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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Die Beeinflussung des Künstlers und die Kritik [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0208

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s?8 Die Kunst-Halle. Nr. f2

Anregungen auf geistigem Gebiete von außen her in
der richtigen Weise auf sich wirken läßt, oder ob man
sich blindlings jeden ausländischen Schund, jede belang-
lose Tagesmode des fremden Geistes um teures Geld,
beziehungsweise unter Aufgabe der eigenen geistigen
Selbständigkeit zueignet. Dies letztere Thun wäre mit
Recht als Ausländerei im schlimmen Sinne zu be-
zeichnen.
Auf den geistigen Gebieten, aus deren Gesammt-
heit hier für uns im Besonderen die bildenden Künste
in Betracht kommen, hat diese Ausländerei in ihrer
blinden, unselbständigen Nachahmungswuth wohl
manchen Künstler um die Früchte einer gesunden, jeden
fremden Einfluß gründlich Verarbeitenden Entwicklung
gebracht, hat seinem Schaffen den bleibenden, kultur-
fruchtbaren-Werth genommen und ihm dafür, gleich-
sam; um Tröste, jenen billigen und rasch welkenden Tages-
ruhm geschenkt, von dessen Unbeständigkeit und Hin-
fälligkeit wir fortwährend Beispiele erleben.
In hohem Maße interessant und fruchtbare Schluß-
folgerungen verheißend, scheint uns nach alledem eine
Betrachtung über die Stellungnahme der Kunstkritik
zur Frage der Beeinflussung des deutschen Künstlers
durch fremde Kunstprinzipien, durch ausländische Kleister
und von ihnen gegebene Richtungen. Wir enthalten
uns dabei aller grauen Theorie und folgen lediglich
dem in Kunstzeitschriften und Tageszeitungen niederge-
legten Material. Eine Sichtung dieses Materials läßt uns
dasselbe in zwei verschiedene Gruppen eintheilen. In eine
ernste, sachliche, methodisch und gesetzmäßig werthende
Kritik, deren Berechtigung und deren Verdienste um die
Weiterentwicklung der bildenden Kunst außer aller
Frage stehen, und in eine ebenso unnütze als unsach-
liche dilettantenhafte Kritik, die in unserem Material
freilich nicht dem geistigen Gehalte, wohl aber der
Masse des von ihr mit Druckerschwärze bedeckten Pa-
piers noch überwiegt.
Jede ernste Kunstbetrachtung ist eine Aeußerungs-
forni des Erkenntnißdranges unserer positivistischen,
exakt und konsequent denkenden Zeit. Der Künstler ist
uns heute nicht mehr das mystische Mrakel einer über-
natürlichen Stimme. Das Kunstwerk nehmen wir nicht
mehr als die geoffenbarte Eingebung eines höheren,
außerweltlichen Geistes gläubig hin. So gut wir die
Gesetze ergründen wollen, auf denen unser geistiges
Bedürfniß nach Kunst beruht, so gut wir wissen wollen,
auf Grund welcher psychologischen Momente das fertige
Kunstwerk auf uns wirkt, eben so gut verlangen wir
die Bedingungen zu erkennen, unter denen das Werk
in der Psyche des Künstlers zu Stande kam, die Gesetze,
aus denen heraus es erwuchs. Dieser lautere Lrkennt-
nißdrang, der bei jeder Erscheinung sein Woher? sein
Warum? fragt, ließ von je die ernste Kunstkritik der
Beeinflussungsfrage mit Recht die Aufmerksamkeit zu-
kommen, die sie verdient.
Die Wichtigkeit der Frage rechtfertigt dies auch
vollkommen, denn die Eigenart eines Künstlerwerkes

kann nur dann begriffen, als solche bewerthet und zu
anderen kulturwerthigen Dokumenten künstlerischen
Schaffens in neue fruchtbare Beziehungen gebracht
werden, wenn der Kunstbetrachter den Zusammenhang
des einzelnen ihm vorliegenden Werkes mit der ge-
jammten geistigen Entwicklung nachzuweisen vermag.
Und jedes Kunstwerk von bleibendem Werthe, mag es
auf den ersten Blick noch so befremdend — originell
anmuthen, ist niemals, wie Pallas aus dem Haupte
des Zeus hervorsprang, durch irgend eine mystische
ZsnsrAtio aequivoea in's Leben getreten, sondern es ist
auf der Basis der vorangegangenen historischen Ent-
wicklung, gleich jedem anderen Organismus, organisch
entstanden.
Der Nachweis jener organischen Entstehung, die
zugleich Kriterium für den ästhetischen Werth des
Werkes ist, verlangt unter anderem gebieterisch auch die
eingehende Behandlung der Beeinflussungsfrage. Der
ernst zu nehmende Kunstkritiker tritt jedoch an diese
Frage stets als Forscher heran, d. h. ohne Vorurtheile,
ohne Voreingenommenheit im Sinne irgend eines
theoretischen Dogmas. Nicht der fromme Wunsch ist
der Vater seiner Gedanken, sondern nur die exakt fest-
gelegte Entwicklungsthatkraft. Legt er daher die Fäden
blos, mit denen der Künstler und sein Werk in das
bunte Gewebe der gesammten Kunst- und Kulturent-
wicklung eingewoben sind, so thut er ihm damit, weit
entfernt ihn zu schädigen, einen großen Dienst: Erweist
ihn und sein Schaffen dadurch als berechtigt, als werth-
voll, als nothwendig nach. Er beweist damit, daß das
Kunstschaffen eine bestimmten Gesetzen unterworfene,
vernünftige und fruchtbare Thätigkeit ist und kein plan-
los-willkürliches Herumtasten, wo es sich daher um
die Beeinflussungsfrage handelt, ist ihre Erörterung
dem ernsten Kritiker niemals Selbstzweck, sondern stets
nur Mittel zu seinen höheren psychologischen Zwecken.
Darum arbeitet er im Bereiche dieser Frage stets nur
mit wohlbegründeten, auf der Entwicklungsgeschichte
fußenden Ausführungen, nicht mit billigen Tlichsworten,
mit hastigen, aus subjektiver Willkür und befangener
Anschauung geborenen Urtheilen und Verurteilungen.
Solche Unarten kennzeichnen indessen das Wesen der
nicht ernst zu nehmenden, dilettantischen und unberufenen
Kritik, die von einer vorurtheilslosen Kunstbetrachtung
weit entfernt, auf Grund der mangelnden geistigen
Reife derer, die sie ausüben, nicht im Stande ist, in
ihren Aeußerungen mehr zu geben, als durch keinerlei
kontrollirbare Beweise gestützte Urtheile, die demnach
auch keiner unbefangen geführten, auf Thatsachen be-
gründeten Untersuchung entspringen, sondern lediglich
einem oft recht arroganten, unsachlichen Dafürhalten,
einer „Auffassung", einer „Anschauung", einer
„Meinung".
So schaltet naturgemäß aus derlei Elukubrationen
jede feste und sichere Logik aus, und an ihre Stelle tritt
die mehr oder minder poetisch draxirte Phrase. Die
dilettantische Kritik zieht nicht aus Thatsachen und Ge-
 
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