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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Esswein, Hermann; Neumann, Ernst: Die Beeinflussung des Künstlers und die Kritik [2] (Schluss)
DOI Artikel:
Thomas, Bertha: Londoner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0226

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Nr. sZ

Die Aunst-^alle.

Kreisen herabzusetzen. Denn auch lobende Tlichöworte,
die aus solcher Beeinflussungs - „Auffassung" resultiren,
sind eine Herabsetzung. Mit dem Fuße schiebt der
denkende und selbstbewußte Künstler ein solches Lob
von sich.
Line weitere Grube, in welcher sich der aus dem
Gebiete der Frage nach den „Einflüssen" sreibeuternde
Kritiker ost sängt, verdient hier gleichfalls erwähnt zu
werden. Ls kann geschehen, daß er aus die Spur eines
Künstlers geräth, der nut gering entwickelter, inter-
nationalistischer Kulturstrebigkeit, aber mit starkem
Instinkte begabt, seine Werke aus einem ganz spezifisch
deutschen Empfinden schöpft, dem absolut kein fremder
Linfluß, keine „Inspiration," keine ausländischen „Vor-
bilder" nachzuweisen sind, was bleibt also dem schlechten
Kritiker übrig, als sentimental und patriotisch zu werden?
„N. N. ist deutsch, urdeutsch!" ruft er aus, und seine
pathetischen Lobeserhebungen gipfeln schließlich in dem
Unsinn, daß das Kunstwerk des Herrn N. N. ein vor-
treffliches, weil kerndeutsches Kunstwerk sei. Auch
dieses Lob schiebt der deutsche Künstler mit dein Fuße
von sich, denn es setzt ihn und sein Werk herab. Ls
isolirt ihn, es sperrt ihn in eine enge, mit den Landes-
bezw. Ländchenssarben bemalte Hürde, es prellt ihn
um das stolze Gefühl der universalen Wirkungen, es
ernennt ihn zum malerischen Dorspoeten, mit dessen
Ruhm es schon beim nächsten Schlagbaum zu Ende ist.
— Und all das nur, weil irgend ein Herr Kritiker nicht
in der Lage war, sein aus deutschem Empfinden ge-
borenes aber nicht darin ersticktes Werk sachlich, vor-
aussetzungslos zu würdigen, weil dieser Kritiker viel-
mehr in der Interjektion „deutsch!" ein billiges und
beliebtes Schlagwort sand, durch dessen kluge Aus-
schlachtung ihm Gelegenheit wurde, seiner Expek-
toration einen gewissen Anschein von Bedeutung zu ver-
leihen.
Bleibend werthvolle Kunstbetrachtung schafft man
nicht mit Schlagworten, schafft man nicht mit Interjekti-
onen, mögen dieselben nun internationalistisch oder
nationalistisch gefärbt sein. So sehr die von den Berufenen
in der Fach- wie in der Tagespresse ausgeübte kultur-
werthige Kritik aus Grund ihres sachlichen und vor-
urtheilslosen Tharakters geeignet ist, der Kunst zustatten
zu kommen, so schwer wird die Kunst durch kritische
Aeußerungen Unberufener geschädigt, denn kritische
Produktionen, die, ohne sachliche Maßstäbe anzulegen,
nur die Beförderung muthigen Bildungsphilisteriums
bezwecken, sind blos dazu geeignet, das Publikum
dauernd davon abzuhalten, den Werth des künstlerischen
Schaffens für die Gesammtkultur einzusehen. Der
Künstler ist und bleibt alsdann für das Publikum der
willkürliche und planlose Gestalter mehr oder minder
unverständlicher Seelenvorgänge, dessen Schaffen aus
keinen Gesetzen beruht, das daher auch keine Bedürf-
nisse zu stillen vermag und dem zufolge auch keinen
realen Werth besitzt. Jede schlechte Kritik trägt dazu
bei, den Künstler als einen, den realen Lebenssaktoren

aus Gnade und Ungnade ausgelieserten — Luxusgegen-
stand hinzustellen.
Daß es für ein Volk ein direkter Nachtheil ist, in
Bezug aus das Wesen seiner geistigen Führer derart in
dauernder Verblendung erhalten zu werden, das leuchtet
wohl ein. Zum Beweise erinnere man sich nur der
erschreckenden Fülle von Unkultur,« von Unbildung und
Verbildung, die wir heute als unmittelbare Folge der
zwischen Kunst und Leben bestehenden Spaltung zu be-
klagen haben. Eine sachliche und ernste Kunstkritik
wäre mit eines der Hauptmittel zur Beseitigung dieses
Zwiespaltes.


Lonöoner Runckbriej. .
von B. Thomas, London.
assatzlli's Aufsehen erregende Erfindung von
Farbenstisten zur Gelmalerei ist nunmehr auch hier
durch die das neue Verfahren demonftrirende Aus-
stellung Gegenstand vielfacher Erörterung geworden.
Die von Paris hierher transporurte Sammlung von
etwa hundert Bildern, wozu sich vierzig Künstler ver-
schiedener Nationalität vereinigt haben, zieht zahlreiche
Besucher nach der Gallerte Holland Fine Art in
der Graston-Straße, während die englischen Kritiker
noch kein verfrühtes Urtheil darüber abgeben wollten,
ob sich in allen Punkten bewahrheiten werde, was der
Erfinder von seiner Methode behauptet, ist doch un-
leugbar der Eindruck einer großen und wichtigen Er-
rungenschaft für die Maler durch die Ausstellung her-
vorgebracht worden. Unter den Theilhabern finden
wir mehrere namhafte englische Künstler: Swan,
Herkomer, Tuke, Alfred East, Mark Fisher. Der
versuch muß ja jeden Maler locken, wo Zeit- und
Mühe-Ersparniß so aus der Hand liegt: in der That
ein Vortheil, der einfach unberechenbar ist. Ls fragt
sich nur, ob es möglich sein wird, mittelst des neuen Ver-
fahrens, wie bisher aus die alte weise, alle der Gel-
malerei speziell eigenen Reize hervorzubringen.*) Erst
eine längere und ausgedehntere Anwendung muß ab-
gewartet werden, um für die Ersetzbarkeit der früheren
Methode durch diese neue Prozedur eine Basis zu ge-
winnen. Bei den hier vereinigten Ausstellern will es
uns scheinen — mit Ausnahme von einigen wenigen,
worunter natürlich Raffaölli selber als am geschicktesten
in der Anwendung seiner Erfindung obenan steht —,
als wären sie noch zum Theil nicht recht vertraut mit
dem Verfahren gewesen. Die zehn Bilder Rafsaslli's
und sechs von dem populären Maler Fritz Thaulow
weisen dahingegen keine Spur von der Unsicherheit
eines Versuchsstadiums aus, sie sind gemalt wie nur
irgend eines, das wir von ihrem Pinsel kennen. Einige
Seestücke von Mesdag und Borchardt sind sogar
glänzende Proben, denen auch Nico Iungmann's
„Holländische Prozession" an die Seite zu stellen ist —
acht charakteristische, sämmtlich im Profil gesehene Köpfe,
in seinem jetzt so wohlbekannten Stil. Bei allen diesen

H Die bisher in Berlin gezeigten Proben haben uns
nicht davon überzeugen können. D. Red.
 
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