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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 1
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Imhof, Franz: Gr. Berliner Kunstausstellung: die Plastik
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Pauly, August: Aphorismen
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0015

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Aphorismen.
Von Auguſt Paulvy.

Kae Erſcheinung thun wir ſo oft mit unſerem

Urtheil Unrecht, als Kunſtwerken und Menſchen,
und zwar immer durch den gleichen Fehler, daß wir
von einem Theil aufs Ganze ſchließen, ſchließen ſtatt
zu ſchauen, mit ruhiger Seele das Bild aufzunehmen,
in welchem ſich ihr Gehalt ausſpricht.

*

Cauter als unſere redſeligſten Vertheidiger redet
die ſtumme Zeit für uns, darum vertraut dieſer, wo
Ihr ohnmächtig ſeid gegen den Schein oder den böſen
Willen der Menſchen.

Die meiſten Menſchen können nicht meſſen, weder
auf dem Gebiet der Kunſt, noch der Menſchenkenntniß,
und darum die mittleren von den höchſten Werthen
nicht unterſcheiden.

Die Baulinie, welche in unſern Städten eine ſo
traurige Bolle ſpielt, iſt jene Linie, durch welche eine
Anzahl Philiſterköpfe in einer Heraden mit einander
verbunden werden.

Es iſt etwas höchſt Merkwürdiges und ſehr zu
Bedenkendes, daß die menſchliche Empfindung eine
Gelegenheit gefunden hat, ſich für ſich allein aus-
zuſprechen ohne einen Gegenſtand, der ihr Anlaß dazu
wäre, und ſich dabei in die höchſten Höhen zu ſchwingen,
zur tiefſten Tiefe zu ſenken, in Gegenſätzen zu ſteigern
und in allen Lagen abzuwandeln und damit wie ein
himmliſches Weſen ſich ſeine eigene Seligkeit zu ſchaffen,
und alles das mit nichts Anderem als Luftſchwingungen.
Das iſt Muſik. Alle anderen Künſte ſcheinen dadurch,
daß ſie einen Gegenſtand haben, der für den Verſtand
ſeine Sachlichkeit ausſpricht, keine ſo reinen Ahſichten
zu beſitzen, obgleich ſie ſie haben, wenn ſie ſie auch
zuweilen verlieken. Der Einzige, welcher mit dem
Tichte ſo ſpielt, wie der Muſiker mit den Luft-
ſchwingungen, daß man den Gegenſtand darüber ver-
gißt, obwohl er der gemüthsbeſtimmende Anlaß dazu
wär, iſt Rembrandt. In dem Porträt ſeiner Mutter
ſpielt die Liebe des Sohnes auf dem Inſtrument des
Lichts.

Wenn es eine Unſterblichkeit giebt, ſo muß unſere
Seligkeit in ihr dieſer Art ſein.

Aus dem — — —— der „Geſellſchaft“).
5
Gr. Berliner Runstausstellung.

VDie Plaſtit.

— ie Zeiten ſind lange vorüber, da das Niveau
der Skulpturenabtheilung auf den Berliner
Jahresausſtellungen alljährlich ein äußerſt

niedriges war. Die heimiſchen Kräfte haben, was man
auch über den künſtleriſchen Werth oder Unwerth der
heutigen Denkmälerfluth ſagen mag, ganz entſchieden durch
die Fülle der plaſtiſchen Aufgaben der Gegenwart zu wachſen
Gelegenheit gefunden. Dazu hat ſich die plaſtiſche Aus-
drucksfähigkeit, der Kreis der künſtleriſchen Empfindungen
neuerdings beträchtlich erweitert. . . . Andererſeits haben

aber die Ausſtellungen ſeit Jahren immer mehr aufgehört,
ein Spiegelbild der plaſtiſchen Thätigkeit zu geben wie
früher, als noch weit mehr projektirt als ausgeführt zu
werden pflegte und die recht ſtiefmütterlich bedachten Bild-
hauer oft gar nicht anders wie durch die Ausſtellungen den
Weg zu den Augen des Publikums finden konnten. Jetzt
haben ſie dieſen Weg ſeltener nöthig, da die Mehrzahl der
Künſtler ihre Entwürfe an bevorzugteren Stätten realiſirt
ſiekht. Somit glaubt man ſich nur alle Paar Jahre einmal
den Luxus von Ausſtellungen monumentaler Arbeiten in
Gipsabgüſſen geſtatten zu ſollen.

Unter den älteren Künſtlern bietet Ernſt Herter
einzelne Theile vom Potsdamer Denkmal Kaiſer Wilhelms L.,
zwei Beliefs und eine Diktoria vom Poſtamente. Die
Siegesgöttin iſt eine nachgeborene Schweſter der Rauchſchen
Viktorien; die beiden ſehr detaillirten Reliefs zeigen den
maleriſch⸗epiſchen Stil der Bronzebilder der Berliner Sieges-
ſäule. Hier weht kein moderner Wind; und wenn ebenſo
auch in F. Schapers Marmorgruppe der önigin Touiſe
mit dem Wilhelmskinde Niemand die traditionelle Auf-
faſſung, nämlich die der königlich preußiſchen Madonna, ver-
kennt, ſo wird doch zumeiſt bei Schapers Geſtalten durch
etwas mehr Grazie und ſinnlichen Beiz ein friſcherer Ge-
ſammteindruck erzeugt. K. v. Uechtritz hat ein Beiter-
ſtandbild des erſten deutſchen Kaiſers von ruhiger, würdiger
Auffaſſung geliefert. W. Haverkamp hat, außer einer
weiblichen Allegorie des Schiffbaues, einer ſitzend feinbe-
wegten Koloſſalfigur von edlen Formen, eine Statue des
Großen Kurfürſten in jener „lärmenden“ Poſe des Drauf-
gängers modellirt, in die die ältere Auffaſſung nun einmal
verſeſſen iſt, obwohl die geſchichtliche Forſchung längſt das
Charakterbild dieſes Kürſten ſo erheblich nach einer andern
Seite hin erweitert hat, daß man bei der ſtolzen Erinne-
rung an ihn nicht immer nur an fliehende Schweden,
fliegende Fahnen und brennende Dörfer zu denken braucht.
Der viel genannte „Antoninus Pius“ von J. Götz iſt eine
nüchterne Kombination ohne ſelbſtändigen künſtleriſchen
Werth: ein Antoninusporträt iſt hier auf einen Auguſtus-
torſo aufgepfropft. Driſchlers „Moltke“ wirkt charakteriſtiſch
und edel. Und J. Boeſes Denkmal des Induſtriellen Meier.
in Friedenshütte iſt, bei aller Stilloſigkeit, wenigſtens gut
gemeint; es wird auch ſicherlich mit ſeinem Gemiſch von
Pathos und Realismus an dem entfernten Standorte ſeinen
Zweck vortrefflich erfüllen.

In einfacheren Aufgaben, die ohne Anknüpfung an
Hiſtoriſches ein freieres Spiel der Phantaſie zulaſſen, findet
ſich Anſprechenderes. Wirklich originelle und hohe Ideen
haben ſich kaum hierher verirrt. Der ſtärkſte bildneriſche
Ausdruck, der hier einem Künſtler gelang, iſt der ſchon
anderwärts gezeigte und auch prämiirte „Sturm“ von
Robert Diez, ein Fragment jener aus antiken Fabelweſen
und phantaſtiſchen Meeresthieren kombinirten Brunnen-
gruppe für Dresden. Sonſt ſteht wieder G. Eberlein
im vordertreffen. Er iſt unter den Berliner Bildhauern
ohne Frage der wandlungsfähigſte. Nachdem er früher ſo
vieles gewagt hatte, was man ihm vom Standpunkt der
ernſten und reinen Kunſt zu verübeln ein Recht hatte,
wagt er jetzt aus der einſtigen verführerin Eva, dem
„holden Fleiſche“, eine ſehnige alte Vettel vom Lande der
belgiſchen Naturaliſten zu machen. Er wagt den unge-
ſchminkten Ausdruck der Häßlichkeit, die verzerrten Ge-
behrden der Verzweiflung, der ſich Eva an der Leiche Abels
 
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