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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Dworaczek, Wilhelm: Wien: 15. Ausstellung der Sezession
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U6

Die K u n st - H a ll e.

Nr. 8

Wen:
XV. Mstelluog Ser 5ere§5!vn.
Von Paul Wilhelm, Wien.

5^mne Kollektivausstellung Kalckreuth's bildet
diesmal den Mittelpunkt der Sezessionsausstellung.
Und man muß der Vereinigung ausrichtig dank-
bar sein, daß sie den großen Meister einmal in vollem
Umfange seines Könnens vorführte. Nun gerade dieser
Umfang erscheint angesichts der, einen ganzen Saal
füllenden Bilderreihe eher klein als groß. Desto eigen-
artiger vertieft und bedeutsam erscheint aber das Wesen
des Künstlers. Ls liegt eine tiefe Schwermuth, ein
grüblerisches Znsichversinken fast über allen Werken
Kalckreuth's und das mag ihn für den oberflächlichen,
nach wechselnden Stimmungen verlangenden Beschauer
vielleicht eintönig erscheinen lassen. Welche Mannig-
faltigkeit besitzt aber der Künstler innerhalb der wenigen
grauen trüben und trostlosen Stimmungen, die er un-
ausgesetzt variirt. Darüber liegt der Zauber einer
ernsten und tiefgründigen Persönlichkeit gebreitet und
gerade dieser und ihrem seltsamen Wesen nachzuforschen
ist der tiefe Reiz dieser Sammlung. Graf Kalchreuth ist
nicht der Mann der Hellen Farben, der lebensfreudigen
Eindrücke, das sudelnde, neckende, freudige Spielen des
klaren Lichtes ist seine Sache nicht! — Er stellt seine
Motive ins Dämmergrau des herabsinkenden Abends —
weit seltener schon des anbrechenden Morgens; er liebt
es, wenn düstere Gewitterwolken die Sonne verhüllen,
oder ein trüber nebelschwerer Tag über die Fluren sich
breitet. Dann erblickt sein Auge die traurigen Schick-
sale inmitten der ernsten Natur, sein Herz erbebt mit
dem großen Weltenschmerz, der förmlich die Lüfte
sättigt mit seinem bangen Weh. Dies ist der Gesammt-
eindruck, den man von seiner geistigen Persönlichkeit
erhält. Künstlerisch ist er voll weiser Beschränkung.
Er hat eine scheinbar nachlässige und dennoch alle that-
sächlichen Wirkungen mit Meisterschaft festhaltende
Technik. Das sieht man beispielsweise an dem Bilde
„Meine Frau in der Thür", in dem er das Problem
des durch grünen Tüll einfallenden Lichtes nut unsäg-
lich einfachen Mitteln in überraschender Weise behandelt.
Und wie fest und satt erscheint seine Farbengebung in
den Naturstimmungen, wie „Heuschober" nut mächtig
sich aufthürmenden Wolkenmassen, und „blitze auf dem
Felde"; oder in dem von feinster Dämmerstimmung er-
füllten „Wald bei Hochdorf". Nicht minder seltsam
und eigenartig in Stimmung und Durchführung ist
sein „Dengler" oder „Abend auf dem Altan". Aber
auch für volksthümlichen naiven Ausdruck, freilich ver-
setzt mit einer ergreifenden schwermüthigen Naivetät,
hat er die richtigen Töne. So „Weihnacht" und die
Bilder seines Kindes „Etta". Zn den „Seebildern" trifft er
mit bewunderswürdiger Unmittelbarkeit die tiefgründige
Beweglichkeit der Elementes, wie es manchmal dem
zünftigsten Marinemaler nicht gelingen will. Zn den
Porträts tritt gleichfalls seine ernste Auffassung in den
Vordergrund, er geht dem Anmuthigen aus dem Wege,
und hält sich — selbst in den Bildnissen seiner Frau —
mehr an das Bedeutsame und Tharakteristische. Blos
in einem Brustbild „Zohannes" ist ihm ein Zug heiterer
Kindlichkeit überraschend gelungen. Zn den Porträts
von Prof. Dietz und des Herrn Thrysander läßt er das
Tatsächliche der persönlichen Erscheinung kräftig be-
tont aus dem sicher abgetönten Hintergründe hervor-
treten. Einen wirklich heiteren Ton, in den ein wenig

lebendige, lachende Sonne spielt, findet er nur im
„Waidhaus", dessen idyllischer Zauber die schwere Hand
dieses Graumalers, der eine gewisse geistige Verwandt-
schaft mit Zsraels besitzt, kaum vermuthen läßt.
Nach dein starken, und gerade durch die herb um-
rissene Zndividualität bedeutsamen Eindruck, welchen
die Bilder Kalckreuth's Hervorrufen, bedauert man
doppelt, daß in demselben Saale auch George M in ne's
„Denkmal für den Dichter Rodenbach" aufgestellt ist.
Za — Minne — ?!!! Die Ausrufungszeichen des
Setzerkastens würden nicht genügen, um den Weheruf
des guten Geschmacks zum Ausdruck zu bringen, der
Einem unwillkürlich entschlüpft, und wo sollten wir erst
die Fragezeichen hernehmen, um der abstrusen Unver-
ständlichkeit dieses Kunstwerkes gerecht zu werden? Da
sind wir wieder einmal an dem berühmten Scheideweg
zwischen Wahnsinn und Heiligkeit angelangt. Und
vielleicht liegt darin das Geheimniß so mancher großer
Erfolge. Man hat im Mittelalter die Geistesschwachen
wie Heilige verehrt. Unsere Zeit scheint diesen Brauch
wenigstens in der Kunst wieder aufleben lassen zu
wollen. Denn in der That — angesichts solcher geistiger
Abnormitäten überläuft Einen ein gelinder Schauer.
Man steht erschüttert vor der eigenen Unzulänglichkeit
und beugt sich vor dem Unbegreiflichen. So nur kann
ich mir den Ruhm des großen Minne erklären. Was
sollen da kunstkritische Erörterungen? Man denkt
unwillkürlich an den Meister Anton des großen Hebbel
und murmelt kopfschüttelnd: Zch versteh' die Welt
nicht mehr! . . .
Wie unendlich wohlthuend wirkt dagegen die kleine
Kollektion des verstorbenen Wilhelm Leib!. Wie viel
ruhige und gefestete Kraft war in diesem großen
Künstler. Freilich es war ein stiller Zug in ihm, manch-
mal vielleicht von einer leisen Sehnsucht durchzittert.
Er experimentirte nicht viel mit Farbe und Linie, sondern
ging ruhig seines Weges. Sein sattes Kolorit, das zu-
weilen an die älteren Meister gemahnt, daneben aber
seine lebendige Zeichnung geben seinen Bildern etwas
Solides, aber auch durchwegs Tüchtiges, das man mit
ehrlichem Respekt und einer aufrichtigen Bewunderung
für die innere Ausgeglichenheit dieses vornehmen
Künstlers genießen muß. Auch in seinen Motiven ist
Leibl kein Phantast. Er wählt einfache, aber gerade
in ihrer Anspruchslosigkeit oft um so schwerere Vorwürfe,
und weiß sie stets mit höchster künstlerischer Feinheit durch-
zuführen. Es ist etwas wahrhaft Erquickendes, neben so
vielem— gewißzumTheilauchhochbegabtenStürmen und
Drängen, in dieser künstlerischen Abgeschlossenheit einen
Ruhepunkt zu finden. Und daran möchte ich gleich
anschließen, daß auch der Ehrenpräsident der Sezession
Rudolf Alt mit seiner großen und feinen Kunst einen
kleinen Raum ausgefüllt hat. Besonders interessant
sind eine Reihe älterer, zum Theil vergilbter Blätter
aus der Zugend des Meisters (so aus den Lehren (853,
(83ch (837, (8si0, (8§( u. s. w), in welchen sich schon
der ganze feine Natursinn, die frische quellende und
lebhafte Art der Wiedergabe, und die Anfänge jener
virtuosen Technik erkennen lassen, die Alt nachträglich
zu unserem bedeutendsten Aquarellisten gemacht haben.
Und im Gegensatz dazu stehen einige Arbeiten, die der
greise Meister in diesem Zahre in Goisaon (bei Zschl)
ausgeführt hat: „Ramsaugebirge" und „Apfelbaum",
welche die wahrhaft erstaunliche künstlerische Frische des
mehr als Neunzigjährigen sowie dessen noch immer
kräftige Hand verrathen. Freilich was dieser echte
Künstler, der sich und seiner Art eigentlich das ganze
Leben hindurch fast unverändert treu geblieben — wie
wenige — (gerade diese Gegenüberstellung seiner
 
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