Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Galland, Georg: Berlin: 6. Kunstausstellung der Sezession [1]
DOI Artikel:
Galland, Georg: Zur Weihnachtslitteratur 1902 [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0105

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 6

Die Kunst-Halle.

87

sogar die Charaktereigenschaften des Individuums zu
beurtheilen vermag. Und sie, unter fremdem Einfluß
ändern, heißt ungefähr so viel wie seinen Charakter,
seine Natur verhüllen oder ummodeln. Und ich glaube
ferner aus der geschichtlichen Erfahrung heraus zu
sprechen, wenn ich behaupte, so berechtigt auch die
draußen gehegten Zweifel an unserer koloristischen Be-
gabung sein mögen, daß unsere deutschen Meister —
und die Dürer, Carstens, Cornelius, Führich, Genelli,
Menzel, Ludwig Richter, L. Oberländer u. a. beweisen
es Jedem, der nur sehen will — an Mannigfaltigkeit
und Tiefe der reinzeichncrischen Ausdrucksweise nicht
hinter den fremden Künstlern gestanden haben und stehen,
fa sie oftmals übertrafen, hat man doch grade in
solcher Vorliebe für die Zeichnung, welche die Wirklich-
keit zumeist nur in dem abstrakten Bilde von Umrissen,
auf eine Fläche profizirt, vorstellt — eine spezielle Neigung
des Volkes der abstrakten Denker zu erblicken geglaubt.
Und also brauchen wir auch hier in der Betheiligung
selbst namhafter Graphiker aus Frankreich und
England keine bedeutsame, künstlerische Folgen ver-
sprechende, sondern höchstens eine interessante, aber
ephemere Erscheinung zu würdigen. . . .
Th. Steinlen giebt wie seine hier ausstellenden
Landsleute Toulouse Lautrec, A. Lunois, Raffaelli,
Lsandre, Maurin, Nedon, Jean Veber, A. Gandara,
Leptzre, Carriäre, Besnard, Blanche u. a. eigentümliche
pariser Eindrücke: allerlei Sittenbilder, Charaktertypen,
Porträts, Akte, aber auch subjektive Stimmungen. Sie
geben alles in einer, dem gallischen Geschmack zusagen-
den Manier des Zeichenstiftes, oft nur andeutend, der
reinen oder der schmutzigen Phantasie gern Spielraum
gewährend, immer kräftig xointirt, manchmal höchst
geistvoll skizzirt, in der Wirkung bald komisch oder
pikant, bald sarkastisch herb und derb, bizarr oder frivol.
Von Steinlen allein sind gegen söO durchweg sehens-
werthe Arbeiten vorhanden, vorwiegend schwarze Kreide-
zeichnungen in seiner männlich knappen und doch skizzen-
haft flotten Art, oft mit Zuhilfenahme von Farbstiften,
zumal rothen Farben, ausgeführt. Bei den Anderen
überwiegt die Lithographie und zwar die fetzt mit
völlig malerisch wirkenden Helldunkelflächen arbeitende
sog. „Steinradirung", in welcher Technik hier z. B. ein
Eugene Larrisre Bildnisse und Studienköxfe genau
in der nebelhaft verschwommenen Art seiner bekannten
Gemälde vorführt.
Toulouse Lautrec glänzt besonders in seinen
ebenfalls auf Stein gezeichneten prächtigen Karrikaturen
bekannter Persönlichkeiten der pariser Bühnen- und
Lebewelt. Die kleinen Holzschnitt-Silhouetten von F.
Vallo ton sollen nur nebenbei erwähnt werden. Von
sehr fesselnder und frischer Wirkung sind aber die
farbigen Lithographien von Maurin und A. Lunois,
welche in der That den vollen Reiz flott aquarellirter
Blätter haben. Farbige „Steinradirungen," die vor
allem durch die leuchtende Wiedergabe des Fleischtons
auffallen, sind auch die seltsamen Kompositionen von

Jean Veber „das Glück" und „weiblicher Ringkampf",
in denen der Maler des „llbomms uux poupsss" weitere
Dokumente seiner bitteren Satire zum Besten giebt.
Neu erscheinen uns sodann die farbigen Holzschnitte von
A. Lexere, dessen figurenreiche Kompositionen, u. a.
eine „Prozession", mit verschiedenen Platten gedruckt
sind und dabei dem alten Clairobscur-Holzschnitt der
Renaissance ähnliche tonige Wirkungen erzielen.
Die Betheiligung des Auslands ist im Uebrigen,
von England und Schweden etwa noch abgesehen,
ziemlich unerheblich: der Böhme Grlik, der Baseler
Voellmy, der Petersburger Constantin Somoff, der
Madrider Zuloaga sind mit nur sehr wenigen Studien
als graphischen Proben ihrer Hand vertreten. Des
Holländers Ian Veth radirte und lithographirte
Männerköpfe fallen durch die Sauberkeit der modelliren-
den Striche in dieser Umgebung nicht wenig auf. Unter
den englischen Arbeiten wird der Besucher dieser Räume
namentlich von Whistlers Reiseskizzen aus Venedig
und London, von den Studienköpfen Shannons und
William Rothensteins und den kleinen charakteristischen
Thierzeichnungen John Swan' s Notiz nehmen. Schließlich
wollen wir mit Vergnügen konstatiren, daß drei auch
bei uns angesehene schwedische Meister Carl Larson,
Prinz Lugen und Anders Zorn ausgestellt haben, von
deren Arbeiten die xastellirten Landschaften des Prinzen
Lugen ebensowohl als Gemälde gelten dürfen. Durch
eigentliche Neuheiten der graphischen Kunst und Technik
hat indeß, mit Ausnahme lediglich feuer Franzosen, die
Betheiligung des übrigen Auslands unsere Kenntniß
nicht bereichert.
G. G.

2ur VeiknZcktMeratur 1982.

II.
ch^n einer rechten Ueberschau der weihnachtslitteratur h
müssen die illustrirten Kinderbücher unbedingt
eine bevorzugte Stelle erhalten. Sie bilden fa
einen so wesentlichen Bestandtheil des Büchermarktes
für die bevorstehende festliche Zeit, daß sie den Grad-
oder Werthmesser der jeweiligen weihnachtslitteratur
sicherlich an: meisten bestimmen helfen. Uns liegen
einige künstlerisch bemerkenswerthe Erscheinungen
dieser Art vor, von denen ich zunächst das Garten-
laube-Bilderbuch nenne. Ls hält sich bei großer
Mannigfaltigkeit des textlichen Inhalts in illustrativer
Beziehung von jenem monströsen Stil des farbigen
Bildes glücklicherweise fern, welcher neuerdings von
gewissen Vertretern der Moderne selbst in die für die
Jugend bestimmte Märchendarstellung eingeführt wurde.
Glaubt man denn wirklich der naiven Vorstellung der
kindlichen Phantasie am besten durch plumpe Fratzen-
hastigkeit und grellbunte Phantastik zu entsprechen?
Die frühere Unkunst durch solche Art Ueberkunst ersetzen,
I Vgl. auch „Bücherschau" in Nr. 5 und 6.
 
Annotationen