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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 19
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Pudor, Heinrich: I. internat. Ausstellung für moderne dekorative Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0336

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Vr. 10

die Seit des Bingens und Strebens nach Neuem
vorbei, wenn das Neue ein Unumſtrittenes und Ein-
gewohntes geworden iſt, ſo bildet ſich eine ſtrengere
Linearornamentik heraus, die ſchließlich, wenn die
Kunſt der Zeit ihren linearen Gehalt ausgegeben
hat, wieder ins Naturaliſtiſch-Maleriſche entartet.

Wir können dieſen Entwickelungsgang an unſerer
modernen Ornamentik deutlich verfolgen. Es iſt
noch in friſcher Erinnerung, wie wir aͤnfingen, der
kühlen, ſozuſagen leidenſchaftsloſen Grazie des italieni-
ſchen Benaiſſance-Ornamentes überdrüfſig zu werden,
wie wir uns nacheinander an verſchiedenen Stilarten
verſuchten, deren Grnamentik ein erregteres Em-
pfindungsleben auszuſprechen ſchien. Aber wir hielten
uns immer an das ganz entwickelte und fertig aus-
gereifte Pflanzenornament der betreffenden Zeit, in
das keine moderne Stimmung mehr hineinzulegen
oder herauszuempfinden war. Wir wollten ausge-
wachſene Bäume in den Garten unſerer neuzeitlichen
Kunft pflanzen, und das mußte mißlingen. So wurde
man ſchließlich nicht nur jeder hiſtoriſchen, ſondern
genau genommen jeder ſtrengen Ornamentik über-
drüſſig und ſuchte ſein Heil in genauer Anlehnung
an die Natur. Ohne Sweifel iſt dadurch Vieles auf-
gefriſcht und Viel gelernt worden. Aber man braucht
nicht zu glauben, daß man durch die treueſte und
intimſte Anlehnung an die Natur jemals zu einem
modernen Pflanzenornamente gekommen wäre. Dazu
hat, neben der Thatſache eines immer ſtärker auf-
ſtrebenden, ſelbſtſchöpferiſchen und ſelbſtſtändigen
kunſtvermögens, demgegenüber jede Erklärung ver-
ſagt, wohl am meiſten der Umſtand beigetragen, daß
wir die naive Pflanzendekoration der Anfangs- und
Uebergangsepochen unſerer künſtleriſchen Dergangen-
heit verſtehen lernten, und daran ſahen, daß nicht
die ausgereifte Form, ſondern der ſelbſtempfundene
Stimmungsausdruck, wie für jede Kunſtübung ſo auch
für ein modernes Pflanzenornament, das Primäre
und für eine Zeitkunſt das zunächſt zu Erſtrebende
ſei. —

Vielfach iſt auch das Axiom aufgeſtellt worden,
das vertiefte Studium von Zweck und Technik ſollte
neue Ornamentformen hervorbringen. Damit ſchafft
man neue Formen für die Gegenſtände, aber die
dekorative Darſtellung der Pflanze hat mit dem Zweck
nichts und mit der Technik ſehr wenig zu thun.
Darüber hat nur das dekorative Liniengeſühl unſerer
Zeit zu beſtimmen, welches ein vorwiegend maleriſches,
mit einer erſichtlichen Vorliebe für geometriſch-ſtrenge
Anordnung, iſt. Wir haben damit noch keine fertig
ausgeprägte Ornamentik, aber wir ſtehen auf der
erſten Stufe zu einer ſolchen.

Ich habe oben geſagt, für die Ausprägung, für
die Formenſprache des Pflanzenornamentes ſei in
erſter Linie das Kunſtwollen des Urhebers ausſchlag-
gebend. Damit ſoll nicht individualiſtiſcher Willkür
und Selbſtüberhebung das Wort geredet, ſondern
auf die Nothwendigkeit künſtleriſcher Selbſterkenntniß
hingewieſen werden. Dieſe wiederum wird ſich weniger
auf die Eigenheit des einzelnen Künſtlerindividuums,
als auf das künſtleriſche Fühlen ſeiner Epoche zu er-
ſtrecken haben. Und da iſt es für unſere Zeit be-
deutſam, auf das wachſende Vordringen der geometriſch-
ſtarr ſtiliſirenden, nordiſchen Kunſt zu achten. Damit
trifft erſichtlich das moderne Beſtreben zuſammen, den
Kunſtwerth des Primitiven zu entwickeln. Somit
wird unſere moderne Ornamentik ſich zuſammenſetzen
aus Naturempfindung und dem Streben nach einfach-
ſchlagender Darſtellung. Unſer Kunſtwollen hat ſich
von der klaſſiſchen Ruhe der Antike, von der würde-

vollen Eleganz der Benaiſſance zurückgewendet zu
der uns im Blute liegenden, nordiſchen Intimität und
herben Kraft.

Die Stufen der Ornamentik ſind wir heraufge-
ſtiesen bis zu dem Standpunkt unſerer heutigen
Kunftübung. Stolz darauf, daß wieder etwas Eigeſies
ſich zu entwickeln beginnt, beſcheiden im Hinblick auf
das Erreichte und noch zu Erreichende. Die Gr-
namentik iſt die freiſte aller bildenden Künſte, am
wenigſten durch die Grenzen des Zwecks, der Technik,
des Naturvorbildes eingeengt. Um ſo nothwendiger
iſt es, daß jeder Künſtler, der ſie ausübt, ſich immer
wieder an der Hand theoretiſcher Betrachtung inner-
lich darüber klar wird, „was er erſchafft mit ſeiner

Band“,
5
Turin:
J. Internat. Husstellung

für moderne dekoratibe Kunst.
Von Dr. Heinrich Pudor.

L

— ie Turiner Ausſtellung für moderne deko-
2 rative Kunſt, auf welcher Deutſchland

hervorragend gut vertreten iſt, macht nach
Seiten der Architektur einen weſentlich dekorativen,
nach der Bichtung des Kunſtgewerbes hin einen be-
denklich bazarmäßigen Eindruck. Dieſe Klippe, darin
beſtehend, daß eine kunſtgewerbliche Ausſtellung
Gefahr läuft, zu einer Art großen kunſtgewerblichen
Verkaufsmagazins zu werden, haben allein die
Deutſchen glücklich umgangen, indem ſie vor Allem
beſtrebt waren, Innenräume zu ſchaffen und an den
Raum ſelbſtgeſtaltende Hand anzulegen. Aber auch
ſie haben nicht davon abſehen können, einige ziemlich
große Säle als Räume für Materialgruppen, alſo
wiederum im Bazar-Charakter, einzurichten. Dazu
kommt, daß gerade die größten und erſten Firmen
und Künſtler weniger beſtrebt waren, nur das Aller-
neueſte auszuſtellen, ſondern die ſich für den Verkauf
am beſten eignenden Gegenſtände aus der Produktion
der letzten Jahre. Daher kommt es, daß man hier
in Turin so vieles ſieht, was man ſchon in kunſt-
gewerblichen Magazinen, in Muſeen und in Paris
im Jahre 1900 geſehen hat. Aber auf einer der-
artigen, den Zwecken des Kunſtgewerbes und der Er-
ziehung des Publikums gewidmeten Ausſtellung ſollten
die Kunſtgewerbefirmen den Ehrgeiz haben, nur eben
ihre letzte Neuheit auszuſtellen. Immerhin kann
man dieſe internationale Uunſtgewerbeausſtellung
nicht nur ſchlechthin als Ereigniß, ſondern auch als
ein ſehr gelungenes bezeichnen.

Was die Außenarchitektur der einzelnen He-
bäude betrifft, ſo macht ſie einen ſtark ſezeſſioniſtiſchen
Eindruck, ſtellenweiſe bedenklich an die vorjährige
Darmſtädter Ausſtellung erinnernd und im Allgemeinen
ſtarke orientaliſche Einflüſſe verrathen laſſend. Wie
nahe daran dieſer moderne architektoniſche Stil iſt,
uns nur eine neue Auflage oder eine Variation des
Barockſtiles zu geben, erkennt man beſonders deutlich
an einem Gebäude, wie dem für künſtleriſche Photo-
graphie, bei dem die Vorliebe für ſchiefe Winkel ſich
bis auf die Fenſter erſtreckt: es fehlt nun nur noch
dies, daß man die Fenſterſtreben in Wellenlinien ver-
laufen läßt — bei den Eingangspforten iſt dies
 
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