Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Gagliardi, Ernesto: San Gimignano delle belle torri!
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Aunst-Ls alle. Nr. so

kalt lassen, die Darstellungsart jedoch packt uns
beim ersten Blick und macht sieden zum eisrigen
Gläubigen. Je länger der Zuschauer sich in die Be-
trachtung dieses weltentrückten Meisterwerkes vertieft,
das selbst Rom und Florenz zur Hauptzierde gereichen
würde, desto klarer wird ihm der Urbegriff absoluter
Schönheit. Der nicht besonders große Thor ist an
beiden Seitenwänden in vier längliche Felder geteilt,
darüber eine große Lünette; an der Hinterwand be-
finden sich auf jeder Seite des geräumigen Fensters
zwei längliche Felder und darüber die sichelartigen Ab-
schnitte der Lünette, die sich an den gothischen Bogen
des Fensters anschließen. Jede Spanne der großen
Flächen ist mit den Schöpfungen des Meisters bedeckt,
bei welchem wir nicht wissen, ob wir mehr die Phantasie
oder die Gesühlstiefe, die Mannigfaltigkeit oder die An-
muth zu bewundern haben, welchen Gegenstand er
auch gewählt hat, er versteht ihn zu einem Meisterwerk
zu gestalten, dessen Zauber sich Niemand entziehen kann.
Line Unmenge von lebenswahren und anmuthigen Ge-
stalten, immer neue Gruppirungen, keine Eintönigkeit
in den Trachten, ein unerschöpflicher Neichthum an
Ornamenten und vor Allem die Tiefe des Gemüths,
aus welchem die Großen der Renaissance schöpften,
enthüllen uns den Kern und das Wesen ihrer unerreich-
baren Erfolge. Die architektonischen Motive, die
Benozzo bei diesen Bildern mit der Ueberfülle des
Genies verschwendete, waren für die damalige Zeit
geradezu eine Offenbarung. Städtebilder, Bogenhallen,
Interieurs, Alles von einer Zierlichkeit und Vornehm-
heit, die unsere Blicke entzücken, wie die Sonne die be-
rückenden Landschaften beleuchtet, von denen wir im
Hintergründe dieser Wandgemälde so köstliche Proben
vor uns haben. Erstaunlich ist die Meisterschaft in der
Perspektive, die verblüffenden Verkürzungen, die scharfen
Gegensätze in der Farbe, die das Ganze so plastisch
und räumlich ausgedehnt hervortreten lassen. Da hat
Benozzo in dein Gemälde, das die Ankunft des jugend-
lichen Agostino in Mailand darstellt, eine große, gedeckte
Bogenhalle durch ein sein abgetöntes Grün so zur
Geltung gebracht, daß wir nur zu gut begreifen, wie
all' die Neugierigen so bequem darunter Platz finden
konnten, wie mannigfaltig und zierlich die Ornamente
sind, die als Verbindung zwischen den einzelnen Feldern
dienen, läßt sich mit Worten nicht ausdrücken; sie stehen
den schönsten von Raffael in den Loggien keinesfalls
nach. Die schönsten von diesen s? großen Wandbildern
sind: die Uebergabe des Wunderkindes Agostino an
seinen ersten Lehrer, der Tod von Monica, der gottes-
fürchtigen Mutter des großen Kirchengelehrten, sowie
dessen eigener Leichenzug. Alle diese Kompositionen
sind von demselben Geist durchdrungen, ja erleuchtet,
den wir au den Werken eines Giotto, Frate Angelico
und selbst eines Tarxacci bewundern, ein Geist, der
zum unsäglichen Nachtheil der Kunst mit dem Glauben
erloschen ist, der solche Wunder zu Stande brachte.
Der große Bogen am Eingang des Thors trägt auf

den Pfeilern links und rechts je drei Kirchenväter, die,
wie erhaben über jede menschliche Schwäche, aus ihren
Nischen hervortreten, während an dem Bogen selbst
eine Anzahl Medaillons von Madonnen und Engelchen
aus tiefblauem Hintergrund von holdestem Liebreiz sind.
An der gewölbten Decke schweben wie auf blauem
Himmel inmitten funkelnder Sterne die vier Evange-
listen. Große Anerkennung verdient auch die Technik
des Benozzo, denn in vergangener Zeit waren seine
Malereien jeder Unbill von Menschenhand ausgesetzt;
die Fürsorge ist auch jetzt eine sehr stiefmütterliche, und
doch konnten unmöglich die von ihm angewendeten Farben
vor fünf und einem halben Jahrhundert — --
viel Heller leuchten, als sie es heute thun. Ur-
sprünglich verschwanden die ganzen wände der
Kirche unter Freskomalereien. Das sechzehnte Jahr-
hundert, das nur Verständniß für das Schwülstige
und Barocke hatte, beging den Frevel, die meisten von
ihnen zu übertünchen. Erst vor wenigen Jahren sind
einige von ihnen zufällig an das Tageslicht gekommen
und lassen uns den Untergang der übrigen aufs tiefste
bedauern. Glücklicherweise ist uns das Konterfei des
hochwürdigen Frate Strambi, der dem Benozzo gegen
freie Station und einige Groschen den großen Auftrag
ertheilte, erhalten, und zwar an der wand, wie auf
seinem eigenen Grabdenkmal in Lebensgröße ruhend.
Die übrigen Meisterwerke, die an die kahlen wände
dieses eigenartigen Gotteshauses gemalt sind, kann ich
des beschränkten Raumes wegen hier nicht einmal
nennen. Ich darf aber unmöglich die Kapelle unter-
schlagen, die Benedetto da Majano für den heiligen
Bartolo, den Schutzpatron von San Gimignano, er-
richtet hat, denn ein Altar, wie dieser, der eine Urne
trägt, aus dem feinsten Marmor mit eingelassenen Gold-
verzierungen, findet sich in solcher Vorzüglichkeit selbst
in Italien nur selten. Der Eindruck ist um so über-
wältigender, als man, dem Geläute folgend, meint, der
Andacht einer ländlichen Gemeinde beizuwohnen und
statt dessen in ein Paradies der Kunst geräth, dem selbst
die unleugbaren Merkmale unhaltbaren Verfalls einen
neuen Reiz verleihen.
Eine noch ausführlichere Schilderung als Sant'
Agostino verdiente die Tollegiata, der Dom, dessen
Wände mit dem ganzen alten und neuen Testament,
sowie mit einer malerischen Darstellung des Paradieses
und der Hölle, die kaum hinter der der göttlichen
Komödie zurückstehen, geschmückt sind. Trotzdem blieb
in dem großen Tempel noch die ganze Hinterwand frei,
auf welche der uns nun so vertraute Benozzo das
Martyrium des heiligen Sebastian zaubern konnte. Auch
hier finden wir in einer zierlichen Kapelle einen Altar
von dem unvergleichlichen Meißel desselben Benedetto
da Majano, der sich in Sant' Agostino durch seine
Leistungen „zur Ehrung des heiligen Bartolo und zum
Ruhm von San Gimignano" — so sagt die betreffende
Inschrift — ein so unvergängliches Denkmal errichtet
hat. Auch diese zweite Kapelle hätte ich mit Schweigen
 
Annotationen