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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Rücklin, R.: Die soziale Aufgabe unserer Kunstgewerbevereine [2] (Schluss)
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Die Kunst-Halle.

Nr. 7

Vie soriale Aufgabe
unserer Isunstgewerbevereine.
von R. Rücklin, Pforzheim.
<T (Schluß)
die Verhältnisse sich neuerdings entwickelt
haben, glaube ich, daß weniger eine Ver-
größerung, als eine Vermehrung der bestehenden
Kunstgewerbevereine anzustreben sein würde, d. h. daß
ein Bedürfnis nach kleineren, lokalen Kunstgewerbe-
vereinen vorliegt, die so eingerichtet sein müßten, daß
hauptsächlich der kleine Mann, der kunstindustrielle
Arbeiter, derKleinmeister feder kunstgewerblichen Branche
dadurch gefördert und unterstützt werden würde. Auch
für größere und gut fundierte Kunstgewerbevereine
könnte ein Erweiterung nach dieser Richtung wohl noch
angestrebt werden, wenn man sich entschließen könnte,
einen Modus einzuführen, der z. B. im Pforzheimer
Kunstgewerbeverein sich seit langen Jahren sehr bewährt
hat: daß man Kunstgewerbeschüler, Lehrlinge, Arbeiter,
kurz, kleine Arbeitnehmer als außerordentliche Mitglieder
zuläßt mit halbem Beitrag, aber vollen Rechten. Ich
habe das immer als eine soziale That ersten Ranges
empfunden, und sie hat sich in ihren Wirkungen auch
als solche bewährt. Gerade diese außerordentlichen Mit-
glieder stellen zu den Besuchern und Benutzern der
Bibliothek und der Vorbildersammlung das größte
Kontingent. — Bei dieser Gelegenheit möchte noch eine
weitere Frage zu berühren sein: Ist ein Museum, also
eine Sammlung von, nehmen wir an, modernen Original-
arbeiten, in erster Linie anzustreben, oder eine Bibliothek?
Nach meinen Erfahrungen bin ich unbedingt für die
letztere, und zwar aus zwei Gründen. Einmal aus
finanziellen; jeder, der nur von ferne einmal mit solchen
Dingen zu thun gehabt hat, weiß, was es kostet, eine
einigermaßen ansehnliche Sammlung von ausgeführten
Arbeiten, die als vorbildlich gelten können, zusammen-
zubringen. Dann sprechen aber auch andere, praktische
Gründe für die Bibliothek. Eine jede Institution, und
sei sie die segensreichste der Welt, wird nur solange
Interesse erwecken, als sie Neues und wechselndes bietet,
warum sind die meisten unserer Museen so wenig be-
sucht? weil jeder, der sie einmal durchstudiert hat,
beim zweiten Mal das Gleiche findet; das ermüdet ihn,
und er bleibt weg. Das ist keine geistige Trägheit,
sondern es ist einfach menschlich. Nun kann man aber
einem Museum nur unter Aufwendung sehr großer
Mittel so viele Neuankäufe zuführen, daß man damit
das Interesse eines beschränkten Besucherkreises auf die
Dauer wach erhalten könnte. Bei einer Bibliothek geht
das aber sehr leicht. Man braucht bloß mit einem
Aufwand von, sagen wir 300 Mk. jährlich, die besseren
unserer modernen kunstgewerblichen Zeitschriften zu
halten, und man hat einen fortwährenden Zustrom von
Neuigkeiten, wie man ihn sich vielseitiger und anregender

gar nicht wünschen kann. Ist man dann noch in der
Lage, alljährlich eine, wenn auch nur beschränkte An-
zahl von modernen Vorbilderwerken zu kaufen, so kann
man dem Neuigkeitenbedürfnis der Mitglieder schon
durch einen ständigen wechsel ziemlich weit entgegen-
kommen. Bei der Ausbildung, welche unsere Reproduktions-
techniken in letzter Zeit erfahren haben, können ja gute
Abbildungen bis zu einem gewissen Grade für die
Zwecke künstlerischer Anregung die Originalarbeiten
ersetzen. Es wird also eine, nach Materien geordnete
Vorbildersammlung, d. h. eine Sammlung von Ab-
bildungen moderner Arbeiten, jedenfalls die ersprieß-
lichsten Dienste leisten. Line solche Vorbildersammlung
ist ohne große Kosten zusammenzubringen, wir haben
ja Zeitschriften, wie „Der moderne Stil", „Dekorative
Vorbilder" u.a., die moderne Vorbilder auf Linzelblättern
in Hülle und Fülle bringen, so daß man nur nötig hat,
sie nach den Gesichtspunkten einer praktischen Benutz-
barkeit und des lokalen Bedürfnisses in einzelne Mappen,
oder besser noch, in Kartons zusammenzulegen. Da
auch viele der Kunstzeitschriften, welche geschlossene Hefte
darstellen, einzelne, lose eingelegte Blätter als Beilage
bringen, so können diese hier herausgenommen und der
Vorbildersammlung einverleibt werden; so hat man
dann wenigstens ein gedrucktes Museum.
Selbstverständlich hat Bibliothek und Vorbilder-
sammlung nur dann irgend welchen Nutzen, wenn sie
sich in einem geeigneten Lese- resp. Zeichenzimmer be-
finden. Ich gebe dem Charakter eines behaglichen
Lesezimmers den Vorzug, und bin der Meinung, daß
man bei uns eben in punkto Behaglichkeit noch viel zu
wenig für derartige Lokalitäten thut. Lin hübsch aus-
gestattetes Vereinszimmer — und hier komme ich wieder
auf die soziale Seite unseres Themas zurück, — ist der
sichtbare Ausdruck der Zusammengehörigkeit der Vereins-
mitglieder; und wenn sich der Arbeiter oder Lehrling,
der Mitglied ist, hier in einem behaglicheren, feineren
Milieu befindet, als er es von daheim oder der Bier-
bank gewohnt ist, sollte das der Sache nicht nur nützen
können, indem es ihm zugleich ein Gefühl des Stolzes
auf seine Zugehörigkeit giebt? Auch in Bezug auf
die Benutzung des vorhandenen Materials sollte man
ja nicht allzu polizeimäßig vorgehen, wenn je einmal
ein Buch verdorben wird, oder einige Blatt verloren
gehen, so sind das eben Betriebsunkosten und ein Be-
weis dafür, daß die Sachen wenigstens benutzt worden
sind. Ls handelt sich ja in erster Linie auch nicht
darum, eine möglichst große, tadellos erhaltene Bibliothek
zusammen zubringen, sondern das Interesse der Mit-
glieder durch möglichst fortlaufende Neudarbietungen
zu reizen und wach zu erhalten. Nicht der Besitz des
Vereins, sondern die Antheilnahme der Mitglieder ist
das Wesentliche und sozial Wirksame.
Ich wollte nur Anregungen geben und kein Pro-
gramm. Es ist ja mit den vorstehenden Ausführungen
nichts eigentlich Neues gebracht, sondern nur dem be-
vorzugten Ausbau schon bestehender Bestrebungen das
 
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