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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Heilmeyer, Alexander: Internat: Ausstellung der Sezession 1903, (Schluss) [2]
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Hood, Fred: Der Zufall als Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0410

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358

Die Aun st-Halle.

Nr. 23

Falle Stimmungsträger, ein beseeltes Stück Natur. Die
französischen Medailleure benutzen ja schon seit langem
die Flächendarstellung des Reliefs in ähnlicher weise,
aber sie nähern sich darin so sehr der malerischen Er-
scheinung, daß dadurch der plastische Charakter immer
mehr verwischt wird. Bei ganz flach gehaltenen
Medaillen, wie sie Moide Iencesse vorführt, mag das
angehen. Linen starken Kontrast dazu bildet die
Staatsmedaille in Silber, die H. Hahn für Bremen
ausführte. Dabei kann man gleich über Charakter,
Form und Wesen der Medaille lehrreiche Vergleiche
anstellen. Ls wäre sehr wünschenswerth, in einer
Ausstellung einmal dazu Gelegenheit zu geben, wenn
die Ausstellungen nur einmal dazu kämen, nicht blos
den augenblicklichen Stand der Produktion vorzuführen,
sondern in anschaulich und instruktiv zusammengestellten
Gruppen das Wesen und die Ligenart der Künste deutlich
vor Augen zu stellen, dann wäre ja das Ideal des
modernen Ausstellungswesens erreicht! Die Münchener
Sezession giebt uns wenigstens eine Ahnung, daß auf
dem Brachfelde der deutschen Elastik neues Leben grünt
und sproßt — daß ein neuer Frühling naht.


Zer ÄM slr Aiinrller.
Von Fred pood.

(Nachdruck verboten.)
(Z^^en Zufall schuf die Vorsehung, zum Zwecke muß ihn
der Mensch gestalten."
Die moderne Kunst bedient sich mit Vorliebe der
mannigfachsten Zufallseffekte, um dem Material neue, über-
raschende Effekte zu entlocken. Sie hat wieder die Natur als
erste Lehrmeisterin anerkannt, der sie sich nicht sklavisch unter-
werfen will, aus welcher jedoch die Phantasie stets neue Krast
und Begeisterung schöpfen soll. Und gerade in ihren Launen
offenbart sie ihre ewige Jugend, ihre ewige Frische — jeden
Moment erschafft sie Neues aus eigener Kraft. Die Natur in

ihrem geheimsten wirken zu beobachten, ist die Voraussetzung
jeder künstlerischen Produktion.
Der berühmte Glaskünstler Tiffany lernte vom Zufall; er
wußte ihn zum Zwecke zu gestalten. Sein erstes Interesse sür
die Glasdekoration wurde durch Betrachtung der gewöhnlichen
Fensterverglasung geweckt. Warum fertigten die Fabrikanten
immer nur das fehlerlose weiße Pandelsglas? warum ver-
warfen sie alle welligen, beuligen, blasigen, grünen und un-
klaren Gläser? — ohne Zweifel, weil für die Fensterverglasung
ein klares, weißes Glas am zweckmäßigsten ist, und die besten
Preise erzielt. Aber warum soll man nur den einen Zweck
und nur das eine Verfahren für die Industrie nutzbar machen
und alle Zufalls-Erscheinungen bei der Fabrikation ausscheiden,
die vielleicht für andere Zwecke willkommen sind? Tiffany
kam auf die Idee, gerade das unter Einwirkung der mannig-
fachsten Zufälle entstehende trübe oder gefärbte Glas für künst-
lerische Zwecke zu verwerthen, gerade weil es so mannigfach
an Farbe uno Struktur ausfällt. Bald war er nicht mehr mit
dem zufrieden, was ihm der Zufall bot, er lernte selbst die
Vorsehung spielen und die Zufallserfolge im Schmelzkcssel ver-
mehren. Der Erfolg blieb nicht aus. Er erzeugte Scheiben,

die bald durchsichtig wie klares Glas, bald durchscheinend wie
Porzellan, bald irisirend wie Perlmutter, geadert und gefleckt
wie Marmor oder gleißend wie schimmerndes Metall ausfielen.
Sein Glas ist auch nicht immer fein geebnet wie die Spiegel-
scheiben, sondern wellig, beulig und blasig. Die Kunstverglasung
hat nun diese Scheiben nach dem Muster Tiffany's trefflich zu
nutzen verstanden. Ja, es giebt heute schon eine Reihe von
Pütten, welche den Zufall als einen der schätzenswerthesten Mit-
arbeiter betrachten.
Dieses eigenartige Scheibenglas gab Veranlassung zu einer
neuen Art von „Mosaikverglasungen". Derartige Kompositionen
sind zum Theil lediglich Farbeuharmonien, welche nicht den
Anspruch erheben, irgend etwas darzustellen, päufig wird der
Ausführung aber auch wirklich eine bildliche Darstellung zu
Grunde gelegt, obwohl es nicht Absicht des Künstlers ist, ein
wirklich anschauliches Bild zu schaffen. Das Resultat läßt der
Phantasie des Beschauers noch den weitesten Spielraum. Das
Material des Kunstglasers besteht in diesem Falle aus dem
Karton, welcher den Entwurf darstellt, einer großen Reihe der
mannigfachsten Glasscheiben und den nöthigen Bleisprossen.
Stellt nun das Bild z. B. eine Parklandschaft dar, so scheidet
der Kunstglaser aus den einigermaßen angemessen gefärbten
Scheiben die einzelnen Stücke heraus, um sie durch die Blei-
sprossen mit einander zu verbinden; zur Darstellung der Land-
partien dienen z. B. entsprechend große Stücke einer grün
gefärbten Glasscheibe, welche die auf dem Karton festgestellte
Kontur erhalten. Dabei nimmt der Kunstglaser aber gar keine
Rücksicht auf Licht- oder Schattenpartien. Es kommt auch gar
nicht darauf an, ob der Farbenton wirklich richtig getroffen
ist; es genügt, wenn man mit einiger Phantasie die betreffende
Fläche im Bilde als Laubmasse zu erkennen vermag. Lin
anderes Glasstück hat dann die Rolle des blauen Pimmels,
wieder ein anderes den Lharakter einer Wolke zu übernehmen,
während der bereitwillige Beschauer wohl in einem rothen
oder gelben Fleck einen Bauernrock rc. erkennt. Natürlich sind
die Kartons auf eine derartige breite Flächenbehandlung zu-
geschnitten, aber das vorhandene Material regiert doch wiedcr
bis zu einem gewissen Grade den willen des Kunstglasers.
Ein gewisse Schattenwirkung wird übrigens auf diesem Wege
auch erreicht, denn manche Partien lassen das Licht durch,
während andere fast undurchsichtig sind und das Licht zurück-
halten. Ferner ist die Gberfläche so wellig und rauh, daß da-
durch auch eine Art Schattirung erreicht wird, und obwohl
diese willkürlich und ungeregelt ist, vermag sie doch den Reiz
des Fensters zu erhöhen, will man nun dem Bilde noch einen
schärfer ausgeprägten Lharakter geben, so werden einzelne
Partien auch regelrecht als Glasmalereien, d. h. mit Pinsel
und Schmelzfarben gemalt. Namentlich gilt dies von der Aus-
führung der Gesichter bei figürlichen Darstellungen. — Daß
Tiffany auch bei Perstellung seiner berühmten Prunkgläser die
Jufallserfolge glänzend zu nutzen verstand, ist so allgemein
bekannt, daß es genügen mag, an diese Thatsache hier zu
erinnern.
Auch die keramische Kunst verstand es, Zufallserfolge ihren
künstlerischen Zwecken dienstbar zu machen, wer wäre nicht
schon in kunstgewerblichen Abhandlungen dem Ausdruck „Ueber-
laufglasuren" begegnet? Früher suchte man die Ueberlauf-
glasuren, welche sich auf den Wandungen der Gefäße als er-
starrte Tropfen oder herablaufende Flüssigkeiten abzeichneten
oder ein verwischen oder Verschwimmen des Reliefs bewirkten,
im Allgemeinen zu vermeiden. Line derartige Vase oder
Schale konnte im besten Falle als Ausschußwaare gelten, und
 
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