Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Die Beeinflussung des Künstlers und die Kritik [1]
DOI Artikel:
Dworaczek, Wilhelm: Die Entwicklung des Impressionismus [2] (Schluss)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0209

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Aunst - Halle.

Nr. l.2

setzen ihre Schlüsse, sondern aus unkonlrollirbaren
Empfindungen und verschwommenen Gefühlen her-
aus wagt sie die kecksten und absonderlichsten Kon-
jekturen. Daß eine solche Geistesrichtung nicht im
Stande ist, auf Grund einer Analyse der vorhandenen
Kunstbegriffe sich eine fest umrissene, zutreffende Ter-
minologie zu bilden, dürfte einleuchten. Diese Termino-
logie ersetzt alsdann ein chaotisches Gewürfel von
Schlagworten, die im Laufe ihrer verschiedenen durch
aus willkürlichen Anwendungen schließlich alle ein-
ander widersprechen und sich gegenseitig aufheben.
was nun die Beeinflussungsfrage anlangt, so ge-
winnt es im Lichte mancher unberufener kritischer
Aeußerungen für jeden unbefangenen Beobachter den
Anschein, als besäße kaum ein einziger unserer modernen
Künstler den geringsten Funken von originaler Schöpfer-
kraft von spezifischer, kulturwerthiger Eigenart, wenn
man jenen Schlagworten glauben soll, so hat bei fast
jedem Werke Jemand „zu f)athen gestanden/' so „ge-
mahnt" fast jedes Werk an irgend etwas, ist „im
Geiste" irgend eines Weisters, irgend einer Richtung,
einer Gruppe rc. „gehalten", „weist deutliche Spuren
englischen, französischen, skandinavischen rc. Einfluß
auf," „dürfte dieser oder jener, von da und da her-
kommender Anregung zuzuschreiben sein" — und wie
alle diese eklen, zumeist unbewiesenen Llichöausdrücke
lauten mögen.
(Schluß folgt.)


Die (ntviclclung Ser Zmprerrionirinur.
von j)aul Wilhelm, Wien.

(Schluß.)
ewiß sind bei j)uvis de Thavannes Einflüsse
des Impressionismus in Kolorit, Hintergrund
im Landschaftlichen, vielleicht auch in der künst-
lerischen Gedankenwahl nachweisbar — dennoch steht
die geruhige und klare Art seiner Kunst zu sehr
auf selbstständigem Boden, als daß sie ein be-
sonders bedeutsames Moment in der Entwicklung des
Impressionismus darstellen würde, weit eher gehörte
der große Stilist der Landschaft Segantini hierher,
der leider gänzlich fehlt. In ihm sind die Impressionen
ungleich mächtiger und schon um seiner Technik der
Farbentheilung willen, die manches Verwandte mit den
Neoimxressionisten hat, hätte er nicht gut fehlen dürfen.
Den vollen Ausbau des Impressionismus über schüchterne
Anfänge, geniale Inspirationen und kühne, oft noch
zweifelhafte Experimente hinaus, erreichte Whistler,
der Londoner Weister, der unter japanischem Einfluß
steht und von dem nur ein Bild „Die Violinspielerin"
vorhanden ist, dann Besnard („Strand", „Tränke" und
„ponies"), der die breite glänzende Wucht der Farbe,
und Tollet, der die sanftere Schwermuth der Kolorits
in ihre Rechte setzte. Der vornehme und sichere Simon
Lucien steht auf dem Boden eines durchwegs moder-
nen realistischen Empfindens der Natur, indeß der


glänzende Gaston La Touche, dessen jDinsel die Gold-
strahlen des Lichtes eingefangen hat mit Neigung und
Bewußtsein sich in der Nähe der älteren Weister hält.
Durch seine „Verspottung" und „Ljeilige Nacht" geht
der gleiche Zug der leidenschaftlichen Farbe neben der
bedächtigen Komposition. Fora in nähert sich der festen
und markigeren Ausdruckswcise der deutschen Impressio-
nisten — er hat weniger von dem französischen Elan,
sein Temperament ist minder feurig; aber nicht minder
fest zugreifend, wie jener erinnert er etwa an unfern
Wax Slevogt. Während W. Liebermann's bedächtige
Kunst sich durch den Anstrich nüchterner Mäßigung von
den Franzosen unterscheidet. Im selben Saale hängen
vielleicht allzu scharf als Uebergang die Neoimpressio-
nisten Rysselberghe und der sanftere Georges
Seurat, die das Prinzip der Farbenzerkegung (j)oin-
tilliren) in schärfster Form zur Durchführung bringen.
Und gleich an sie reihen sich bereits die ersten Stylisten
des Impressionismus, die dem Augsnblickseindruck die
Klärung zur großen Form und zur dauernden harmo-
nischen Wirkung zu erringen suchen. Da ist zunächst
vinzent van Gogh, in dem sich der verzehrende Kampf
des schöpferischen Willens mit technischer Unzulänglich-
keit ausspricht. An ihn scklließt sich der innerlich weit-
aus ruhigere Toulouse-Lautrec an, der die Augen-
blickseindrücke so fest und sicher und doch mit einem
gewissen ordnenden Sinne wiederzugeben weiß — dann
vuillard, der die großen Flecken liebt, aber ohne
große Empfindung — und mit Vorliebe das chäßliche
aufsucht. Dann sisierre Bonnard, der auf dem
festeren Boden der Landschaft steht, und Maurice Denis,
bei dem bei allem Können, das sich übergenügend dar-
thut, doch die Einigung zwischen Stil und Impression
nicht recht erzielt wird. Es bleibt etwas Ungelöstes,
das unbefriedigt läßt. Auch er ist merkwürdiger weise
in einer Landschaft noch am besten vertreten. Felix
Valloton, uni den so viel gestritten wird, ist der aus-
gesprochene Stilist der großen Fläche als Farbenfleck.
Er erzielt schöne Wirkungen, ohne eigentlich malerisch
im künstlerischen Sinne zu bleiben. Er leitet die Land-
schaft und das Porträt fast auf die Technik des sillakats
hin, die ihre Beschränkungen im Ausdruck vor allem
aus technischen Nothwendigkeiten der Reproduktion übt.
valloton macht diese Simplizität zum Kunstxrinzip und
erzielt dadurch wohl unleugbare Wirkungen auf das
Auge, aber oft mehr im Sinne einer gefälligen Tapete
als eines lebendigen Gemäldes. Ganz breit hinge-
strichen, und in dieser Breite von lapidarer Wirkung
ist Roussel. Aber auch er ist ein Suchender, während
Gdilon Radon schon bestimmte werthe klug und ge-
schickt zu seinem künstlerischen Eigenthum zu machen
wußte. Er liebt die laute Farbe neben der stillen und
sanften, und bringt so Kontraste zu stände, die in ihrer
klaren und vollen Wirkung seinen Bildern einen durch-
aus künstlerischen Eindruck sichern. Gauguin steht,
gleich Whistler und auch Degas, unter dem Einfluß
der japanischen Kunst.
Um diesen Einfluß zu verdeutlichen, hat die
Sezession auch eine kleine japanische Abtheilung ein-
gerichtet und darin Blätter der großen Meister Hokusat,
Kiyonaga, Gntamaro, Seishi und Hiroshighß
zur Ausstellung gebracht. Freilich wird man hier wohl
ein wenig überrascht sein, neben dem fast brutalen
Ringen des modernen Impressionismus in der euro-
päischen Kunst, — diesen Kämpfen um das Licht, die
Farbe, oder die Linie — die Erscheinung als Augen-
blickswirkung oder als Motiv rein malerischer Empfin-
dung — soviel feine, stille, ihrer selbst bewußte und
unbeirrte Kunst zu finden, die weit entfernt von einer
 
Annotationen