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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 18
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Rücklin, R.: Stufen der Ornamentik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0316

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Yir. 18

Freilich, wohl bei keiner tritt dies in dem Maaße vor's
Auge, als gerade hier. Aber, dies auch zugegeben,
glaube ich doch nachweiſen zu können, daß das
Pflanzenornament in ſeinem ganzen Umfange nichts
iſt, als die Darſtellung der Pflanze in der Vutzkunſt,
alſo in ihrem innerſten Weſen eine darſtellende Kunſt
iſt, wie jede andere auch. Daß man die künſtleriſche
Ausdrucksweiſe der GOrnamentik in verſchiedene
Stufen zerlegen kann, ſoll der Inhalt meiner weiteren
Darlegung ſein.

Man ſtiliſirt von drei Geſichtspunkten aus. Man
ſucht einmal dadurch die Darſtellung der Pflanze in
gewiſſen Materialien und Techniken zu ermöglichen;
man beabſichtigt zweitens durch die Darſtellung der
Pflanze beſtimmte ſtatiſche Thätigkeiten auszudrücken,
und man will zum letzten durch eben dieſe Darſtellung
einen beabſichtigten Stimmungsgehalt ausprägen.
Das Ausdrucksmittel iſt immer Darſtellung der
Pflanze, aber, — und dies iſt der Kernpunkt der
Grnamentik, — nicht des zuſammenhängenden Organis-
mus derſelben, ſondern derjenigen Formelemente,
welche ſich für den vorliegenden, ſpeziellen Kunſtzweck
eignen. Mit einem naturaliſtiſchen Pflanzenornament
hat die moderne Bewegung in der Vutzkunſt ein-
geſetzt, oder, — ich möchte mich nicht mißverſtändlich
ausdrücken —, hat ſie geglaubt einzuſehen. Ein
naturaliſtiſches Pflanzenornament im eigentlichen Sinne
zu erfinden, mußte ihr ſchon aus dem einfachen
Grunde unmöglich ſein, weil das ein innerer Wider-
ſinn iſt. Naturaliſtiſch arbeiten heißt die Formen der
Natur möglichſt genau wiedergeben; da hört alſo
die Ornamentik auf, deren Weſen eben darin beruht,
dies nicht zu thun. Zwar iſt auch ſie eine darſtellende
Kunft; aber ihr Endzweck iſt nicht, die Naturformen als
ſolche darzuſtellen, ſondern ſie als Ausdrucksmittel zu
benutzen für ihre ganzſelbſtſtändigen Darſtellungszwecke.

Man würde über dieſe Dinge vielleicht leichter
zur Klarheit kommen, wenn wir uns entſchließen
könnten, an Stelle der unklaren Begriffe „darſtellend“
und „ſtiliſirend“ die prägnanteren Ausdrücke „natu-
raliſtiſch darſtellend“ und „dekorativ darſtellend“ zu
ſetzen. Die erſtere Arbeitsweiſe hätte die ſtrenge Natur-
darſtellung zum Hauptzweck, die zweite die freie, zur
Erreichung eines dekorativen Eindrucks umgemodelte.
Von dieſem Geſichtspunkte aus bedeuten dann die
Stufen der Grnamentik nichts Anderes, als die ver-
ſchiedenartigen dekorativen Ausprägungen der Pflanzen-
formen gegenüber dem Naturvorbilde.

Die Elemente der Naturerſcheinung ſind linearer,
plaſtiſcher und farbiger Natur. Alle drei können in
der verſchiedenſten Weiſe dekorativ abgewandelt und
— denn darauf kommt es, praktiſch geſprochen,
hinaus — vereinfacht werden. Wenn im Nach-
folgenden vorzugsweiſe von der Linie die Bede ſein
wird, ſo geſchieht dies aus Sweckmäßigkeitsgründen,
weil es leichter iſt, ſich theoretiſch über Linien, als
über Plaſtik oder Farbe zu verſtändigen.

Ich unterſcheide dreierlei Arten der dekorativen
Pflanzendarſtellung: die geometriſche, die ornamen-
tale und die maleriſche. Die erſte ſchematiſirt
das natürliche Pflanzenvorbild nach geometriſchen
Geſetzen, oder, anders ausgedrückt, ſie verwendet
Elemente der Pflanzenform, um ein geometriſches
Gerippe damit zu umkleiden. Die zweite legt ihrer
Darſtellungsweiſe einen beſtimmten Linienzug zu
Grunde, der eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem
Zchreibzuge der Hand hat und der ſich in jeder Kunſt-
epoche charakteriſtiſch auszubilden pflegt. Die maleriſche
Art der dekorativen Pflanzendarſtellung charakteriſirt
ſich als eine individuelle Ausprägung des unmittel-
baren Vatureindruckes mit den einfachſten Mitteln.

Wie jedes theoretiſche Syſtem, hat auch das
aufgeſtellte für die Praxis nur bedingungsweiſe
Gültigkeit, und es giebt wohl kein Ornament alter
und neuer Zeit, das reſtlos in eine der drei Ab-
theilungen unterzubringen wäre. Schließlich hat ja
jeder Künſtler ſeine eigene dekorative Auffaſſung, in
der die drei aufgeſtellten Typen mehr oder weniger
durcheinanderſpielen werden; aber es wird das nicht
in gleichem Maße ſtattfinden, und man wird be
rechtigt ſein, die vorwiegend zum Ausdruck kommende
Darſtellungsart in der angegebenen Weiſe zu
präziſiren.

Ob das einen Werth hat? Ich glaube doch.
Man hat ſich bisher damit begnügt, die Eintheilung
der Grnamentik nach ſachlichen, äußerlichen Geſichts-
punkten vorzunehmen. Man hat bandartige, flächen-
füllende, frei endigende Ornamente u. ſ. w. unter-
ſchieden. Das entſpricht unſerer modernen Kunſt-
anſchauung nicht mehr; denn dieſer erſcheint das
dem Uunſtwerk zu Grunde liegende Kunſtwollen, die
in ihm ſich ausprägende künſtleriſche Ausdrucksweiſe
für eine ſyſtematiſche Eintheilung als grundlegender,
als die äußerliche Einheit der geſtellten Aufgabe.
Es ſei geſtattet, an einigen Beiſpielen zu zeigen, wie
eine Betrachtung hiſtoriſcher Ornamentformen von
unſerm Geſichtspunkte ſich ausnimmt.

Die klaſſiſch⸗griechiſche Pflanzenornamentik charak-
teriſirt ſich als die reinſte Ausbildung einer geometriſch-
ornamentalen Pflanzendarſtellung. Die Maſſenver-
theilung iſt eine faſt ausſchließlich geometriſche, was
ſich entweder in reihenweiſer Wiederholung deſſelben
Motivs oder in ſymmetriſcher Anordnung ausſpricht.
Der Ureis, die Gerade, die ſtrenge Spirale werden
der Kompoſition mit Vorliebe zu Grunde gelegt.
Auch die Palmette, das Ornament der radialen
Strahlung, iſt eine vorwiegend geometriſch behandelte
Darſtellung. Ebenſo zeigt der Akanthus der Antike
in dem Parallelismus ſeiner Bippenlinien, in den
bogigen Ausſchnitten, in den ſtarren Sacken eine er-
ſichtliche Steigung zu geometriſcher Linienführung.
Die Wuchslinien des antiken Pflanzenornamentes ſind
meiſt der geometriſchen Spirale angepaßt. Jedenfalls
zeigen ſie immer eine ſtruktive, tektoniſche Auffaſſung,
 
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