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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 4
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Ruhemann, Alfred: Von belgischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0065

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ganz nach Paris zu überſiedeln, daß die praeraffaeliſch
angehauchten Khnopff und Guſtave M. Stevens
überhaupt nicht für voll und PBlämen angeſehen
werden, daß der Symboliſt Delville beſſer daxan
that, ein Profeſſorat in Glasgow anzunehmen. Hie
ſaftige, die Sranzofen ſagen ſelbſt bäuriſche Realiſtik
der vlämiſchen Bildermalerei und Bildhauerei iſt
eben noch immer ſo urgeſund, daß ſie über die Kon-
zeſſion einer Anbequemung an die neuen Techniken
nicht hinausgeht. Damit hat ſie den Anforderungen
des Fortſchrittes Genüge gethan. Auf dieſe Weiſe
alſo treibt der belgiſche Kunſtbaum ſtets dieſelben
Biüthen. An das Wiedererwachen der vlämiſchen
Uunſt ſeit 1830 knüpfen die ganz Modernen folge-
richtig an. Es iſt immer daſſelbe Ei der einſtigen
Tervueren Schule, das ſich noch heute bewährt und
von den Jüngſten immer wieder gelegt wird. Kaum,
daß es Zrößer geworden iſt. Schöner gewiß nicht,
höchſtens unſolider, was aber weniger Schuld iſt
einer etwa geringeren Begabung, ſondern der haſti-
geren Arbeit, der verminderten Gediegenheit der
Technik und der größeren Anſprüche an das Leben.
Dafür beſitzen die heutigen belgiſchen Künſtler eine
größere Kühnheit, eine ausgeprägtere Realiſtik, eine
unſtillbarere Freude an der Aufrichtigkeit in der
Viedergabe. Sie ſcheuen vor keiner Schwierigkeit


befriedigen können, ihr Vexlangen nach der Natur.
Deren echte Kinder find ſie denn auch, mit allen
Schönheiten und auch Launen ihrex Mutter begabt.
Sie ſind alſo in erſter Linie deshalb bewunderns-
werth, weil ſie in heiligem Wettkampfe bemüht ſind,
der Ratur, ihrer großen Mutter, ſo nahe als mög-
lich zu kommen. Sie predigen keinen ausgeſprochenen
Stil, ſie liefern keine littecariſche, eher eine grobe
Kunft. So intereſſant dieſes Bingen um die Wahr-
heit iſt, ſo geben ſie auf der anderen Seite eben
keine Gelegenheit zu Ueberraſchungen außgexhalb des
Ureiſes der angeborenen Leiſtungen ihrer Raſſe. Herade
ſo, wie die Natur ſelbſt uns ſo gut wie keine Ueber-
raſchungen mehr bieten kann. Es bleibt alfo nach
wie vor nur zu beobachten, wie ſich die individuelle
belgiſche Kunſt auf der Baſis der nationalen Ueber-
einſtimmung entwickelt und zeigt. Es bewährt ſich
auch hier die Bichtigkeit des Ausſpruches, daß wer
die Technik beſitzt, wohl malen kann, daß aber erſt
die eigene Perſönlichkeit den Künſtler ſchafft. . Alſo
keine Ueberraſchungen ſind zu melden, höchſtens
größere Fertigkeiten, Beſtätigungen des Talentes von
bereits als Fortpflanzer der guten Eigenſchaften der
belgiſchen Kunft ſignaliſirten hieſigen Männern der
Dalette und des Modellirholzes. Eine kleine Ueber-
ficht von Namen und Ereigniſſen.

Man möchte faſt ſagen, daß unter den Letzteren
das Hauptereigniß in der hieſigen Kunſtbewegung,
der diesjährigẽ Salon, faſt gaͤrnicht gezählt hat.
Auf Ueberraſchungen in den offiziellen Kunftaus-
ſtellungen iſt man wohl überhaupt ſelten oder nie
gefaßt! Das Publikum wenigſtens. Die Künftler
döchſtens deshalb, weil ſie, in der Mehrzahl als
Ceidtragende, zuſehen müſſen, wie einmal ſchlecht
und parteiifch gehängt und auf der anderen Seite
ebenſo ſchlecht und paͤrteiiſch für die amtlichen Kunft-
ſtätten eingekauft wird. Dem Turnus gemäß, fand
der Salon heuer in Antwerpen ſtatt, ein Umſtand
mehr, um ihm ſeinen Reiz zu nehmen. Es iſt gerade-
zu befremdlich, wie ſehr in Antwerpen, deſſen Akademie
noch immer erſtklafſige Künſtler liefert, der Geſchmack
an den ſchönen Künften zurückgegangen iſt. Kem

Wunder, daß die dort ausübenden Künſtler der
Scheldeſtadt möglichſt den Bücken kehren; ſie finden
in der belgiſchen Handelsempore ſowohl kein Ver-
ſtändniß, als auch keine Motive mehr. Das alte
pittoreske Antwerpen iſt ſchon lange verſchwunden,
und um die unvergleichlichen Schönheiten der Schelde
ſelbſt landſchaftern zu können, braucht man gewiß
nicht in Antwerpen ſelbſt zu wohnen. Jetzt kommt
noch der kraſſe Gegenſatz in den Kunſtrichtungen
ſelbſt hinzu. Antwerpen will das Andenken und die
Schule des unſterblichen Leys nicht untergehen laſſen.
Wohl verſtändlich und ſelbſt nothwendig in einem
Cande, das überhaupt und prinzipiell immer mehr
die Geſchichts- und Genremalerei hintenanſetzt, weil
es dieſe für todte Künſte hält. So lange ein Karel
Goms und ein Albrecht de Vriendt lebten, denen der
diesjährige Salon beſondere Säle eingerichtet, ver-
ſteht man auch ſehr wohl dieſen Wunſch der Ant-
werpener. Juliaan de Driendt, der heute das Szepter
der dortigen Akademie ſchwingt, iſt auch noch einer
von der ſtarken Baſſe der Hiſtorien- und Bibelmaler.
Aber wer folgt dann? Faſt ſcheint es, als ob die
ganz Modernen, die in Brüſſel und Gent ſitzen, über
Antwerpen, das ſie überhaupt nicht mehr für voll
anſehen, triumphiren werden. Aus Aerger darüber
ließ die Antwerpener Bürgerſchaft den Salon völlig
in das Waſſer fallen. Die Brüſſeler ſchickten Bilder
hin, an welchen wir uns hier bereits in den Aus-
ſiellungen der einzelnen Vereinigungen und des
„Cereſe artistique‘‘ ſatt geſehen. Obgleich man ein
gutes Bild bekaͤnntlich immer ſehen kann, ſtumpfen
diele gute Bilder, kurz hintereinander genoſſen, die
Luſt an Entdeckungen in feierlichen Salons recht ſehr
ab. Der Antwerpener Salon vergrößerte mit einem
Worte die Diſſonanz zwiſchen Antwerpen und Brüſſel,


die Brüſſeler Mitbewerber um den Rompreis ſich
von den Antwerpenern hintenangeſetzt fühlten. Mit.
Becht, aber weniger durch Schuld der Antwerpener,
denn der erſte Bompreis iſt diesmal überhaupt
Niemandem zugeſprochen worden, als durch die
Schuld der veralteten Handhabung dieſer Preisbe-
werbungen. Und jene Diſſonanz wurde noch ver-
ſtärkt durch die faſt brutale Ablehnung eines genialen
vlämiſchen Malers, den Holland an Belgien abge-
treten hat, des Helldunkel-Realiſten und die Heilige
Schrift auf das Bauernleben ſo unvergleichlich packend
übertragenden Jakob Smits. Smits wohnt zwar in
den Kempen, dicht bei Antwerpen. Man glaubt ihn
aber unter der Aegide der Brüſſeler Kritifer und
Schöngeiſter, damit iſt er für die Antwerpener in
Acht und Bann gethan, wenigſtens für die große
Maſſe der Uirchthurmpolitik-Philiſter.. Und ſo ge-
{chah es denn, ein Wunder beinahe, daß die Deutſchen
diesmal den Brennpunkt des belgiſchen Salons bil
deten. Sie waren in ſtattlicher Sahl erſchienen, einige
Siebzig, Lenbach, die Worpsweder an der Spitze.
Belgien hat jetzt endlich wieder einmal Beſpekt vor
uns bekommen. Man glaubte uns noch immer um
zwanzig Jahre zurück. Nicht mit Unrecht, denn was
man hier ſeit vielen Jahren von deutſcher Kunft ge-
zeigt — ich nehme Lenbach, Böcklin, Ceibl, von Uhde,
Zkarbina, Stuck, Liebermann und ſo fort aus — war
wirklich nicht weit her. Andererſeits kann ich es den
deutſchen Künſtlern nicht verdenken, daß ſie nichts
Impofantes und Erſtklaſſiges nach Belgien geben:
Zekauft wird hier doch nichts. Dann aber beſſer
garnichts herſenden. ;

Der Salon hat ſoeben geſchloſſen, es weint ihm
 
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