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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 20
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Pudor, Heinrich: I. internat. Ausstellung für moderne dekorative Kunst, [2]
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Nr.. 20


Turin:

I. Internat. Husstellung

für moderne dekorafide Kunst.
Von Dr. Heinrich Pudor.

II}

/\\ie franzöſiſche Abtheilung enttäuſcht
8 etwas. Lalique 3. B. hat nur wenig

geſchickt, und dies erſt nach Pfingſten.
Einer der Erſten, Gallé, fehlt vollſtändig. Einiger-
maaßen Erſatz dafür bietet allerdings die kleine
Ausſtellung Le Boſeys (Garant et Guignard), welche
in einer Vitrine ihre erleſenſten Arbeiten vereinigt
hat, darunter eine prächtige Ueberfangvaſe, welche
am Fuße Muſcheln, Tange und Korallen im Meeres-
grunde zeigt, eine andere in mattem Blaugrün, bei
der mit außerordentlicher Naturtreue eine Schnecke,
die auf einem Blatte kriecht, dargeſtellt iſt, ferner ge-
ſchliffene Gläſer, weiß überfangen, mit Maiblumen-
dekorirt. Stellenweiſe iſt die Formengebung etwas
veraltet, in techniſcher Beziehung tritt der Einfluß
Gallés hervor. Ferner hat das berühmte Haus Daum
Frores, Nancy, ausgeſtellt, beſonders geſchnittene
Ueberfangglasvaſen, die oft vier bis fünf verſchiedene
Lagen aufweiſen. Unter den ausgeſtellten Erzeug-
niſſen, ſoweit ſie neu ſind, erwähnen wir eine große
Vaſe mit hellgelben Herbſtblättern auf braunem
Grunde, eine prachtvolle Kanne, innen dunkelbraun,
milchblau überfangen, ferner eine famoſe Vaſe, welche
Segelboote nahe dem Strande zeigt. Auf dem Ge-
biete der Möbelarchitektur haben die Franzoſen
wenig Bemerkenswerthes ausgeſtellt; zu erwähnen
wären nur die reich geſchnitzten, das Material zu
prächtiger Wirkung bringenden Möbel von Charles
Plumet & Tony Selmersheim. Hervorragende Wand-
teppiche und Portièren in Seidenplüſch ſieht man von
Chr. Friedrich, Nancy. Es ſind gefärbte Stoffe,
meiſt zweifarbig, auch dreifarbig; matte Farben ſind
dem Gobelincharakter entſprechend bevorzugt, die
Muſter zeigen naturaliſtiſch ausgeführte Blumen und
Pflanzen ohne Stiliſirung, aber in einfachen großen
Zügen wiedergegeben, z. B. Fingerhut, Diſtel, Schier-
ling 2c. Die Entwürfe rühren von bedeutenden
Künſtlern her. Die unter der künſtleriſchen Leiſtung
eines Architekten ſtehende „Maison Moderne“ hat
wenige Möbel, aber deſtomehr gangbare Bronzen
und Goldſchmiedearbeiten ausgeſtellt. Auch die be-
kannte Kopenhagener Porzellan⸗Manufaktur Bing und
Groendahl hat hier meiſt ältere Arbeiten ausgeſtellt.
Was die Goldſchmiedearbeiten der Maison moderne
betrifft, ſo mag von vornherein geſagt werden, daß
ſie an die beſten Laliques und Wolfers bei Weitem
nicht heranreichen. Es ſind zum größeren Theil
Sachen von mittlerem und niedrigem Preis, in der
Hauptſache in patinirtem Silber und Gold gearbeitet,
mit heiläufiger Verwendung des Email. Vur wenige
Arbeiten ſind koſtbar, wie die ſchöne Broſche in Form
eines Schmetterlinges aus patinirtem Gold, mit
Brillanten beſetzt, der Leib aus echten Perlen. Die
Entwürfe, die von Paul Sollot, M. Dufrone und
P. Orazzi herrühren, laſſen zum Theil eine harmoniſch
zuſammenſchließende Verbindung des Dekors mit dem
eigentlichen Gebrauchsgegenſtand vermiſſen; ſo iſt
z. B. bei den Schmuckkämmen das Dekorſtück einfach
mit einem Charnier auf dem Schildpat befeſtigt,

ohne daß eine innere und äußere organiſche Ver-
bindung verſucht wäre.

Was die helgiſche Abtheilung betrifft, ſo ſind
hier, von Wolfers abgeſehen, nur die von van de
Voorde und Suegers ausgeſtellten Wohnungsein-
richtungen zu erwähnen. Der große Goͤldſchmied
Philippe Wolfers aber iſt ſehr reich vertreten. In
der Alitte des ihm angewieſenen Raumes ſteht auf
erhöhtem Platz die große, in Elfenbein und Bronze
gearbeitete dekorative Vaſe, welche einen Schwan
darſtellt, in deſſen Bruſt eine ſich um ſeine Schwingen
windende Schlange den Giftzahn drückt, ein hervor-
ragendes Kunſtwerk, das eine tiefe und unmittelbare
Wirkung ausübt. Dann hat er eine große Zahl
Frauenſchmuck-Arbeiten ausgeſtellt, von denen die
ſchönſten Sachen bekannt ſind; die anderen ſind im
Dekor einfach gehaltene gangbare Marktwaaren, über
die nichts Beſonderes zu ſagen iſt. Auch Silber-
beſtecke hat er ausgeſtellt, die aber ebenfalls den
großen Künſtler Wolfers nicht charakteriſiren und
einigermaaßen im herkömmlichen Stil gehalten ſind.

Wir kommen nunmehr zur amerikaniſchen
Abtheilung, innerhalb deren Tiffany & Co. und
Tiffany Studio das Meiſte und Beſte ausſtellen, vor
Allem ihre berühmten Favrile-Gläſer, unter denen
ſich manche intereſſante Neuheit befindet. Sie zeigen
ferner Wandtäfelungen und Wanddekorationen in
Glasmoſaik, zum Theil mit prachtvollen Farben-
wirkungen, außerdem eine Kollektion von Emailvaſen,
vergoldete Silbervaſen mit Emaileinlage, getriebene
und gehämmerte Silbergeſchirre. Nächſt Tiffany
macht hier die Bookwood Pottery aus Cincinnati
den beſten Eindruck, die zu ihren dunkelbraunen
Fayencen effektvolle hellere Muſter hinzugefügt hat.
Prachtvolle Lederpreſſungen ſieht man von Baldwin
Fratelli, New-Vork. Weiter fällt Charles Bohlfs
Studio in Buffalo auf, welches gut gearbeitete
Bronzen, Keramik und Moöbel, letztere im outrirt
ſezeſſioniſtiſchen Stil, ausgeſtellt hat. Die engliſche
Ausſtellung macht einen einſeitigen und etwas ver-
alteten Eindruck. Die Arts und Crafts Exhibition
und Walter Cranes Ausſtellung würden beſſer in
eine hiſtoriſche und retroſpektive Ausſtellung paſſen.
Die ſchottiſche Ausſtellung beſchränkt ſich auf die
Glasgower Schule des Herrn und Frau Aackintoſh,
welche die japaniſche Beeinfluſſung in ſolchem Maaße
zeigt, daß faſt jede britiſchnationale und individuelle
Eigenart zu vermiſſen iſt. Zudem iſt der Linienkultus
und Linienrauſch hier bis zu den äußerſten Kon-
ſequenzen getrieben. Im übrigen giebt ſich dem
Stimmungsgehalt nach eine außerordentliche Delikateſſe
und Subtilität der Empfindung zu erkennen.

Das übliche „Last not least“ können wir dieſes
Mal auf die deutſche Abtheilung anwenden, die
zuletzt fertig geworden iſt und die wir in einem fol-
genden Artikel beſprechen wollen, die aber gleichwohl
von allen Abtheilungen den reichſten und den künſt-
leriſch vornehmſten Eindruck macht. Sie umfaßt
nicht weniger als 40 Säle, von denen nur zwei oder
drei „Materialgruppenausſtellungen“ gewidmet ſind.
Im übrigen hat man ſich anerkennenswerther Weiſe
beſtrebt, jeden kunſtgewerblichen Gegenſtand in den
ihm zugehörigen Milieu auszuſtellen.

(Ein dritter Artikel folgt.)

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