Die Kunst-Halle — 7.1901/1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0016
DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:Imhof, Franz: Gr. Berliner Kunstausstellung: die Plastik
DOI Artikel:Kunstbrief
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leidenſchaftlich hingiebt. Den „Traum“ Marmor) ſtellt
er als einen im Schlafe geküßten ſchmachtenden Jünglings-
kopf dar. „Schlafender Menſch“ iſt ein lebensgroßer
ſchwarzgefärbter Akt von ſchroffer Wirklichkeitswirkung.
So ſtark geändert präſentiren ſich neuerdings Tendenz und
Stimmung der Aunſt Eberleins. Auch in der trauernden
„Eva“ von Lajos Lukacſy (Budapeſt), die dunkelgrün ge-
tönt iſt, pulſirt eine ſtärkere Leidenſchaft. Der „Kain“ von
Mark Dedres (ipeſt), ein dahinſchreitender junger Mann
von gemeiner Geſichtsbildung, iſt ein ſchlecht proportionirter
Akt. „Die Qual“ von O. Kichter Gerlin), verbildlicht
durch einen am Boden unter Schlangenbiſſen ſich windenden
Jüngling, iſt jedenfalls eine temperamentvolle fleißige
Arbeit.
Unter den ferner vorhandenen lebensgroßen Figuren
und Gruppen begegnen wtr noch mehreren gelungenen
Bildwerken. Ein ſolches Werk von friſcher Lebendigkeit
iſt „der Athlet am Start“ von Hans Arnold; nur über
das Motiv der Bewegung, ob Bingkampf oder Lauf, könnten
Zweifel auftauchen. Der ſchlanke träumende „Endymion“
von Emma Cadwallader Guild, der ſtrebſamen ameri-
kaniſchen Künſtlerin, von welcher dieſes Heft zwei kürzlich
im hieſigen Kunſtſalon von Mar von KBüdiger ausgeſtellte
Büſten bringt (vgl. Abbldg.), iſt vortrefflich im Sinne der
antiken Fabel als der blaſſe ekſtatiſche Mondſchwärmer auf-
gefaßt; die plaſtiſche Formenſprache hat darnnter vielleicht
gelitten. Das Beſte iſt aber auf dem Gebiete des weib-
lichen Aktes geleiſtet. Ernſt Wencks (erlin) an einer
Quelle hockendes „trinkendes Mädchen“ (Marmor) hat be-
reits die gebührende Anerkennung durch den Ankauf der
kHönigl. National-Gallerie gefunden. Ernſt Webers (Berlin)
„Strandidyll“ oder Mädchen mit Schildkröte beſitzt nicht im
gleichen Maße den lieblichen Reiz des Mädchenkörpers
jener Trinkerin. Auch Eruſt Seger iſt ein Derkünder
femininer Schönheit, hier weniger in der tanzenden Mänade,
die durch die Uebertragung der kleinen vorjährigen Bronze
in Marmor und lebensgroßen Maßſtab alle Unbefangenheit
einbüßte, als in der Gipsgruppe „Der Frühling erweckt
die Natur“, die dieſer feinfühlige Allegoriſt durch ein
jugendliches Paar, anklingend an die Amor und Pſpche-
Begegnung, verbildlichte. Weiter ſeien im Anſchluß hieran
zwei Grabmäler erwähnt: Fritz Hausmanns Erankfurt
a. M.) trauerndes Weib von ſchlichter, milder Schönheit
und Bans Dammanns Sarkophag mit einem darauf
ſitzenden weiblichen Genius, der keine tiefere Beſeelung zeigt.
Was ſonſt noch in dieſer Gruppe idealer Werke den
Beſuchern auffällt, ſteht ſichtlich in Abhängigkeit von
hiſtoriſchen Vorbildern, wie G. Schreyöggs bewegter Vaſen-
träger, den man für eine Figur der Hochrenaiſſance halten
könnte. J. Weirichs Rom) Gruppe „Der todte Abel“
mit Adam, der den getödteten Sohn in den Armen hält,
fügt dem antiken Pasquino-Motiv nur eine dritte Figur,
die der Eva, hinzu. Ebenſo wirkt Mar Kleins koloſſaler
gefeſſelter Simſon wie eine Ableitung von dem Herkules
Farneſe. Und W. Wandſchneiders fleißig durchgebildeter
lebensgroßer Gekreuzigter löſt die Aufgabe im Geiſte der
reifen Epoche der Spätrenaiſſance.
Die große Zahl porträtiſtiſcher Arbeiten, die faſt
durchweg auf der Stufe anſtändiger Tüchtigkeit ſtehen, aber
auch nirgends über dieſes Maaß binausgehen, kann nicht
den Anlaß zu ausführlichen Details über dieſe Büſten
u. dgl. geben. Mir fielen die männlichen Büſten von
A. Tondeur (Orof. Radecke), Ernſt Herter Miniſter Boſſe)
R. Engelmann Göcklin), H. Hidding Marmorherme des
Chemikers von Hofmann), B. Kruſe (Graf Walderſee),
Berwald-Schwerin (Prinz-Gemahl der Niederlande) Lewin-
Funcke, Manthe, die weiblichen Köpfe von G. Branca,
Joſef Limburg, Arthur Hoffmann und einige hübſche
kinderbüſten von Fritz Heinemann und Karl Uornhas be-
ſonders auf, ohne daß mit dieſer kleinen Ausleſe alles
Nennenswerthe unter den Bildniſſen erſchöpft ſein dürfte.
Außerdem weiſe ich noch auf das beträchtliche Material
von Kleinplaſtiken in Bronze, Marmor, Holz, Gips
u. ſ. w. hin. Ich ſtreife nur flüchtig einige Beiſpiele von
ſtärkerer Eigenart oder von intimem Beize: die beiden
ſchon früher erwähnten, energiſch modellirten Figuren
„Prometheus“ und „Aphrodite“ von Hermann Prell,
die empfindungsvollen Gruppen von G. Richter „Der
Abend“, A. Sommer „Pro Patria“, die trotz ihrer Klein-
heit wuchtig wirkende Gruppe von J. Dupon (Antwerpen)
„Simſon als Löwentödter“, die aus Holz geſchnitzte, tief-
beſeelte Nacktfigur des „Künſtlers“ von Alexander —
die zierlich friſche „Muſchelvenus“ von Leo Koch, die fein
individualiſirten Porträtköpfchen von J. Schichtmever,
die Humoreske „Erblich belaſtet“ von Paul Geſten, die
Bronzeplaketten von Marie von Gießendorff und endlich-
die drolligen Hundeproträts des geſchickten Meyer-Ppritz —
nur um mit dieſer Auswahl den Beweis zu erbringen, daß
es auch der vorliegenden Abtheilung weder an Mannig-
faltigkeit der Motive, noch an guter Qualität gebricht.
Quantitativ reichte ſie freilich nicht aus, um für ſämmtliche
Säle eine gleichmäßige Ausſchmückung mit dieſer ſo gern
geſehenen Kleinkunſt dieſes Mal zu ermöglichen. Aber es
war dem Beſucher und Kritiker der Ausſtellung eben darum
leichter, den Weizen von der Spreu, das künſtleriſch Ernſt-
hafte von der Dutzendwaare zu ſcheiden.
Franz Imhof.
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Kuystbrief.
Frankfurt a. Main.
ie Fluthwelle von Uollektivausſtellungen, die
jahraus, jahrein unſer Uunſtleben ſtimulirt,
pflegt hier während der Sommermonate einiger-
maßen abzuflauen. Da aber während dieſer Zeit weder
der Kunſtverein, noch unſere übrigen privaten Kunſtſalons
ihre Pforten ſchließen, brachte auch dieſer Sommer für das
künſtleriſche Leben mancherlei Anregendes.
Im Kunſtverein füllte die reichhaltige Sammel-
ausſtellung des Künſtlerklubs „Apelles“ in Weimar den
großen Gberlichtſaal faſt vollſtändig. Die Gruppe, die neben
einigen älteren bekannten Namen vorwiegend jüngere Land-
ſchafter zu ihren Mitgliedern zählt, brachte mancherlei
Intereſſantes, vor Allem maleriſch und modern empfundene
Motive aus dem Thüringerland — die alte Spezialität der
Weimaraner, wie für die Larlsruher der Schwarzwald, für
die Frankfurter der Taunus. — Der Münchener Wilh.
Geffken zeigte mit ſeiner kleinen Sammlung räumlich
kleingehaltener Bilder ſein eminentes Karbengefühl und ſeine
Begabung für diskrete Tonwirkung. Seine Bokokodämchen
haben nichts von der ſüßlichen Glätte der konventionellen
Salon⸗- und Koſtümmaler, ſie ſind lediglich maleriſch em-