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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Gold, Alfred: Eine Darmstädter Erinnerung
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0067

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Dio A u n st - lft a l l e.

Dr.

20

Line InrmLtMer Lrinnerung.
von Alfred Gold, Berlin.

war an einen: der schönsten Sommertage Nit dein
Wagen der elektrischen Straßenbahn, der durch die ge-
schlosseiren braunen Fensterladen schattig und kühl ge-
macht war, gelangte ich vom Bahnhof Darmstadts nach dem
stillen Schloßplatz, wo ein bronzener Ludwig auf rother Sand-
steinsäule würdevoll Nittagsruhe hielt, von hier ging es nach
dem noch stilleren ländlichen Osten der Stadt, in das ausgestorbene
Villenviertel, das daliegt wie ein Bauer, der zur Sommerszeit
in pcmdärmeln seinen Mittagsschlaf thut. So präsentirte sich
dem Fremden die Residenz des Großherzogthums pesten.
Ich wollte die so vielgenannte Kün stl er k o l o nie an der
Nathildcnhöhe sehen und fragte ein kleines Mädchen nach den:
lveg. Nach der Nathildenhöhe fragte ich, denn von dem
Worte „Künstlerkolonie" sagte mir eine Empfindung, daß es
den einfachen Leuten hier nichts Geläufiges sein könne. Zur
Zeit der Eröffnung, als der Fremdenstrom dahin sich ergoß,
war es vielleicht ein Schlagwort für eine Sehenswürdigkeit
und damit für ein Geschäft; aber jetzt doch wohl nicht, in der
Sommeridtzlle eines stillen Jahrs —? Oder ... unter-
schätzte ich die Darinstädter Gründung, und lebt man hier
wirklich mit der Kiinstlergcmeinde wie anderwärts etwa mit
der Universität oder den: Militär? Ich war auf nichts so be-
gierig, wie auf eben dies: welche Rolle iin Stadtbild und
Stadtleben der hessischen Residenz die vor zwei Jahren so
feierlich eitirte moderne Kunst heute spielt.
Der Weg, der zu dieser Kunst führt, ist schon an seinem
Eingang mitpäusern von Olbrich gekennzeichnet. Nell, heiter
und ungewöhnlich, wie wir sie aus Vlbrich's peimath Wien
kennen, stehen zwei solcher Pünschen da und bringen in den
feit Jahrzehnten üblichen Baukastenstil der Villenkolonien einen
fremden Klang. Schneeweiß die niedrigen breiten Kalkmauern
nut ihren großen kahlen, unzertheilten Flächen, ihren kleinen,
unregelmäßig angebrachten Fenstern und niedrigen Thüren;
halb oder ganz flach die Dächer und flach die auf die Mauer
applizirten Blumenornamente, die diesen ein wenig an Japan
erinnernden Zeltformen erst das letzte Gepräge geben. Man
glaubt nicht sofort daran, daß solche völlig frei erfundene
päuserarten von guten Bürgern auch gut bürgerlich bewohnt
werden, aber es ist doch so, und in mindestens zwei derartigen
Beispielen haben darmstädtische Bevölkerung und moderne
Kunst sich wirklich gefunden. Nachdem man dies gesehen, wirkt
die Kolonie selbst nut den: Ernst Ludwig-Paus kaum mehr
verblüffend. Man steigt einen sanften pügelweg hinan, einen
anderen hinab und steht unmittelbar vor der breiten Freitreppe
und dem Ausstellungsportal mit den zwei herrlichen Stand-
bildern, mitten zwischen den fünf Künstlcrhäuschen mit ihren
fünf Gärtchen und fünf Gitterzäunchen, die noch vor — sagen
wir — fünf Jahren uns allen nichts als ein parodistischer
Theaterspuk gewesen wären, peute spielen Kinder darin,
Wäsche hängt zum Trocknen aus, und niemand steht da, diese
Wunder anzustaunen oder zu verlachen.
Es ist immer wieder merkwürdig, wie unfehlbar mit der
Zeit auch die schärfsten Gegensätze sich abschleifen. Als ich
auf der Treppe des Ausstellungshauses stand und die mit
Farben und Gold erhellten Fassaden und Dächer vor mir noch
einmal besah — die Künstlerhäuser sowohl wie die sich daran-
schließenden eines privaten Kolonisten — da sagte nur mein
Fühier, ein liebenswürdiger junger Assistent Olbiich's, daß von

allen modernen Künsten die seines Meisters heute noch am
meisten befremde und befeindet werde. Das mag sein. Aber
trotzdem drängt sich die Empfindung auf, daß auch über diese
Kluft schon eine Brücke sich baue, und gerade ein sommerlicher
Villen- und Landwinkel wie Darmstadts Vorort ist dafür der
richtige Boden. Wo Landhäuschen stehen und Gartenhütten,
da ist für die subjektive Laune und Willkür (und selbst für
einen kleinen Schuß Dilettantismus) noch an: ehesten Platz,
von jeher ist es ja so gewesen; die Pauskunst des Einzelnen
hat an seinem Tusculum immer mitgeschaffen. Der Line be-
deckt seine Mauern mit Rosenspalieren, ein anderer tüncht sie
mit blauer Farbe, die er seiner Stimmung entsprechend selber
sich mischt. Der pflanzt eine goldglänzende Glaskugel vor
seine Thür zum freundlichen Gruße weithin, an alle, die da
nahen. Lin anderer zieht dicke Stachelhecken um sein kleines
Königthun:. So kommen überall da, wo Stadt und Land sich
zu wirklich freien, ungezwungenen Erholungsheimen verbinden,
in hundert verschiedenen Pünschen hundert verschiedene Spiel-
arten — Spielarten in des Wortes wirklichster Bedeutung —
zusammen. So erklärt und rechtfeitigt sich auch Olbrich's,
manchmal etwas oberflächliche, Buntheit. So kann man Be-
ziehung zu ihr gewinnen
Das war der Eindruck, mit dem ich zur Stadt zurückging.
Sonst hatte ich nicht viel sehen können. Im Ernst Ludwig-
Paus werden nur die Ateliers benutzt, die Palle selbst steht
leer und düster, von den Künstlern sind nicht alle mehr da,
und von denen, die noch da sind, scheinen nicht alle mehr mit-
zutkun. von Pabich allerdings, dein ausgezeichneten Schöpfer
jener beiden Portalstandbilder, hörte ich, daß er mit offizieller
Arbeit (den: mittlerweile enthüllten Denkmal für die Groß-
herzogin Alice) beauftragt und grade an der Aufrichtung mit-
beschäftigt sei. Aber der (Offiziellste ist und bleibt bis auf
Weiteres Olbrich. Er vor allen beräth den Großherzog, bei
dem er eben auch zu Gaste war, als ich nach ihm fragte. So
wenig er populär sein mag in dieser Stadt, die mit ihren alten
Straßen, ihrer zufriedenen Bevölkerung und ihrem sprichwört-
lichen Mangel an Fremden das Bedürfniß nach Modenwechsel
nicht kennt, so sehr ist er doch heute bezeichnend für den Stand
der großherzoglichen Gründung.
Und schließlich wurzelt Olbrich auch, ich habe es schon
erwähnt, im Boden dieser Gründung fester, als man glauben
mochte. Seine Architektur ist die Architektur des ländlichen
Linsicdelhauses, das inan sich nut guter Laune und nicht allzu-
viel Geld errichtet; und wenn man auf Linzelzüge blickt, kann
inan sogar eine nicht geringe Verwandtschaft mit dem süd-
deutschen Bauernhause bei ihm finden. Es war ein Zufall,
der inir's kurz darauf so recht vor Augen rückte. Ich bum-
melte durch dei: Schwarzwald, und auf einem abendlichen
Spaziergang von Kybburg zurück nach Freiburg, da sah ich
an der Landstraße ein schönes, breites altes Bauernhaus, das
war innen beleuchtet und machte, daß wir stehci: blieben —
eine junge Malerin mit nur und ich. Wir mußten beide an
die Olbrich'schen päuser denken Wie zwei Augen rücken die
Fensterchen mit den Miniaturscheiben im polzgitterrahmen auch
hier zusammen, von zwei Fronten her nach der Mittelkante zu;
und hier wie dort wirkt die breitflächige weiße Nauer nackt
und für sich.
„Aber erst am Bauernhaus empfindet man auch wirklich,
daß es schön ist," bemerkte meine Begleiterin nicht mit
Unrecht.
 
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