stimmen der übrigen Abgeordneten
die von der Kammer der Keichsräthe wieder hergeſtellten
Forderunngen für Kunſtzwecke im Aultuseſat heute
nochmals ab. Die Forderungen ſind hiermit endgiltig
geſtrichen.“

Damit iſt denn wohl die gegenwärtige Situation im
öffentlichen Kunſtleben der bayeriſchen Hauptſtadt genügend
gekennzeichnet. (Ogl. die Notiz „München“ in der Kunſt-
chronik.)

* * *

Daß auch die Generalverſammlungen der Deutſchen
Geſellſchaft für chriſtliche Kunſt ein aktuelles
Intereſſe haben können, bewies die am zweiten Sitzungs-
tage der 9. Verſammlung, die Ende Juli in Stuttgart ſtaͤtt-
fand, vom Bottenburger Biſchof Dr. v. Keppler gehaltene
Hauptrede. Der lebendige Dortrag beleuchtete die Be-
ziehungen der chriſtlichen Kunſt zur heutigen Kunſtbewegung
und dieſe ſelbſt. Da einzelne Sätze der Kunftbetrachtung
auch unſere Leſer lebhaft intereſſiren dürften, geben wir
ſie nach einem Referat ohne jeden Kommentar wieder:

Es giebt auch eine ungeſunde moderne Kunſt-
entwicklung. Jener tolle Enthuſiasmus, der jede neue
Richtung mit Pauken und Trompeten in die Welt einführte,
findet keinen Glauben mehr, die Kunſtkritik beginnt ſich
wieder auf ikre Pflicht zu beſinnen. Man hört jetzt viel
ſcharfe Urtheile, ſtatt der früheren Lobeshyninén!
Abrupt und ſprunghaft fällt ſie (die Moderne; von einem
Ertrem ins andere. Der letzte Anhalt iſt verloren gegangen
dadurch, daß mit der deutſchen Kunftvergangenheit wie der
Antike beinahe vollſtändig gebrechen wurde. Unheimlich
iſt dieſer ganze Entwickeiungsgang. Durch alleinige Be-
tonung des Licht⸗ und Farbenwerthes auf Koſten des
Geiſtes- und Gefühlswerthes der Malerei iſt die
Kunſt auf den Nullpunkt des photographiſchen und kine-
matographiſchen Apparates herabgedruͤckt.! Bis zum Sym-
bolismus, deſſen Tiefſinn bald in Wahnſinn überſchnappte
und fürs Irrenhaus reif wurde, haben alle Bichtungen
daſſelbe blaſſe und blaſirte Geſicht. Es fehlt die roth-
wangige Friſche, die zeugende Lebenskraft, die ungekünſtelte
Zchlichtheit und Lieblichkeit, die innere Dornehmheit, die
ausgleichende Harmonie. Statt deſſen eine Oede, ein be-
denklicher Mangel an Ideen, Herz, Phantaſie, bei vielen
Hertretern eine krankhafte Vorliebè für den Hautgout des
Häßlichen, für das Lascive. Das ſind Symptöme der
Zenilität, eines Lebens, das der Anregung durch Pariſer
Champagner bedarf. Mit einem Wort, es fehlt der Kunſt,
die man als modern bezeichnet, an Charafter. Sie weiß
nicht, was ſie will, was ſie ſoll, was ſie kann. Sie weiß
nur, daß ſie modern ſein will, nach der neueſten Parifer
Mode. Charakterloſigkeit iſt aber der Untergang der Kunft.
Zer Mangel an Charakter offenbart ſich duch darin, daß
die moderne Malerei beſtändig und gefliſſentlich Meiſter
für ſich in Anſpruch nimmt, die ihr nicht angehören
und nicht modern ſind: Choma, Leibl, Zöcklin,
neuerdings auch Feuerbach und den trefflichen Schwind.
Zu dieſen Anleihen treibt ſie das Gefühl der eigenen
Armuth, der Mangel an führenden bedeutenden Perſönlich-


ſie den Umgang mit dieſer Schweſter meidet? ...
*

*
*

Böcliniana. Die perſönlichen Erinnerungen an den
verſtorhenen Meiſter mehren ſich in den Blättern. Den von
O. Laſius in der Züricher Poſt edirten Tagebuch-Notizen
aus den Jahren 1885 bis 1889, die u. A. Veues über das

freundſchaftliche Verhältnioß Gottfried Kellers zu
Böcklin mittheilen, folgt eine Deröffentlichung G. Winklers
in der „E. f. A.“ über Böcklin und den Grafen Schack.
Hier ſucht der Verfaſſer durch mündliche Aeußerungen des
Meiſters und durch Zitate aus ſeinen Briefen den Beweis
zu liefern, daß das Verhältniß des um ſeine wirthſchaftliche
Exiſtenz oft ſchwer ringenden Künſtlers zu ſeinem viel-
genannten Mäzen keineswegs den unfreundlichen Ausgang
genommen habe, der von manchen Biographen Böcklins
behauptet wird.

Böcklin, der im Jahre 1859 durch Paul Heyſe bei
Schack eingeführt worden war und bis 1874 in regem
Verkehr mit ihm geſtanden hatte, wurde ihm nie, wie
Feuerbach, völlig entfremdet; beim Kauf des letzten Bildes,
des „Meeresidylls“, waren vielmehr beide Theile ſehr zu-
frieden, und auch als keine geſchäftliche Verbindung mehr
heſtand, ſuchte Schack wiederholt Böcklin in Floreſnz und
Zürich auf. Bei ſeinem vorletzten Beſuche im Jahre 1889
in Zürich begleitete Winkler den Grafen, und er war Zeuge
von der ungeheuchelten Herzlichkeit, mit der Graf Schack
und der berühmte, damals ſchon längſt völlig unabhängige
Maler ſich begrüßten und Erinnerungen austauſchten.
Gewiß gab es während der 15jährigen geſchäftlichen Ver-
bindung Enttäuſchungen und Verſtimmungen auf beiden
Seiten, und Böcklin bat dann im Familien- und Freundes-
kreiſe manchmal wohl ſeinem Unmuth kräftig Ausdruck
verliehen; aber Winkler weiſt darauf hin, daß Schack
gegenüber den damals unerhört ſcheinenden Neuerungen
des Meiſters ſich wenig auf ſein eigenes Urtheil verlaſſen
konnte, und daß bei der Annahme oder Abweiſung eines
neuen Werkes von Böcklin, welcher Schack das Vorkaufs-
recht eingeräumt, mehr Geſchmack und Geſinnung der Be-
rather als des Käufers ſelbſt entſchieden. . .

Trotz des herzlichen Derkehrs, der in Zürich zwiſchen
Böcklin und Keller beſtand, koſtete es dem letzteren immer
wieder eine gewiſſe Ueberwindung, den Maler durch einen
Beſuch im Atelier zu unterbrechen. Keller pflegte erſt ein
paar Mal um das Atelier herumzuſtreifen, ehe er ſich ent-
ſchloß, einzutreten. Böcklin arbeitete damals an ſeinem
von Piraten in Brand geſteckten Schloß mit der kühnen
Brücke. Die leuchtendſte Farbe auf dem ganzen Bilde, der
chromatiſche Brennpunkt, hat der Mantel des einen kühnen
Schiffers, der im Vordergrunde, aufrecht ſtehend, in dem
großen Boote auf die Andern wartet. Er iſt zinnoberroth.
Böcklin verwendete dazu unvermiſchten chineſiſchen Patent-
zinnober von ſtarker Leuchtkraft, den er ſich damals eigens
für dieſe Schöpfung aus Paris hatte kommen laſſen.
„Zinnober iſt eine ſehr heikle Farbe,“ ſagte er, „er frißt
alle Farben kaput, wenn man ihn vermiſcht. Aber rein
verwendet, hält er ſich recht gut.“ Böcklin hatte das Bild
vollendet. Es blieb aber noch einige Tage im Atelier, da
Böcklin daran zu verbeſſern gefunden. Da erſchien Gott-
fried Keller und ſah ſich's an. Lange blieb er verſunken
vor der brennenden Burg ſtehen; endlich ſagte er, auf den
zinnoberrothen Schiffer im Vordergrund deutend: „Dä rot
Chäib da iſt halt chäibe ſchön!“ Das war auch Alles,
was er ſagte, und gleich darauf war er unter der Thür

verſchwunden.

Runſtehronib.

* Berlin. Von dem Koloſſalgemälde „Die Kaiſer-
proklamation in verſailles“ von Anton v. Werner
läßt der Kaiſer zur Zeit durch den Berliner Maler Grote-
meier eine Kopie anfertigen, die eine auf dem Bilde ſelbſt
porträtirte fürſtliche Perſönlichkeit zum Geſchenk erhalten
ſoll. — Der Derein für die Geſchichte Berlins hat kürzlich
aus Privatbeſitz eine größere Auswahl älterer Ber-
liner Plaketten erworben, die früher alljährlich von der
im Jahre 1824 nach Spandau verlegten Eiſengießerei her-
geſtellt wurden. Die Direktion der Anſtalt verſandte ſie zu
Beginn des Jahres an alle großen Derwaltungen und an
einflußreiche Männer gewiſſermaßen als Empfehlung, indem
auf einer oder auch auf beiden Seiten die Wiedergabe be-
 
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