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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Der Kulturwerth der modernen künstlerischen Bestrebungen, [2]
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Grosse Berliner Kunstausstellung 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0389

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Nr. 22 Die Kunst-Halle. 339

Der Fernwirkung und damit der modernen Kultur
ganz unmittelbar, wie. im Plakate der Fall ist, dient
der reif gewordene Impressionismus nur dann, wenn
er zu einer äußersten Schulung der formalzeichnerischen
Fähigkeiten, des konstruktiven Könnens hinzutritt,
wie nun an diesem abgeschlossenen Lntwicklungskreislauf,
von dem allerdings heute in der Praxis nur die wenig-
sten Werke Zeugniß ablegen, wiederum eine neue,
Kulturwerthe erzeugende Entwicklung der bildenden
Kunst anknüpfen wird, dies kann natürlich nicht im
voraus theoretisch errechnet werden. Nach allem Ge-
sagten dürfte jedoch die Annahme berechtigt sein, daß
sich der Künstler immer mehr seiner Kulturaufgabe be-
wußt werden, daß er immer bewußter, immer
denkender bestrebt sein wird, seine Produktion auf
eine gesündere und differenzirtere Basis zu stellen, als
auf die der ästhetischen Willkür und eines Subjektivis-
mus, dessen Unkontrollirbarkeit ihn nachgerade zu einer
schweren Gefahr für die Entwicklung macht.


8ro5§e Zerliner Auncksurrtellling 1S0Z.
V. Plastik.
n Bildwerken zählt die diesjährige Kunstaus-
stellung etwa 340 Nummern. Es entfällt also
immer ein plastisches Werk auf drei Gemälde,
und das ist ein für die Bildhauer günstiges Verhältnis
Natürlich dominirt die Berliner Schule durch die Wenge
der eingelieferten Arbeiten. Die Beschickung aus Düssel-
dorf und München ist spärlich und man wird daraus
keine Anschauung gewinnen können über den Stand
der dortigen Bildhauerkunst. In Düsseldorf liegt
allerdings die Bildnerei nach wie vor arg danieder,
die Waler und immer wieder die Waler führen da das
große Wort und überhaupt haben die akademischen
Rheinlands seit jeher mehr eine malerische und weniger
eine plastische Ueberlieferung. Die Wünchener Plastik
hat sich neuerdings in eine warmblütige Vornehmheit
und in die Fülle des nationalen Phantasieschaffens hin-
eingearbeitet und sticht somit vorteilhaft gegen die zum
Theil sehr leichtsinnige, gehetzte und überhastete Berliner
Art ab. Dresden, das auf der ganzen Linie immer
rühriger wird, ist dagegen reichlicher vertreten und das
kommt einfach daher, weil die bösen Frachtkosten von
Elbflorenz her nicht gar so unerschwinglich sind wie
von Isarathen oder aus der Malkastenstadt. England
und das ehrgeizige Amerika wollten uns überhaupt mit
keinen Bildwerken beglücken. Italien und Frankreich
haben wenigstens einige Proben gegeben, wohingegen
Belgien aus seinem großen Neichthum eine charakter-
volle, kleine Gruppe auserwählter Werke spendete. In
der Hauptsache wird also die Betrachtung sich auf die
Berliner versteifen.
So vieles sich auch in der Anordnung unserer Aus-
stellungen mit Aufgebot dekorativer Hülfsmittel geändert
und gebessert hat, so ist doch das Problem einer würdigen
Schaustellung der Skulpturen noch längst nicht gelöst.
Die Masse des zu bewältigenden Kunstgutes spottet der

Versuche vornehmer Gruxpirung. Zwar hat man
viele Bildwerke auf die geeigneten Stellen der Gemälde-
Säle vertheilt, manches an die Architekturabtheilung ab-
gegeben, auch ein intimes Kabinet geschaffen für kleinere
Arbeiten in echtem Material, aber das Gros ist doch
wieder lieblos abgefertigt. Und gerade die gipsernen
Werke bedürften doppelter Fürsorge, damit ihre nüchterne
Härte und Kälte nach Kräften gemildert würde. Wie
ein Gemälde im Nahmen erst zur beabsichtigten Wirkung
gelangt, so empfindet eine Skulptur das Bedürfniß, sich
in Beziehung zu setzen oder anzulehnen an eine wand,
einen Pfeiler, eine Nische, an eine Häuserreihe oder an
Buschwerk oder Baumgruppen, entweder um sich in
Harmonie oder in Kontrast nut der Umgebung zu
setzen. Jedenfalls haben die besten Meister der Vorzeit
eine figürlich-plastische Silhouette niemals in den leeren
Raum oder gegen den Himmel komponirt, wie das
heute so häufig geschieht und leider auch bei dem so
ausgezeichneten Hamburger Bismarck-Denkmal. Nun
sehen wir in den: großen Skulpturensaal der Ausstellung
die gipsernen Kolosse in den leeren weiten Raum und
in das grelle Licht hinein wirr und wild durch einander
gestikuliren. Da kommt es, daß in diesem zappelnden
Gedränge ohne Halt und Gruppirung der eine die
Wirkung des andern aufhebt, und daß der Beschauer
vermeint, Spießruthen laufen zu müssen. Jedenfalls
sollte man nicht die Mittel scheuen, für die Zukunft
einen würdigen Skulpturensaal herzustellen, d. h. einen
mannigfach gegliederten Raum, etwa eine von Säulen
getragene Kuppelrotunde mit niedrigerem Umgang oder
auch eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit angegliederten
Apsiden oder Kapellenkranz, und das ließe sich mit billigen
Rabitz-Konstruktionen ohne weiteres erzielen. Schnurrig
ist es gewiß, daß in der Bildhauerstadt Berlin seit
Menschengedenken immer gerade die Bildwerke am un-
geschicktesten inszenirt werden.
Den Nundgang durch das Reich der Skulpturen
beginnt man am füglichsten von jenem Sonderkabinet, das
in nächster Nähe des großen Repräsentationssaales Unter-
kunft gefunden und somit in das schönste Licht gerückt ist.
Hier erstrebte man eine interessante und intime Gruppirung
von Bildwerken feineren Gepräges und hier steht in der
Dinge Mitte, weithin leuchtend durch den Thürrahmen,
die Marmorstatue der Diana von Adolf Brütt. Diesem
Werk ist die erste und ehrenvollste der großen goldenen
Medaillen Heuer zugesxrochen. Brütt formte eine in
Kraft und Fülle ausgereifte Frauenschönheit, das rassig
starke Weib mit deutschen Wesenszügen, dann vergeistigte
er den Akt zu der dreifach waltenden Naturgöttin, die
als Hekate in den unterirdisch brausenden wassern lebt,
tagsüber vor dem Sturmwind her die Wälder durch-
schreitet und nächtens als Mondgöttin die wolkenheerden
über den Himmel scheucht. Brütt veranschaulicht die
Diana in dem traumhaft mystischen Nebergang von der
Tages- zur Nachtgöttin und giebt jene wunderbare
Stimmung, wo die helltönenden winde vor dem macht-
voll aufsteigenden Dunkel schlafen gehen. Den Gürtel
mit dem Köcher läßt die Göttin zur Erde sinken, das
Haupt neigt sich zur Schulter und wie die Lider fallen,
gleitet die starke Rechte mit müdgesxreizten Fingern an
der Hüfte nieder. Auf dem Haupt aber blinkt der
helmförmige Stirnschild mit der Mondsichel, die nun
aus den: Traumdunkel anhebende Phase andeutend.
Nicht bloß die formale Schönheit, die meisterlich voll-
endete Arbeit, sondern gerade der geheimnißvoll fasci-
nirende Reiz, der aus dem Ineinanderweben von Tag
und Nacht entspringt, stempelt das Werk zu einer
Leistung von hohem Rang. Von Brütt sehen wir im
Rexräsentationssaal auch die wohlbekannte orientalische
 
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