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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 19
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Friedrich Schaarschmidt
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Rücklin, R.: Stufen der Ornamentik, Schluss [2]
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Vr. 19


reiftes äſthetiſches Urtheil und ein profundes kunſt-
und kulturhiſtoriſches Wiſſen verrathen. Wie die im
Sommer 1899 ſtattgehabte Bheiniſche Goethe-Aus-
ſtellung in Düſſeldorf dem vielſeitigen Manne die
gelungene GOrganiſation und den methodiſch an-
gelegten Katalog verdankte, ſo iſt auch von den um-
faſſenden Vorbereitungen zur gegenwärtigen nationalen
teunſtausſtellung daſelbſt gar Manches auf ſein
Arbeitskonto zu ſetzen und ſeiner Intelligenz zu danken.
Sicherlich hat der Verſtorbene in ſeinem ſchönen
Berufe, ſeinem Streben und ſeinem Schaffen aus-
reichende Genugthuung gefunden. Er war freilich
eine peſſimiſtiſche Natur, kein Schöngeiſt, der über
die Unebenheiten und Unbequemlichkeiten dieſes Da-
ſeins mit ſüßen Koſeworten hinwegglitt. Aber die
ſtachelige Schale umſchloß eine vornehme, grundgütige
Geſinnung und ein ſtets hülfsbereites, für ſich an-
ſpruchsloſes Weſen, um die ihn nicht nur die nahe-
ſtehenden Kollegen, ſondern Alle, welche mit ihm
fachlich verkehrten, außerordentlich hochſchätzten. Mit
Friedrich Schaarſchmidt iſt ein edler, einfacher
Menſch und ein reichbegabter Kunſtſchriftſteller dahin-
gegangen, deſſen Andenken nicht ſo bald verlöſchen
wird. —


*

Stufen der Ornqmentik.
Von B. Rücklin, Pforzheim.

(Schluß.)

— erthvolle Aufſchlüſſe über das elementare
Kunſtwollen der naiven, künſtleriſch un-
gebildeten Volksſeele geben uns die
Werke der bäuerlichen Volkskunſt, wie man ſie in
den letzten Jahren im Grient und im Occident
näher zu ſtudiren angefangen hat. In merk-
würdiger Uebereinſtimmung iſt hier die Pflanzen-
dekoration faſt durchweg in geometriſcher Umbildung
durchgeführt, untermiſcht mit einzelnen, primitiv-
maleriſch wiedergegebenen Darſtellungen. Nan mag
ja einwenden, daß zu einem linear durchgebildeten,
rein ornamentalen Pflanzenzierrath die nothwendige
künſtleriſche Uebung gefehlt habe und der „Stil“ der
Bauernkunſt kein ganz frei gewählter ſei. Sugegeben.
Aber das Kaſſige, das Stimmungsvolle, was die Er-
zeugniſſe der guten Bauernkunſt für uns haben,
beruht eben gerade auf dem organiſchen Zuſammen-
arbeiten von geometriſcher Schlichtheit und Strenge
und dem naivrunmittelbaren Erfaſſen einzelner Natur-
formen. Damit iſt wohl auch das Weſen einer jeden
primitiven Ornamentik gekennzeichnet, im Gegenſatz
zu dem abgeleiteten Ornament, welches das Heome-
triſche einer- und das Maleriſche andererſeits zu
rein ornamentaler Linienführung abſchleift und ver-
ſchmilzt.

Sobald wir von rein geometriſcher oder linearer
Verzierungsweiſe abſeben, wird jede ornamentale
Schöpfung in den Bereich der Naturdarſtellung fallen.
Auch die kühnſte Phantaſie kann darüber nicht hinaus,
ſich bei dem, was ſie künſtleriſch ſagen will, des Aus-
drucksmittels der Naturformen zu bedienen. Eine

prinzipielle Scheidung der verſchiedeney Arten, in
welcher dies geſchehen kann, iſt jedenfalls ungerecht-
fertigt. Von dem unmittelbaren Erfaſſen der Pflanzen-
form, die, äußerlich betrachtet, nur durch die Dar-
ſtellungstechnik eine dekorative Umänderung erfährt,
bis zu jenen abgezogenen und ſtrengen Formen, die
nur durch eine allgemeine Formempfindung mit ihrem
Naturvorbilde noch verknüpft erſcheinen, zieht ſich
eine ununterbrochene Abſtufung von dekorativen
Idiomen, deren letzter Urſprung ſtets in dem in-
dividuellen Kunſtwollen des Künſtlers geſucht werden
muß. Dieſes wird ſich ſelbſtverſtändlich dem Zwecke,
dem das GOrnament dienen ſoll, einzufügen haͤben.
Im Uebrigen aber iſt es von hohem Werth, die
künſtleriſche Freiheit bezüglich der ornamentalen Auf-
faſſung und Darſtellung feſtzulegen gegenüber hem-
menden äſthetiſchen Prinzipien, wie ſie aus Material,
Technik und Tradition ſchon herauszudeſtilliren ver-
ſucht worden ſind.

Eine moderne Kunſtanſchauung wird, wie bei
jedem Kunſtwerke, ſo auch gegenüber dem Pflanzen-
ornament, von dem Uunſtwollen des Schöpfers, nicht
von der Verwendung der fertigen Arbeit auszugehen
haben, wenn ſie einen Maßſtab zu deſſen kunſtge-
werblicher Einſchätzung gewinnen will. Und es iſt
dafür wohl in erſter Linie wichtig, ſich ſtets bewußt.
zu bleiben, daß zwiſchen den verſchiedenen Arten der
dekorativen Pflanzendarſtellung, ſei ſie nun vorwiegend
geometriſch, ornamental oder maleriſch aufgefaßt, ein
qualitativer Unterſchied nicht beſteben kann; nicht
einmal der Grad der Stiliſirung iſt damit bezeichnet.
Denn man kann in ganz geometriſcher Linienführung
arbeiten, z. B. in der Straminſtickerei, und doch
ſklaviſch dabei der Natur nachkriechen; und man kann
andererſeits ganz maleriſch und frei aufgefaßte und
doch ſtreng dekorativ dargeſtellte Ornamente her-
ſtellen. Mit einem Wort, es können in jeder Technik
Darſtellungen gearbeitet werden, die ſich der Natur
nach Möglichkeit anſchließen, und ſolche, die ſich ihr
möglichſt frei gegenüberſtellen. Die Grenze wird
jeweils erſt durch die mehr oder minder große Aus-
drucksfähigkeit der betreffenden Technik gegeben ſein.
Erſt was darüber hinaus geht, iſt als „ſtillos“ zu
bezeichnen.

Man kann alſo ſagen: Jede dekorativ aufge-
faßte Pflanzendarſtellung ſetzt ſich zuſammen aus
geometriſchen, linear-ornamentalen und maleriſchen
Elementen. Eines oder das andere dieſer Beſtand-
theile wird naturgemäß überwiegen und dem fertigen
Kunſtwerk ſeine Stempel aufprägen. Den Töwen-
antheil der künſtleriſchen Verwerthung der Pflanzen-
form pflegt in jeder Kunſtepoche die linear-ornamentale
für ſich zu beanſpruchen, ſo ſehr, daß man unter dem
Ausdruck „Pflanzenornament“ oder „Grnament“
ſchlechtweg überhaupt nichts Anderes zu verſtehen
pflegt. Denn die Linie in ihrer zeitlich-ornamentalen
Ausprägung iſt ſozuſagen die Architektur des Gr-
namentes. Das lineare Grnament iſt die geſetz-
mäßigſte, ausgereiffeſte dekorative Ausprägung der
Pflanzenform. In ihm iſt auch, ganz allgemein ge-
ſprochen, die harmoniſchſte, diskreteſte Stimmung ent-
halten. Der Stimmungsgehalt der geometriſchen und
maleriſchen Auffaſſungsweiſe für die Pflanzendekoration
iſt viel naiver, einſeitiger und infolgedeſſen auch
ſtärker. Da nun jede neue Kunſtepoche davon aus-
geht, einen neuen und ſtärkeren Stimmungsgehalt in
ihre Formen zu legen, ſo pflegt die Pflanzenornamentik
einer jeden Uebergangszeit von einem Stil in den
andern vorzugsweiſe maleriſchmaturaliſtiſchen oder
ſtreng⸗geometriſchen Charakter zu tragen. Wenn dann
 
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