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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Zum Problem der modernen Plastik
DOI Artikel:
Haenel, Erich: Sächsische Kunstausstellung Dresden 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0299

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Die A u n st - b) a l l e.

Nr. s?

259

brachte, war nichts halbes und nichts Ganzes, nichts
Altes und nichts Neues.. Da sah man modern uni-
fonnirte Gestalten, in großer Generalsuniform, wie man
sie bei jeder Parade sieht, auf langmähnigen, geradezu
unvorschriftsmäßig stilisirten Rossen. Da umgeben den
Sockel dieser halb modern-, halb historisch-kostümirten
Reiterfiguren allerhand allegorische Genien, Sagen-
gestalten, Wappenthiere, Trophäen und Embleme, in
deren Stileinheit dann jählings wieder ein modern
uniforinirter Landwehrmann oder dergleichen hinein-
platzt. Kurz, da findet sich eine Menge jener stillosen
Kontraste und Gegensätzlichkeiten, die dem ästhetisch
Feinfühligen jeden künstlerischen Genuß illusorisch machen,
so sehr dies möglichst kunterbunte Gemengsel der
heterogensten ästhetischen Elemente heute den Minder-
gebildeten und minder Feinfühligen gefallen mag.
Diese historischen idealisirenden Zuthaten zu der modern
uniformirten, sachlich gehaltenen Hauptfigur beweisen,
daß es dem modern bestrebten Plastiker nicht gelungen
war, das Problem des modernen Denkmals direkt zu
lösen, daß er Umwege und Auswege einschlagen mußte,
die ihn eben zu jenen ästhetischen Zwittern hinführten.
Der Grund dieses Scheiterns liegt in der Natur
der Sache, in der ästhetischen Eigenart der modernen
Uniform. Ihre ästhetischen (Qualitäten offenbart die
moderne Militärtracht nur in ihrer Eigenschaft als
Uniform im strengsten Sinne, als einheitliche Kleidung
der zu festgefügten Truppenkörpern zusammengeschlosse-
nen Massen. Aesthetisch wirkt die Uniform eines
attackirenden Kavallerie-Regiments, ästhetisch wirkt sie,
wenn sie die ästhetischen Valeurs eines Parademarsches
in Regimentskolonne durch die Symmetrie ihrer Form,
ihrer Farben hervorhebt, zum Ausdruck bringt. Nur
in ihrem Milieu offenbart sie ihren ästhetischen Ge-
halt. Das Milieu der Uniform aber ist das Feldlager,
marschirende Kolonnen, schwenkende Bataillone, schwär-
mende Schützenlinien, auffahrende Batterien. Aus-
schnitte aus diesem Milieu künstlerisch, etwa mit den
modernen graphischen Mitteln festgehalten, sind recht
wohl im Stande, die künstlerischen Wirkungen der
Uniform zu vermitteln, bjerausgerissen jedoch aus ihrem
Milieu ist die Uniform nicht mehr Uniform. Zsolirt,
zumal gar auf den Sockel eines Denkmals isolirt, ist
die Uniform weder „schön" noch „häßlich", sondern
schlechthin zur künstlerischen Darstellung ungeeignet.
Man bedenke nur, was dabei herauskäme, wenn ein
besonders konsequenter Plastiker einmal zur Probe es
unternehmen wollte, das realistische Schaffensxrinzix
rationell beim Denkmal für einen hervorragenden zeit-
genössischen Militär durchzuführen! Ein Gebilde wäre
das Resultat, dessen wesentliche Eigenart die polychrome
Tereoplastik des Panoptikums oder die — Bleisoldaten-
Zndustrie weit besser wiederzugeben vermöchte, als alle
Erz- und Marmorskulptur. —
f' > Mit dem bisher Gesagten dürfte der Beweis er-
bracht sein, daß eine unserem modernen Denken und
Empfinden restlos entsprechende Denkmalskunst zur

Zeit uoch Problein ist, ein Theil des umfassenderen
Problems der modernen Plastik überhaupt, zu dessen
weiterer eingehenderer Behandlung un Vorliegenden
die Gesichtspunkte gegeben sind, wir haben gesehen,
daß weder ein modern-realistisches Schaffensprinzip,
noch ein historisch-idealisirendes im Stande ist, um ein
einwandfreies, einheitlich ästhetisch wirkendes, dem Zeit-
milieu harmonisch eingeordnetes Denkmal zu liefern.
Den Grund dafür erblicken wir in der Thatsache, daß
für unsere Zeit das Kulturideal der Antike bedeutungs-
los geworden ist, daß unser materielles wie geistiges
Leben immer mehr einen ausgeprägten Neucharakter
annimmt, der auch in den Künsten*) neue Ausdrucks-
mittel verlangt, der die überkommenen Formen in der
Weise, die wir am Beispiel der modernen Denkmals-
plastik erläutert haben, auflöst und zersetzt. Das heutige
Durchschnitts-Denkmal ist ein solches Zersetzungsprodukt,
denn es steht nicht mehr auf der Basis eines gesunden
positiven Bedürfnisses, es ist künstlich am Leben ge-
haltene Tradition.

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A lLL jer erste große Vorstoß, durch den Dresden, die klassische
/ Stätte akademischen Kunstfriedens, aus der Lethargie
der offiziellen konservativen Unthätigkeit in die Ge-
filde bewußter, arbeitsfroher und kampfmuthiger Gegenwarts-
kunst hinanstieg, war die internationale Ausstellung von Z897.
So kläglich die allmähliche künstlerische Verknöcherung im
Laufe der achtziger und neunziger Jahre, so glänzend nun der
Sieg. Und als man dann, zwei Jahre später, die Grenzen
des vorzuführenden verengte und die deutsche Kunst als ein
selbständiges Ganzes zusammenzufafsen wagte, heftete sich der
Erfolg wiederum an die Banner der verjüngten Kunststadt.
Daß an Vollkommenheit der Ausstellungstechnik hier alle
*) Anin. d. Red. wir müssen betonen, daß wir die
letzten Folgerungen der einseitigen radikalen Anschauung der
Herren Verfasser keineswegs billigen, wenn wir auch die Logik
ihrer geistvollen Aeußerungen an sich nicht verkennen, weder
halten wir heute das Kulturideal der Antike für völlig be-
deutungslos, noch glauben wir, daß unser „Zeitmilieu" schon
so geklärt, so neuartig ist, um von der Bildnerei einstweilen
absolut neue Ausdrucksformen zu erwarten. Gerade das, was
die Vers, an den heutigen Bildwerken bemängeln, ist auf
künstlerischem Gebiete eines der wichtigen Merkmale unserer
Uebergangsexoche. wir wünschen nicht, daß das moderne
Kunstwerk etwa wie das Telephon als eine Forderung der
Zeit „erfunden" werden soll. Unantastbares Recht des Künstlers
ist vielmehr, selbst abseits von den wegen der modernen
naturalistischen Außenkultur, aus dem Innenleben heraus, in
dein auch die Tradition eine Rolle spielen kann, zu gestalten.
Schwer dürfte es sein, im Rahmen jener materiellen Aus-
legung des Zeitmilieus z. B. einem Böcklin gerecht zu werden.
 
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