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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 15
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Aus Prag: Rodin-Ausstellung
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Frankfurt a. M.: Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0267

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Frankfurt a. m.:
Kunſtbrieĩ.

8 ieder iſt ein Künſtler der alten Garde vom
Schauplatz irdiſchen Strebens und Wirkens
abberufen worden: Otto Scholderer. Die
über hundert Nummern zählende Nachlaßausſtellung, die
der Kunſtverein zur Zeit arrangirt hat, erweckt, wie
jede Nachlaßausſtellung, ein wehmüthiges Gefühl. Welch'
ernſtes Streben, welch' reiner, ſchöner Wille iſt da für
immer abgeſchloſſen! Scholderer war keiner von Jenen,
die auf den modernen Kunſtmarkt „en vogue“ waren.
Seine Arbeiten waren nicht viel ausgeſtellt, wenig bekannt
und noch weniger gekauft. Damit theilte Scholderer das
Geſchick der Mehrzahl jener Künſtler, die nicht von einer
Klique oder durch den unberechenbaren Zufall zu Werth
und Bedeutung auf dem modernen Aunſtmarkt gelangen
können. Wie Scholderers Naturell dem Schlichten und
Stillen zugewandt war, ſo haben auch ſeine Bilder gar
nichts auffälliges an ſich. In der Technik akkurat, in der
Farbe zart und weich, war auch ſeine Art der Kompoſition
ſehr anſpruchslos. Seine Stillleben gingen in letzterer
Hinſicht oft ſo weit, daß ſie eigentlich nur dem Kenner
Intereſſe einflößten. Scholderer war der Schwiegerſohn
des unvergeßlichen Viktor Müller und deſſen beſcheidener
und anhänglicher Schüler iſt er auch Zeit ſeines Lebens
geblieben.

Zwei Serien älterer ausländiſcher Meiſterwerke traten
im Aunſtverein die Nachfolge der nach Leipzig abgegangenen
Holländer an. Franzöſiſche und engliſche Bilder aus
der Blütheepoche der vorletzten Jahrhundertwende ſind
geeignet, dem kunſtfreundlichen Publikum eine Doſis be-
lehrender kunſthiſtoriſcher Entwicklungsgeſchichte beizu-
bringen. Zumal die Serie der alten Engländer! Conſtable,
der Vater der Stimmungslandſchaft, der Vorläufer von
Corot, Bouſſeau, Millet und der übrigen Meiſter von
Barbizon, iſt in der hier gezeigten Serie am zahlreichſten
vertreten. Doch nur ein paar Bilder übermitteln uns
ſeine Vorzüge in glänzender Weiſe; die Mehrzahl, nament-
lich die kleinen ſtudienartigen Bildchen können nur durch
das Signat einiges Intereſſe erwecken, ſie ſind trüb, roh
und fleckig und zum Theil von faſt ruinöſem Ausſehen.
Ein liebreizendes Frauenbildniß des Hofmalers John
Hoppner iſt in Weiß und Roth gehalten. Von Mor-
land ſehen wir ein feines Thierſtück und Landſchaften, von
Angelika Kauffmann ein ziemlich ſchwächliches Figuren-
bild mit Bezug auf die Mythe Cupidos.

Ins moderne Leben führte uns wieder zurück die Aus-
ſtellung bei Schneider-Andreas, wo eine Porträtſerie
von Alexander Fucks-Frankfurt zur Ausſtellung kam.
Der Maler hat vorwiegend das dankbare „lebenslängliche“
Format gewählt — Herren und Damen in gefälliger Poſa
und mit geſchmackvoller Koloriſtik behandelt. Zwei Paſtelle
von Mar Schüler-Frankfurt gehen bei aller Eleganz der
Darſtellung auch ſehr tief in die Charakteriſtik ein; der
Blick des dargeſtellten Herrn hat wirkliches Leben, und in
dem Antlitz der jungen Dame iſt der feminale Zug moderner
Lebensverfeinerung wirkſam aufgeprägt. Auch Altmeiſter
Thoma hat ſich dieſesmal aufs Porträtfach verlegt: die
Lithographie des badiſchen Großherzogs, in ſeiner einfach
kraftvollen zeichneriſchen Durchführung, erſcheint wohlge-

troffen. Die Serie von fünfzig Lithographien und Zeich-
nungen Otto Greiners iſt eine ſchöne Probe ſeiner
eminenten Zeichentechnik. In der phantaſiereichen Behand-
lung mythologiſcher Motive iſt er ſo recht in ſeinem Element,
ſchade nur, daß er ſich in der Schatten- und Lichtbehand-
lung ſeiner Akte in Abſonderlichkeiten gefällt, die auf die
Dauer ermüdend wirken. In der Behandlung der Feder-
technik iſt er ſchlechthin ein Meiſter. In ſeinen Porträt-
lithographien herrſcht zwar jene Abſonderlichkeit in der
Schattenbehandlung vor, doch wirkt die lebendige Charak-
teriſtik äußerſt eindringlich und überzeugend.

Bei Hermes dominirt Ludwig Dettmann-Lönigs-
berg mit zwölf größeren Gelgemälden. Seine Sicherheit
der Pinſelführung verleitet ihn indeſſen manchesmal zu
einer gewiſſen Art von Virtuoſität, die ihn oberflächlicher
erſcheinen läßt, als er thatſächlich iſt. Stimmung in der
Landſchaft gelingt ihm immer vorzüglich; die italieniſchen
Mondnächte, auch das „Liebespaar im Kornfeld“, das nur
im Motiv etwas draſtiſch wirkt, geben dafür einen voll-
giltigen Beweis. Ein Schlager erſten Ranges iſt das
Sonnenbild; hier hat ſich Dettmann an ein ungewöhnliches
Problem gewagt: der ſinkende Feuerball in all ſeiner
glühenden Lohe und Leuchtkraft — es iſt ſchwer, bei dieſem
Problem naturwahr und glaubhaft zugleich zu bleiben;
Dettmann iſt beides gelungen. Einer andern maleriſchen
Anſchauung huldigt Eduard Grützner-München in ſeiner
Szene aus Goethes Fauſt: „Mephiſto und der Schüler“.
Das iſt echte harmoniſche Kunſtanſchauung — für die von
Geſtern und die von Heute gleich ſympathiſch. Mit neuen
Problemen und intereſſanten Experimenten liebt ſich Meiſter
Grützner nicht zu beſchäftigen — er pflegt ſelbſtzufrieden
ſein „Genre“ und der Erfolg iſt ihm ſicher. Eine Serie
Thomabilder erweckt Intereſſe durch ein paar wenig
bekannte Bilder aus den Jahren 1869, 1882 und 1884.
Es ſind dies 2 Blumenſträuße und das Bruſtbild einer
Italienerin — echte Thomas in der ſchlichten Malweiſe
und der gedämpften Farbenſtimmung, die des Malers
frühere Bilder von ſeinen neueren unterſcheidet. Von
Schönleber iſt neu hinzugekommen: eine Marine „Vach
dem Sturme“ — ein bemanntes Brot auf hochgehender
See und ein paar Motive aus Beſigheim, die in der
Architektur Intereſſe erwecken. Zwei Belgier, Courtens
und Laermans, überbieten ſich gegenſeitig in grundver-
ſchiedener Charakteriſtik: Erſterer mit einem verblüffend
realiſtiſchen Stallinterieur und einer Waldlandſchaft in
der Art des „plue d'or“, Letzterer in zwei realiſtiſch-ſoziali-
ſtiſchen Tendenzbildern ſtärkſten Kalibers.

In Goldſchmidts Salon fükhrt Rud. Aaeſer
München eine Serie Porträts vor, wovon das große Knie-
ſtück des Abgeordneten Jordan wohl das Beſte ift. Bei
dem Bild eines ſitzenden Herrn erſcheinen die Hände etwas
zu groß gerathen. Eine Serie, vorwiegend Mädchenporträts,
iſt in ſehr maleriſch behandelter Bleiſtifttechnik ausgeführt,
die durch eine leichte Farbentönung ſtellenweiſe diskret ge-
hoben wird.

Eine Inſtitution, die von ſehr einſchneidender Be-
deutung für das hieſige Kunftleben iſt, bedeutet die Wirk-
ſamkeit des vor einigen Jahren gegründeten Staedelſchen
Muſeum-Vereins. Die Sammlungen des Muſeums ſind
in den beiden letzten Jahren um eine große Anzahl guter
Bilder bereichert worden; zwar fehlt darunter vorderhand
noch das eigentliche Galleriebild, indeſſen hat man das
Augenmerk auf die Ausfüllung von Lücken bekannter
 
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