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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Zimmern, Helen: Ein Besuch bei Rodin
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Wirth, Robert: Ueber künstlerische Nachahmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0014

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Die Kunst-Halle.

Zeiten dar. Die Krönung der Thür soll dann noch
die Gruppe der drei Männer bilden, die er im „Salon"
hatte. Sie haben noch nicht das Fegefeuer erreicht,
aber mit Verzweiflung in Haltung und Mienen, nahen
sie sich ihrem unabwendbaren Loos der Verdammniß,
deren Grauen sie schon erblicken.
„Ich habe an dieser Thür seit länger als einem
Vierteljahrhundert gearbeitet," sagte mir Rodin. „Und
ich kann mich nicht entschließen, sie zu vollenden. Ts
bedarf noch viel Zeit und Ueberlegung. Zu viel
Einzelheiten darf ich nicht anbringen, ich muß sichten,
das Beste wählen. Denn modellirt habe ich genug
dafür, um eine sechsmal so hohe Thür auszustatten.
Ich habe, uni Dante zu illustriren, das Leben zu illu-
striren gehabt, doch bin ich nicht sklavisch dem Text ge-
folgt. Hoffe, wenn alles zusammengestellt ist, daß ein
einheitliches Werk daraus wird. Um es richtig zu
sehen, müssen Sie nach Meudon kommen. Dies ist
nur das Skelett, ich habe nicht genug j?latz. Von den
Theilen sind auch viele in der Gießerei, und das Ober-
stück geht nicht durch die Thür hier."
Zn seinem Heim Val (Meudon) hat er sich
mit Kopien aller seiner Werke umgeben, das Haus
gleicht einem Museum, und hier kann man ihn studiren
vom Anfang seiner Laufbahn bis zur Reife und dem
Erfolg seines Genies. Er liebt es in der grünen Ein-
samkeit dort, an seine Entwürfe die letzte Hand zu
legen. Nachdem ich Rodin kennen gelernt, begreife ich,
daß er ein Freund Robert Browning's war, und daß
Browning zuerst die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn
gelenkt hat. Für Beide ist in der Kunst kein Thema
zu gering, sofern es nur menschlich ist und echtes Ge-
fühl darin lebt. Beide haben durch die Oberfläche in
die Tiefe der Seele geblickt. Zch schied, wie stets,
wenn ich Browning besucht hatte, von Rodin unter
dem gleichen Eindruck, mit einem Großen der Erde in
Berührung gewesen zu sein.


Heber künstlerircbe Mlukmung.
Von Robert Wirth, flauen i. V.
s ist neuerdings wiederum die Frage nach dem
Verhältnis der Kunst zur Natur berührt worden.
Die Frage ist uralt und wiederholt sich bei der
Beurtheilung eines jeden neuen Kunstwerks. Jüngst
wurde nun dein Künstler die Lrlaubniß zugestanden,
er könne „statt im Verkehr mit der Natur auch im Ver-
kehr mit schon geschaffener Kunst seine Werke zeugen".
Man erwiderte, daß eine Abschätzung des Kunstwerks
sich allein stützen könne „auf die im Werke enthaltene
Summe von angeschauter und empfundener Natur".
Während nun der letzte Satz seit alten Zeiten als
selbstverständlich dogmatisches Ansehen genießt und, um
mit Goethe zu reden, „nur mit ein Bischen, anderen
Worten" schon von den Spitzen der alten Philosophen,


Nr. s

von hllato und Aristoteles, weiter von Seneca bis herab
zu Batteux und den jüngst verdrängten sogenannten
Naturalisten oder Veristen vertreten wird, stellt die
gütige, zuerst genannte Lrlaubniß in dieser unge-
schminkten Form beinahe eine Zronie vor, die wohl gar
einem bloßen Mxpositionskitzel ihren Ursprung verdankt.
Ein Künstler also, nicht blos ein Uebungsschüler,
soll seine Werke schaffen im Hinblick auf Vorlagen?
Heißt das nicht die Kunst und dis dumpfen Schulräume
eindämmen? Nicht: Schüler züchten — anstatt Meister
geboren werden lassen? Nicht: die Kunst zwingen, sich
auszuleiern? Heißt das nicht, das geschichtliche Kunst-
register sich vermehren lassen durch die unnützen Vielen,
das elende imKakorum 8ki'vum pemi8? Gewiß ist der
Nachahmungstrieb unausrottbar, er ist ein Urtrieb der
höheren Thiere und erst recht des blpes; selbst das
Genie unterliegt ihm bei der geistigen Berührung mit
Leuten, die in seiner eigenen Schasfenssphäre thätig
sind, denn auch das Genie entwickelt sich auf Grund
von zeitlichen Einflüssen und tritt nie fertig in die Er-
scheinung, wie Athene aus dem Haupte ihres Vaters.
Aber gerade der Begabte ist vor berühmten Mustern
eher zu warnen, weil ihm dadurch der weg zur höheren
Eigenentfaltung, auf die es allein ankommt, verkürzt
wird; gerade ihm ist als leitender Merkspruch die
Mahnung des j)olonius täglich zuzurufen: ko tbins ovn
8s1k bs truö! Wenn Kierkegaard sagt, daß nach dem
Selbst der Einzelperson am wenigsten in der Welt ge-
fragt wird und man dessen Besitz nicht ohne Gefahr
merken lassen darf, so ist in der Kunst der Durchschlag
des Selbst, seine Bildung, seine ruhelose Spannung bei
der Arbeit das bedeutsamste und werthoollste Merkmal
künstlerischer Begabung. Die Kunstwerke der soge-
nannten Schule, der herrschenden Tradition, des Stils
sind Merkmale von Kunstpausen, die durch handwerk-
liche Nachahmer ausgefüllt werden, bis die Natur, nach-
dem sie, um im menschlichen Bilde zu reden, von ihrer
Anstrengung bei Erzeugung eines Genies geruht, ein
neues Genie hecvorbringt, welches die bisherige
Schlenderei durch seine neue Eigenart kämpfend be-
seitigt. Wessen Herz wird nicht verstimmt, wenn er,
anstatt vor einem neuen Kunstwerke unwillkürlich er-
griffen und eingenommen zu werden, kalt reflektierend,
unter Aufstöberung alter Eindrücke sich fragen muß:
nach wem? wessen Stil und Art ist doch ersichtlich?
O unschmackhafte Wiederkehr des Alten I Zeder, wenn
auch noch so versteckter Zug einer Wiederholung dessen,
was da war und was einst als persönliche Selbst-
erscheinung ein natürliches Recht hatte, da zu sein —
jeder noch so leise Zug der Wiederkehr hat für den
wahrnehmenden Beschauer nur historischen Werth und
gehört in die Kunstakten. Der Nachahmer setzt sich
selbst zu einem wandelnden Stück Historie herab schon
bei seinen Lebzeiten. Soll der Künstler seine Offen-
barung erborgen müssen? Soll er fremde Früchte zu
Markte tragen dürfen? wer auch Werke mag, denen
die Ursprünglichkeit fehlt, der mag Äußerlichkeiten und
Einzelzüge aufsxüren und abwägen, wie und woraus
die Nachahmung erhellt, der mag solche Werke zu
Schülerübungen benutzen, der mag Stile und Manieren
fein säuberlich beschreiben, der mag registriren und
katalogisiren, der mag unwillkürlich Beiträge liefern
zur Geschichte des menschlichen Affentums. Zede Nach-
ahmung ist eine Erschleichung, ein Raub am geistigen
Eigentum anderer, ja eine Zmmoralität. Auf moralisch-
theologischem Gebiete wird die imitsäio des Meisters,
die imitatio 8Luotorum den Gläubigen zur Pflicht ge-
macht und die ernste Nachfolge bedeutet eine Vervoll-
kommnung zur Heiligung; auf künstlerischem Gebiete
 
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