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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Thomas, Bertha: Londoner Kunstbericht
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Grosse Berliner Kunstausstellung 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0355

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Nr. 20

Die Kunst-Halle.

Z09

Bacon hat die Huldigungsszens in der Westminster-
Abtei gemalt, wie der König dem Erzbischof aushilft.
Lin schlecht gewählter Moment, warum einen Zwischen-
fall verewigen, der die beiden Hauptpersonen in eine
den feierlichen Tharakter der Zeremonie für den Augen-
blick störende Situation brachte?
Mit Vergnügen haben wir einige treffliche Werke
von weiblicher Hand zu verzeichnen, Lucy Kemp
welch's drei Bilder legen wiederum Zeugniß ab für
die seltene Begabung und Vielseitigkeit dieser Künstlerin,
und es scheint danach die Hoffnung begründet, daß in
nicht gar langer Zeit die Akademie sie zu ihren Mit-
gliedern zählen wird. Miß Brickdale, eine entschiedene
Anhängerin der Präraphaeliten, sandte ein bemerkens-
werthes Bild „Rosamunde" in mittelalterlich symbolischem
Stil, aber so kraftvoll und schön in der Farbe, daß es
den besten der ersten Periode Millais' würdig an die
Seite zu stellen ist. Lady Alma Tadema's „Das
Erstgeborene", eine zartempfundene, reizende Studie einer
jungen Mutter mit ihrem Säugling an der Brust ist in
der Auffassung des Natürlichen durchaus modern, dabei
aber doch von einem Hauch lieblichster Madonnenhaftig-
keit durchweht. Und Miß Tadema's kräftig gemaltes
Aquarell, „Tulpen", Brustbild eines jungen Mädchens,
ist eine Farbenstudie in Noch, die ein erstaunliches
Können dokumentirt.
Die Landschaften, obwohl auf diesem Gebiet viel
Tüchtiges geleistet wird, erreichen doch wenig nachhaltige
Erfolge. Daran ist einestheils das Vorherrschen der
übertrieben großen Leinwand, andererseits die Sucht
nach dem Effekt schuld. Beides Folgen der Schwierig-
keit in einer großen Gallerie Aufmerksamkeit zu erregen.
Adrian Stokes' „Herbst im Gebirge", eine der besten
diesjährigen Thantry-Fonds-Erwerbungen, ist jedoch frei
von solchem Vorwurf. Der Künstler hatte einen Effekt
zu malen, glücklicherweise einen sehr lohnenden, und er
malte ihn auf einer Leinwand von dem Motiv ange-
messenem Umfang. Zudem zeichnet sich die Malerei
durch jene Sicherheit in großen Zügen aus, worin unsere
Landschafter hinter denen des Auslandes sonst sehr zurück-
stehen. Die Ausstellung wird von Jahr zuIahr gemischter,
weniger ausgeprägt akademisch, büßt daher viel von
ihrem Einfluß im Sinne der älteren Schule ein. Und
halten wir Umschau in: New Lnglish Art Tlub, der
einzigen noch bestehenden antiakademischen Vereinigung
aus der voreinigenIahrenentstandenenprotestbewegung,
so finden wir dieselben Künstler wie dort vertreten. Da
sehen wir Charles Furse, der mit seinen großen Porträts
die Ausstellung im Burlington-Haus aus dem Niveau
des Unbedeutenden herausreißt, hier die gleiche Aufgabe
erfüllen. Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, daß
der Tlub seine Berechtigung verloren habe. Er bleibt
eine Zuflucht für junge Talente von allzu extremer
Richtung, um leicht Aufnahme anderswo zu finden, und
eine bevorzugte Stätte für kleinere, mit subtilster Fein-
heit ausgeführte Bilder, die in großen überfüllten
Räumen Gefahr laufen, übersehen zu werden. Ein solches
Werk ist Steer's „Goldiges Thal" (The Golden Valley),
wo ein wundervoller und eigenartiger Effekt des breit
über einem großen Stück Land leuchtenden Sonnenscheins
festgehalten ist. Roth en st ein's schon im pariser Salon
ausgestellt gewesenes, außerordentlich anziehendes Bild
„Das Puppenheim" ist nicht die Illustration einer Szene
Ibsens, sonder die Idee des ganzen Stückes im Bilde
verkörpert —- der Konflikt zweier widerstreitender Naturen,
die in der Ehe an einander gebunden sind; der Mann
selbstbewußt, schroff seine Autorität behauptend, die
Frau in der ihr allein möglichen Art sich auflehnend,
durch passiven trotzigen widerstand.

Nun zur New Gallery, die so ziemlich den gleichen
Eindruck bietet, wie die Royal Academy; ebenso ge-
mischt und ebenso spärlich mit Werken von hohen
Aspirationen beschickt. Die befähigsten Aussteller hier,
S. Shannon und Lavery, sind beide Bildnißmaler, die
zu den ersten ihres Faches zählen, aber in Bezug auf
Komposition nicht zu den Größten. Watts hat sich
mit einigen bedeutenden Werken betheiligt, besonders
in der Landschaftsmalerei. Unser Nestor bezeigt darin
einen Sinn für die hehre Einfachheit und das Grandiose
in der Natur, den die jüngere Schule ihm leider noch
nicht abgeguckt hat. Den größten Sensationserfolg
dieser Ausstellung hat jedoch ein Ausländer davon ge-
tragen, der Italiener Boldini mit seinem kühn und
glänzend gemalten Porträt Whistlers. Die Wieder-
gabe ist von einer erschreckenden Lebendigkeit in äußerst
gewagt moderner Behandlung. Der Künstler sitzt seit-
wärts auf einem weißgexolsterten Stuhl, mit erhobener
krallenartig gespreizterHand sein eisgrauesHaar krauend.
Ausdruck und Geberde sind theatralisch dämonisch. Das
Ercentrische tritt ungebührlich hervor, körperliche Abson-
derlichkeiten sind übertrieben fcharf markirt, und die
Lebenswahrheit, obwohl nicht zu bestreiten, ist nur eine
äußerliche, zu Unrecht der dargestellten Persönlichkeit
einseitig erfaßt, ohne uns den Menschen wirklich nahe
zu bringen. Allerdings ein ungeheuer wirksames Bild,
aber ein wenig ungeheuerlich.
Dieses Jahr hat uns keine bedeutenden Skulpturen
gebracht, wohl aber das Erwachen der Behörden zu
der Einsicht, daß wir ohne genügenden Raum zur Vor-
führung voll Bildhauerwerken vergeblich auf solche
warten werden. Der jetzige Zustand würde lächerlich
sein, wenn er nicht so traurig wäre. Eine würdige
Ausstellungshalle für Skulpturen ist zur Zeit das drin-
gendste Erforderniß im Londoner Kunstleben.


6rv5§e Miner Xmutsutttellling IW.
IV.
as Militär bild und das religiöse Genre seien,
im Ailschluß an die im letzten Aufsatze versuchte
Gesammtbehandlung der Genremalerei, als eigene
Gruppen noch nachträglich kurz berücksichtigt. In Berlin
finden wir die Mehrzahl der Schilderer vaterländischer
Geschichten. Die Tarl Seiler, Hünten, Mattschaß,
Röchling, Knötel illustriren die älteren Epochen, d. h.
hier die Zeit des großen Friedrich und der Befreiungs-
kämpfe. Rocholl und Koberstein beleben mit je einer
Episode die Erinnerung an den letzten französischen
Krieg, während Ad. von Kossack, Tarl Becker, Knack-
fuß und der geschickte, nur etwas hahnebüchene Dar-
steller Röchling aus den jüngsten militärischen und son-
stigen LrlebnissenKaiserwilhelm's II. farbeilreiche Szenen
zusammenstellen. Ich wüßte nicht, was ich von diesen
gut gemeinten Bildern — u. a. „(FsrirmuZ t-o tbs Koni"
(Röchling), „Einzug in Jerusalem (898 (Knackfuß),
„Kaisermanöver (9OP (Kossack), bei' deren Entstehung
rein künstlerische Erwägungen jedenfalls nicht die Haupt-
sache bildeten, besonders zu würdigen die Pflicht hätte,
mit Ausnahme etwa von Kober st ein's Tod eines
blutjungen Offiziers in einer französischen Hütte, an
 
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