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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Haenel, Erich: Dresdner Kunstbrief
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München: Kunstbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0123

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Die Kunst-Halle.

f03

Nr. 7

Accent: alle Möbel der eben veranstalteten Ausstellung
sind derart, daß auch der Steuerzahler der 8.—s2. Klasse
sich seine Wohnung damit ausstatten kann. Daß dabei
die künstlerische Form nicht vernachlässigt, sondern mit
individuellem Verständniß für die Feinheiten des Materials
und den Kern des praktischen Zweckes behandelt ist,
dafür bürgen die Namen von Künstlern, wie August
Lndell, G. Kleinhempel, W. A. Nicolai, Albin Müller,
Karl Groß u. a. Lin Eßzimmer des Ersteren, in dunkel-
roth gebeizter Tanne, mit mattblauen Sammtbezügen,
ein Schlafzimmer von G. Kleinhempel, gleichfalls in
weichem Holz in Grün ausgeführt, erwecken das Gefühl
echter Behaglichkeit, das so vielen, von den Führern
der neuen kunstgewerblichen Bewegung in kostbarstem
Material geschaffenen Stücken ganz fremd ist. Hauskunst
statt Ausstellungskunst, Emleben in die Sphäre des
künstlerisch anspruchslosen und doch ganz spezifisch
empfindenden Mittelstandes statt Spekuliren mit der
Sensationslust des Snobs oder der Naritätenhascherei
des reichen Liebhabers — diesem Programm bietet die
Ausstellung des jungen Unternehmers ganz vortreffliche
Unterlagen. Die Pioniere der künstlerischen Volksbildung
mögen sich bei Herrn Th. Müller bedanken.
Stephan Sinding, der von Berlin aus mit
allen Posaunenstößen der Reklame Popularisirte, stellt
sich jetzt den Dresdnern in Nicht er's Kunstsalon vor.
Nicht als ein vorher gänzlich Unbekannter: die „Barbaren-
mutter" steht schon seit langem in der modernen Ab-
teilung unserer Skulpturensammlung, von den jetzigen
Arbeiten fesselt wohl am meisten die Gruppe „Zwei
Menschen". Die beiden Akte sind ausgezeichnet frisch
und lebensvoll, das Gefühlsmoment erscheint, trotz der
Gewaltsamkeit der Aktion, doch noch von einer feinen
subjektiven Ueberlegsamkeit verschleiert. An der jungen
Barbarin, die den Leichnam ihres Mannes findet, wäre
der xhysiognomische Ausdruck zügellosen Schmerzes sicher
noch zu steigern. Das Gran Sentimentalität in der
„Gefangenen Mutter" und der „Nacht" darf nicht
unerwähnt bleiben, wo immer von der nordischen
Herbigkeit, dem plastischen Monumentalgefühl des
Norwegers geschwärmt wird. Daß er in der Formen-
sprache sein Bestes mit den Franzosen verdankt, wird
vor den meisten seiner Arbeiten unmittelbar klar. Nur
etwa die schöne Holzfigur „Die Aelteste des Geschlechts"
und die technisch auffallend ungeschickte „Walküre" er-
innern einigermaßen an die Nationalität ihres Schöpfers.
Und darum konnte es wieder einmal kommen, daß uns
das, was wir unvoreingenommen mit voller Intensität
genossen hätten, jetzt, nach ruhigem Vergleich mit den
Superlativen der vorangegangenen Bewunderung zu
einer fühlbaren Enttäuschung wurde. Sinding ist ohne
Zweifel ein feiner Künstler, im vollen Besitz der plastischen
Ausdrucksmittel unserer Zeit; ein Tharakter, der uns
neue Welten seelischer Offenbarung erschlösse, neue
Bahnen der Versinnlichung reiner Natureindrücke wiese,
ein Genie ist er nicht.
Eine Revue über Münchener Malerei des letzten
Vierteljahrhunderts in einer gewählten Anzahl anerkann-
ter Vertreter bot sich bei Arnold, wo die Münchner
Kunsthandlung von Heinemann ihre Kollektion derer um
und vor Lenbach, Stuck, Grützner, Echtler u. s. w. aus-
gestellt hatte. Dazu kam dann ein Böcklin „Heiligthum
des Herakles", herrlich noch wie am ersten Tag, trotz
Tarlo und seines streitbaren Breslauer Gegners. Eine
Sammlung von Radierungen des Dresdners Georg
Jahn macht uns jetzt mit der schon oft bemerkten
Individualität des jungen Graphikers auf's Vortheihafteste
bekannt. Die gesunde Freude am Können, sowohl in
der Richtung der lupenscharfen Beobachtung gerade der

intimsten Linzelzüge am Naturbilde wie in der einer
technisch einwandsfreien Wiedergabe aüersolcher Details,
spricht aus allen diesen Blättern, mögen sie ein Stück
Landschaft, einen menschlichen Körper oder ein Antlitz
darstellen. Die Physiognomie selbst steht indeß im Vorder-
grund von Jahns Schaffen; die Porträts seiner Eltern
sind von einer Tiefe, ja Größe des Ausdrucks, von
einer Sicherheit des Stilgefühls und einer: Reichtum der
Tonunterschiede, daß das Prädikat „meisterhaft" hier
nicht zu hoch gegriffen erscheint. Dann ein Selbstporträt
en kaes, das alle Reize des Schabkunstverfahrens, vor
allem die wunderbare warme Weichheit der Schatten
aufweist, der Rückenakt eines jungen Mädchens, dessen
seltsam steife Haltung bis in die letzten Konsequenzen
durchgearbeitet ist, u. a. der Einfluß Rich. Müllers ist
hier soweit individualisirt, als eben die absolute Ehrlich-
keit der Naturwiedergabe, als ein Prinzip aufgefaßt,
überhaupt ein Einfluß genannt werden kann. Eine
Meeresfläche, über der sich dunkles Gewölk in wirren
Phantasien zusammenballt, mag wohl an Otto Fischers
Himmelstudien erinnern. Die germanische Herbigkeit,
wie sie dem Schaffen dieser Künstler als erlesenster Reiz
innewohnt, kennzeichnet auch Jahns graphischen Stil,
und verliert auch da nicht ganz ihre bestimmende Kraft
wo sich der Künstler, in einigen Schabkunstblättern,
weiblichen Akten, eine fast französische Eleganz und
Delikatesse des Vortrags angeeignet hat. Angesichts der
Arbeiten Jahns darf man der jungen Dresdner Radier-
schule, die Müller, Fischer, Lührig u. a. noch vertreten,
getrost eine fruchtbare und einflußreiche Zukunft ver-
sprechen.
Als llomo novus kann Karl Heßmert aus Kolberg
nut dem Erfolg wohl zufrieden sein, den ihn: seine
umfangreiche Sonderausstellung in: Kunstverein gebracht
hat. Die Landschaften von der Gstseeküste verrathen ein
kräftiges koloristisches Talent, das den Stil der Bracht-
schule, die pastose Technik und das Hervorheben der
großen stimmungsbildenden Töne des Naturbildes,
nicht kritiklos übernommen hat. In allen diesen von:
Sturm gepeitschten Föhren, sonnenüberglühten Dünen,
verwitterten Ordensburgen oder schneebedeckten Flußab-
bängen steckt eine gute Dosis Temperament, das nur
selten in das bei solcher Anlage ja stets naheliegende
Pathos verfällt. Manches ist noch mehr gemalt als
gesehen, d. h. mehr als farbige Materie herausgekommen
denn als von der Darstellung und ihren Schranken un-
abhängiger Natureindruck. Doch mag die gesunde
Frische der Aufnahmefähigkeit, die überall durchbricht,
den Künstler wohl über die Klippen eines nur ange-
lernte::, nicht zur inner:: Natur gewordenen Impressionis-
mus hinweghelfen.
L. Haenel.


Ducken:
Runrtberickt.

ls Maler von Schafherden ist der unlängst hier
verstorbene Ernst Meißner beliebt und geschätzt
gewesen. Der Kunstverein brachte nun seinen
Nachlaß; über sOO Bilder und Studien, besonders
Studien und in gar vielen der letzteren will mir der
Künstler, wie dies oft geht, interessanter erscheinen als
 
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