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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Dworaczek, Wilhelm: Wiener Kunstbrief
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Berliner Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0159

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Die Kunst-Halle.

Nr. 9

s35

um so vergänglicher ist, je tieser und leuchtender es erscheint,
hoffentlich handelt es sich, wie bei Makart, auch bei Böcklin
nur um vereinzelte Bilder, die sich theils als Experimente mit
neuen Farben darstellen, theils aus äußeren Ursachen minder
gut erhalten sind. Dies sei nur nebenbei bemerkt. Zu Er-
örterungen über die künstlerische Persönlichkeit Böcklin's giebt
diese Kollektion nicht den glücklichsten Anlaß.
S *
Das Küustlerhaus hat im Erdgeschoß zwei interessante
Kollektivausstellungen vereinigt. V. Radimsky und Franz
Lourtens! Radimsky, von dem q,q. Bilder vorhanden sind,
überrascht durch die außerordentliche Vielseitigkeit seiner Motive,
durch die Leichtigkeit, Lebendigkeit seiner Naturauffassung, durch
das frische kecke Zugreifen und durch den Wagemuth, mit dem
er die heikelsten und subtilsten Stimmungen der Landschaft
festhält. Er liebt nicht das Dunkle, Schwermüthige oder
Träumerische. Am besten gelingen ihm Frische, Frühlings-
stimmungen in klarer, sonniger Luft, das lebendige Haschen
und huschen tanzender Sonnenstrahlen im Laubwerk des
Waldes oder auf dem glitzernden Wasser — das junge, saftige
Grün des Frühlings, oder das leise webende, die Dinge wie
mit einein violenblassen Flor umhüllende Licht der letzten
Sonnenstrahlen im Herbst, wenn schon die Luft kühl und klar
wird und der erste Reif auf die Blätter fällt — das sind so
seine Lieblingsthemen, die er mit oft entzückender Feinheit
und einem tiefen liebevollen Naturempfinden bewältigt. Er
ist der Mann der Hellen, blassen Farben, der lebendigen
Stimmungen der frischen, freien, und man möchte fast sagen
heiteren Natur. Ganz anders der große Belgier Franz
Eourtens, seine Nähe drückt den Pariser Radimsky vielleicht
etwas ungerecht an die wand. Seine Motive sind die dank-
bareren, die bedeutungsvolleren, seine Kunst ist großzügiger,
sein Blick tieser und grübelnder. Für seinen Pinsel ist die
Landschaft nicht das frische, einfache Motiv, das eine glückliche
Schöpferstunde in guter Schaffensfreude ihn gestalten läßt, er
sieht hinter den Erscheinungen der Natur die großen Gefühle,
die großen Empfindungen, wie sie nur dem Künstlerauge
großen Stils sich entschleiern. Ist Radimsky der gewandte,
glänzende Skizzist, der von den Reizen der Natur anmuthig
und lächelnd zu plaudern weiß, so ist Eourtens der große
Dichter, der das Bedeutsame in der Natur erfaßt und es mit
breiter Wucht, nicht ohne kraftvolles Pathos oder dichterischen
Schwung auf die Leinwand bannt. Seine Bilder sind nicht
blos Motive, über deren flotte oder kecke Widergabe man sich
erfreut, es sind tief empfundene Stimmungen, die mit suggestiver
Kraft sich dem Beschauer mittheilen, und in der Eindringlich-
keit ihrer Wirkung weit über die Bedeutung des Motivs an
sich hinauswachsen. Eourtens' breite und wuchtige Malweise
bevorzugt auch die größeren Formate, die dem Künstler dann
reichlich Gelegenheit geben, sich ohne Beschränkungen aus-
zusxrechen — lapidar und eindringlich im Ausdruck, im Ge-
sammtbild voll Konzentration und künstlerischer Einheit der
Stimmung. Aber auch in der Wahl der Motive steht Eourtens
in völligem Gegensatz zu Radimsky. Er liebt nicht das
Idyllische, sondern mehr das Grandiose, Erhabene, das Düstere
und Melancholische! Das große Sterben in der Natur — wenn
der Herbst in's Land bricht und die Wege mit den welken
Blätterleichen übersäet („Letzte Herbsttage", „Gegen Herbst"),
oder wenn der Tag zur Neige geht und die letzten Sonnen-
strahlen durch die Baumwipfel dringen, „Letztes Tagesleuchten",
„Letzte Strahlen', „Untergehende Sonne" u. A. oder wenn
graue Nebel niederfallen und der Regen durch die Lüste

peitscht — wie „Graues Wetter", „Nach dem Regen" oder
„Stürmisches Wetter" oder auch „Schneesturm" u. A. Fast
immer aber sind es dunkle, schwere Akkorde, die er anschlägt,
zuweilen an den größten Melancholiker der Landschaft, an
Israels gemahnend. Aber Eourtens besitzt eine reichere Ton-
skala als dieser — wo er hellere Durakkorde in der Farben-
mischung anschlägt, dort gelingen sie ihm gleichfalls mit voll-
endeter Meisterschaft. Man darf der Künstlergenossenschaft
wahrhaft dankbar sein, daß sie den großen belgischen Dichter, denn
ein Poet mit Pinsel und Palette das ist Lourtens — einmal in
so prächtiger Auswahl vorführte-. Das bedeutet einen reichen,
künstlerischen Gewinn, denn Vieles von dem in dieser Kollektion
Geschauten wird in der Erinnerung gewiß zu dauerndem
Besitz gehören.
Im ersten Stock hat der Aquarellistenklub seine
tl. Ausstellung eröffnet, die wie immer viel des Tüchtigen
und künstlerisch werthvollen bringt, die aber doch das kauf-
lustige Publikum mehr anregen dürfte, als den Kritiker. Dieser
kann sich nur mit bedeutsameren oder neueren Erscheinungen
befassen. Daß unsere alten und geschätzten Aquarellisten auf
guter höhe geblieben sind, daß sie neue, zuweilen vortreffliche
Arbeiten ausgestellt haben, bedarf nicht jedesmal eingehender
Erörterung. Ls mag mir daher verziehen sein, wenn ich mich,
der Spärlichkeit des Raumes Rechnung tragend, darauf be-
schränke, zu konstatiren, daß die Ausstellung viel Treffliches
neben manchem herzlich Unbedeutenden bietet, und im großen
Ganzen von dem Lharakter aller Ausstellungen dieses Genres
kaum abweicht. Erwähnen möchte ich nur eine Kollektion von
Handzeichnungen des verstorbenen Wiener Malers Alois Greil,
eine liebe, feine und anmuthende Kunst, mit viel echtem Humor
und liebevoll beobachtender Schilderungsgabe. Man gewinnt
aus dieser Sammlung den Eindruck einer etwas altväterischen,
aber darum nicht minder sympathischen und anheimelnden
Künstlernatur, der zu anderen Zeiten, etwa vor einem Jahr-
hundert ein ruhmvollerer Aufschwung gegönnt gewesen wäre,
als in unserer raschlebigen Zeit, die das zarte, feine Talent
so leicht zertritt und in der nur die wuchtigeren Individualitäten
oder die kräftigeren Ellenbogen sich Bahn brechen. Auch ein
paar sehr feine und flotte Zeichnungen und Aquarelle, voll
Erfindung und Kühnheit, von Edm. Sullivan in London,
sowie einige flotte Radirungen von Gottlieb Kempf in Wien
mögen genannt werden.
Paul Wilhelm.


Von Zerliner Ruiut.
halbmonatsschau.

nter den jüngsten Besitzstücken der Kgl. Nation al-
gallerie, die von der Direktion im zweiten
Korneliussaale, mit den vorletzten Zugängen
aus der Sammlung König's vereinigt, aufgestellt wurden,
befinden sich auch die beiden Werke von A. Feuerbach
und A. Böcklin, die unlängst Frau vr. Fiedler-Levi
der Gallerte schenkte. Feuerbach's „Idyll von Tivoli",
ein jugendliches Musikantenxaar, Mädchen und halb-
nackter Knabe, repräsentirt ein echt romantisches Motiv,
ist aber nicht rührsam behandelt, sondern still, gedämpft
im Ausdruck wie im Kolorit, von malerischer Wirkung
 
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