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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Gagliardi, Ernesto: San Gimignano delle belle torri!
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Heilmeyer, Alexander: Raphael Schuster-Woldans Deckengemälde in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0173

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Die Aunst - Halle.

Nr. W


übergangen, wäre es nicht wegen der zwei herrlichen
Fresken, die kein Geringerer als Ghirlandajo zur Ver-
herrlichung der heiligen Lina, dieses Wunderkindes der
Frömmigkeit, dort auf die wand gezaubert hat. Treten
wir aus der Tollegiata in das anstoßende Nathhaus,
dann staunen wir in demselben Saal, in welchem Dante
am 7. Mai s299 dem Bund des damals so um-
worbenen San Gimignano mit Florenz das Wort redete,
neben Meisterwerken von pinturicchio und kaum minder
namhaften Meistern an der Längsseite ein Wand-
gemälde von Lippo Memmi an, eine Madonna mit
dem Rinde, umgeben von nicht weniger als 28 Heiligen
und Patriarchen in Lebensgröße, das Alles übertrifft,
was ich von Memmis Hand bisher kannte.
San Gimignano, diese köstliche Bergwildniß, be-
wahrt also im Schatten seines Waldes von Thürmen
und einer Phalanx fast tausendjähriger Paläste zahl-
reiche Werke von den größten Künstlern der Re-
naissance, von einem Benozzo Gozzoli, Ghirlandajo,
pinturicchio, um die es jede Weltstadt beneiden kann.
Und doch werden diese Meisterwerke von dem Reiz der
Gebäude, die sie aufnehmen, ganz in den Schatten ge-
stellt. So vereinigt der kleine Hauptplatz mit dem
Rathhaus, dem Dom und den Palästen der Ardinghelli
und des Saloucci, dessen Fehden dem Grt zum Ver-
hängniß wurden, köstliche Gegenstücke zum Palazzo
Vecchio, zum Tamxo von Siena und selbst zum Dom
von Amalfi. Und alles dies inmitten einer Landschaft,
die die Wallfahrt dahin reichlich lohnen würde, wenn
statt so vieler Kunstschätze nur Linsiedlerhütten dort zu
treffen wären.
Die anmuthigen Hügel, die sich in unabsehbarer
Menge aneinander reihen, je ein Tafelaufsatz, beladen
mit den köstlichsten Trauben und allerlei Obstsorten,
die Gespanne, gezogen von riesigen Gchsenpaaren mit
feingeschwungenen Hörnern, haben schon Virgil und
Taroucci zu Lobsängern gehabt, die Ortschaften auf
den Gipfeln — einfach zum Linrahmcn, die Landleute,
die Einem begegnen, von äußerster Liebenswürdigkeit
und rührender Einfachheit; die materielle Fürsorge der
freundlichen Sora Maria im anspruchsvollen Albergo
Lentrale, in gewisser Hinsicht fast auf derselben Höhe
der künstlerischen Genüsse und dabei von geradezu er-
heiternder Billigkeit.
San Gimignano liegt ein Dutzend Kilometer ab-
seits von der Eisenbahn zwischen Florenz und Siena.
Ls vereinigt in seltener Vorzüglichkeit die Eigenart
beider, bildet jedoch in sich selbst ein so harmonisches,
abgeschlossenes Ganzes, daß es sich dem Gedächtniß
des Besuchers ebenso unauslöschlich, wie seine welt-
berühmten Nachbarinnen einprägt.


«!sMeI 5clm5ter-Vo!ösn5 DeckengemMe
in Zerlin.
fvgl. die Abbildung.)

aphael Schuster-Woldan wurde der Auftrag, die
Decke des Bundesrathssaales im Reichstags-
bö gebäude in Berlin mit Gemälden zu schmücken.
Seit kurzem ist das große Mittelbild vollendet und giebt
eine deutliche Vorstellung von der Eigenart und dem
Wesen des Künstlers, wie auch insbesondere von seiner
Auffassung der Monumentalmalerei.
Gewöhnlich verbindet man mit diesem Begriffe
den Gedanken an die Ausschmückung großartiger Bauten,
wo man den Künstler hoch oben auf schwankem Ge-
rüste geheimnisvoll hantiren sieht. Die Gelegenheit zu
dieser Art Kunstausübung ist ziemlich selten geworden.
Auch die sogenannten Kolossalgemälde entstehen jetzt
meist im Atelier. Und die Anstrengung und Mühe, die
es kostet, eine etwa 30 qm große Leinwand zu be-
malen, ist nicht geringer als die Arbeit auf dem Ge-
rüste, höchstens ist sie etwas bequemer. So lange die
Malerei als ein integrirender Bestandtheil der Bau-
kunst galt, war sie an den Tharakter derselben ge-
bunden. Erst in späterer Zeit, vorzugsweise bei den
Italienern, tritt sie mit größerer Freiheit, aber doch in
innigster Verbindung mit der Umgebung auf; sie ent-
wickelt sich zur Raumkunst großen Stils. Sehr häufig
werden auch hier die Bilder in den Nahmen der Decke
eingelassen, wo unsere Baukunst, wie in dem von
Wallot ausgeführten Neichstagsgebäude, auf Reprä-
sentation hinarbeitet und sich an die großen Vorbilder
der Tradition anschließt, da hält sich auch der Maler
am besten an der Seite des Architekten und schafft
Neues im Geiste der Alten.
Die gegebene Situation läßt das Bild als den
Mittelpunkt einer architektonisch reich gegliederten
Kafsettendecke erscheinen. Ls lag also nahe, diese
Fläche zu einein nach oben erweiterten Raume auszu-
gestalten und die so geschaffene ideale Welt mit Figuren
zu bevölkern. Sie stehen, sitzen, liegen, schweben, kreisen
und wirbeln, theils auf einer Brüstung, theils im
freien Aether. Dieser umwogt flüssig und leicht jed-
wede Gestalt und wölbt sich über dem Ganzen. Bald
scheint sich die Ferne zu verschleiern, bald wieder eine
reizende Aussicht zu öffnen. Das Auge wird mit Macht
in die Höhe gezogen und dringt in alle Tiefen und
Weiten, wie das Ganze im Gegensatz zu den massigen
Formen der Tektonik jedes materiellen Charakters ent-
kleidet fist, so stellt sich dem Auge abgeblendet durch
den Rahmen eine Welt dar, in der sich unabhängig
von der Realität freies Leben entfaltet. Jede einzelne
Figur hat für den Rhythmus der Komposition ihre
eigene Bedeutung, sie ist in ihrem räumlichen Ver-
hältnis, in ihrem farbigen Tharakter der nächsten Um-
gebung angepaßt; sie hat ihre bestimmte Rolle im Hin-
 
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