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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Imhof, Franz: Michelangelo Redivivus!
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Harrach, Max: Düsseldorf 1902: Deutsch-nationale Kunstausstellung, Schluss [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0030
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20

Die A u n st - l) a l l e.

Icr. 2

würde, wollte man sie in eine parallele etwa mit Raffacl
bringen, ehrt sie dagegen der Vergleich mit Michelangelo un-
gemein. Und so säumen denn die Zeitgenossen nicht, mit
diesem Titel denen aufzuwarten, für die sie Ehren und Ruhm
am heftigsten begehren.
Noch ist es in Aller Gedächtniß, bei welchem Anlaß und
von welcher erhabenen Seite über den ausgezeichneten Berliner
Altmeister Reinhold Begas das Wort „unser Michel-
angelo" gefallen war. Die Zustimmung zu dieser Ehrung hat
mit den Jahren nicht gewonnen, zumal inzwischen Andere für
den Titel vorgeschlagen wurden. Der Michelangelo Redivivus
hat für die Plastik gleichsam die Bedeutung gewonnen, wie in
der Sportwelt der „Olmmpion ok tlle V^orlcl". Auch darin
besteht die Ähnlichkeit, daß gewöhnlich Mehrere sich um. den
Vorrang der Weltmeisterschaft streiten, und die Anhänger
allein ihren Champion gekrönt sehen wollen, pören wir,
welche Künstler außer R. Begas sür jenen Ehrentitel bisher
in Frage gekommen, d. h. von ihren Anhängern vorgeschlagen
worden sind.
Da ist zunächst der berühmte Belgier Constantin
Meunier, der in seinen Darstellungen des wallonischen Berg-
arbeiters so robuste und ergreifend wahre Typen schuf. Aber
Viele finden, daß der Vergleich mit dem Schöpfer der
sixtinischen Decke und der Medieeergrabsiguren doch ein wenig
hinke.
In Berlin lebt schlecht und recht der Maler Lesser
Ury, der, nachdem er schon vorher das Urtheil einiger Kritiker
durch verschiedene klobige, fürchterlich gemalte Athletengestalten
verwirrt hatte, auch plötzlich einen tiefsinnigen Jeremias in
Lebensgröße darstellte. Der unglückliche Jeremias lag mit
seinen verkrümmten Gliedern und schiefgetretenen Stiefeln vor
einem dunkelblauen Sternenhimmel. Gb solcher höchst in-
dividuellen künstlerischen That erschallte damals aus den
Spalten zweier Berliner Blätter der bewundernde vergleich
mit Michelangelo. Man erinnerte sich, daß jener einst an der
sixtinischen Decke „auch" einen Jeremias gemalt hatte.
Mir liegt die neueste Biographie Max Klinger's von
perrn Brieger-Wasservogel (Verlag Permann Seemann Nach-
folger, Leipzig t9O2) vor. Da bildet in der Besprechung der
Plastiken des genialen deutschen Meisters der Vergleich mit
Michelangelo den rothen Faden. Da heißt es bei An-
führung der „Kassandra" Klinger's P895): „Sicher hat K.
gleich Michelangelo bis jetzt sein Größtes als Bildhauer ge-
leistet. In richtiger Lrkenntniß dieser Thatsache hat
er u. s. w." Dann leitet uns der Verfasser in die Berliner
Nationalgalerie, um uns dort die einzige Skulptur Klinger's
zu zeigen: „Grausige Einöde, plötzlich mitten hinein der Blitz
von dem Werke eines Großen. Wie einsam ist doch jede
Größe! Da steht nun die Amphitrite im ersten Cornelius-
saal." Ferner S 255 eine Bemerkung des jugendlichen Bio-
graphen über Klinger's Beethovenstatue: „Das rechte Bein
ist sinnend über das linke geschlagen." Das köstliche Buch
gehört entschieden auf den Tisch der „lustigen Seh—Zessions-
Ausstellung".
Kürzlich las ich im „Zeitgeist" einen Aussatz von
G. Simmel über „Rod in's Plastik und die Geistesrichtung
der Gegenwart", perr Simmel ist außerordentlicher Philosophie-
Professor in Berlin, und so fühlt er sich verpflichtet, mit seinem
schweren philosophischen Geschütz gegen die Vorurtheile der-
jenigen anzurücken, welche Rodin's einziger Größe die An-
erkennung versagen, „wenn Geschichte einer Kunst Entwick-
lung neuer Stilformen statt ihrer Wiederholung ist, so beginnt

die Geschichte der Plastik, die mit Michelangelo geendet
hat, mit Rodin wieder! Rodin hat die erste prinzipielle
Wendung von dem Scheina der Antike weg vollbracht — und
zwar nach der Seite eines neuen Stiles hin . . . Nur in
einem Th eil des Rodin'schen Gesammtwerkes herrscht un-
zweideutig der neue Stil, der in Rodin durch die Verschmelzung
des modernen Geistes mit dem Kunstgefühl Mi che l a nqe lo's
gezeugt wurde — jenes gleichsam als das weibliche, dieses als
das männliche Prinzip gedacht." Nun wissen wir's.
Der Leser wird sich im Anschluß daran wohl noch der Be-
merkung von pelen Zimmern im vorigen peste der „Kunst-
palle" erinnern:' „Lin Besuch bei Rodin". „Dann be-
wundern Sie gewiß Michelangelo, der ein Revolutionär-
war wie Sie?" In seinen grauen Augen blitzte cs auf . . .
„Der ist mein Meister, mein Idol." Das klingt doch ein
wenig bescheidener.
. . . Unsere Zeit leidet bei allen ihren historischen Ver-
gleichen sozusagen an der Krankheit oder Schwäche des „Super-
lativus". Aehnlich den kleinen Kläffern, die sich sehr an-
strengen müssen, um mit ihren: Gebell durchzudriugcn, ge-
berden sich die panegyristen von heute, wir stehen mit
unseren künstlerischen Leistungen wahrlich noch so weit zurück
gegen die pervorbringungen der edelsten Kunstepochen der Ver-
gangenheit, daß wir nicht so leichtfertig bei der Wahl des
Maßstabes sür jene sein sollten. . . Aber was sind solche Vor-
haltungen dem Größenwahn? Allein Anschein nach ist die
Reihe der modernen Künstler noch lange nicht erschöpft, welche,
dank dem Eifer ihrer Biographen, auf den Ehrentitel eines
Michelangelo Redivivus ernsthaften Anspruch erheben.


ZÜ55e!öorf 1902:
Zeustcli-nslionsle Runrtaurstellung.
Von Max parrach, Frankfurt a. M.

VI. (Schluß.)
-P/T^ie erste Frage, die sich der Besucher der kunstgewerb-
liehen Abtheilung der Düsseldorfer Ausstellung
zurechtgelegt hat, lautet naturgemäß: wie steht es
mit den Fortschritten des sog. modernen Stils? Denn wie
auf jeder neuzeitlichen Ausstellung dieser Art ist auch in
Düsseldorf das Kunstgewerbe ohne Beiträge in: modernen Stil
nicht gut denkbar. Für mich hat dieser Stil noch niemals so
sehr seinen exklusiven, ich möchte sagen unpopulären Charakter-
bewiesen, wie dieses Mal in Düsseldorf, wir sehen hier, daß
es sich — vor der pand und für eine absehbare Zukunft
wenigstens — um Leistungen handelt, die nur für einen kleinen
Kreis Besitzender berechnet sind. Die Ueberfeinen und Blasirten
sind zumal seine Abnehmer. Sobald die Industrie versucht,
der Sache in fabrikmäßigem Sinne näher zu treten, um wohl-
feile Erzeugnisse herzustellen, werden diese roh und geschmack-
los. Es ist, wie wenn- ein Maler von einem seiner Werke,
das er mit Impuls geschaffen hat, Dutzende von handwerks-
mäßigen Kopien herstellt oder Herstellen läßt. Der Grund-
charakter der Arbeit ist wohl derselbe geblieben, aber die
persönliche Note ist abhanden gekommen.
von den Führern des neuen Stils hat sich penry van
de Velde mit einer größeren Serie eingestellt. Der Künstler
 
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