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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Thomas, Bertha: Londoner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0227

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Nr. f3

Die K u n st - H a l l e.


Beispielen darf aber die spezielle maltechnische Ligenart
des betreffenden Künstlers nicht außer Acht gelassen
werden. Die schon für gewöhnlich zur Hastellmanier
neigen, haben natürlich am wenigsten durch die
Neuerung zu verlieren. In einigen Bildern, wo offen-
bar eine kräftigere und mehr solide Farbenwirkung be-
zweckt werden sollte, ist dahingegen nur ein viel zu
schweres, durckaus unschönes Kolorit erzielt worden.
Dem lassen sich jedoch andere Ergebnisse des gleichen
Bestrebens gegenüberstellen — namentlich von dem
Holländer Rip —, die in ihrer Art so vorzüglich ge-
lungen sind, daß sie Zweifler an der unbegrenzten Ver-
wendbarkeit der Farbenstifte zu bekehren vermöchten.
Allerdings ist an mehreren der Werke — sogar einem
von Raffaelli's eigener Hand — der Hinsel etwas zu
Hülfe genommen. Warum auch nicht? Line solcher
Art modifizirte Anwendung, wo sie am Hlatze ist,
würde dem Werth der Methode keinen Abbruch thun.
Aus der Reihe der englischen Beiträge sind bemerkens-
werth Sw an's außerordentlich schöne „Haiderabad-
Tigerin"; zwei Bootfahrt-Szenen von Tuke, ein wenig
flüchtig, doch ganz des Künstlers Ligenart entsprechend;
von Herkomer ein als außerordentlich krastvoll und
markig auffallenderHorträtkoxf eines jungen Mannes, und
zwei Landschaften von Mark Fisher. Der weiteren
Entwicklung durch ausgedehntere Anwendung des neuen
Hilfsmittels wird mit Spannung entgegengesehen. Line
nicht unbeträchtliche Einwirkung auf die Hroduktion der
nächsten Zeit steht jedenfalls zu erwarten. Für Skizzen
werden die Raffaöllischen Stifte bald allgemein im Ge-
brauch sein, denn sie gestatten ein rasches Arbeiten und
sind für jeden Malgrund verwendbar. Sie bieten auch
die Vorzüge der Hastellmalerei ohne deren Vergänglich-
keit; ja, es sollen diese Farben auch nicht so der Ver-
änderung unterworfen sein, wie die flüssig aufge-
tragenen. —
Unsere Winterausstellungen sind diesmal unter dem
Durchschnitt gewesen. von den zahlreichen kleineren
Sonderausstellungen einzelner Künstler war keine, die
Anspruch auf spezielle Besprechung hätte. Die „New
Gallery" hat ihre Hforten der sogenannten „Künste
und Handwerk- a-ucl Orakts-) Ausstellung" ge-
öffnet, in welcher die Handwerker entschieden höher zu
bewerthen sind, als die Künstler. Linen sehr ge-
mischten Charakter besitzt die diesjährige Ausstellung
„Alter Meister" im Burlington-Haus, jedenfalls
aber ist hier etwas nicht Alltägliches zu schauen. Vor-
wiegend von archäologischer Bedeutung, sind die hier
ausgestellten Forschungsergebnisse doch so künstlerisch
werthvoll, daß sie das Interesse der Besucher durchaus
absorbiren, was im Hinblick auf die trefflichen Ge-
mälde eigentlich schade ist. Bietet doch die Ausstellung
außer vielen Werken der besten älteren englischen Land-
schafter auch eine besondere Gruppe der Malereien
Albert Cuyp's, die diesen Künstler recht gut repräsen-
tirt; eine vermischte Sammlung ausländischer alter
Meister des j6. und l.7. Jahrhunderts und eine
Auswahl von Landschaften und Marinen zweier
kürzlich erst verstorbener britischer Maler, John
Brett und Ridley Corbet. Weit mehr jedoch, als
alles dies, interessiren und fesseln die in einem be-
sonderen Saal enthaltenen Reproduktionen — Abgüsse,
Zeichnungen, Hhotographien und farbige Abbildungen
—- der archäologischen Funde, die durch die Aus-
grabungen des Herrn Arthur Evans' während der
drei letzten Jahre auf der Insel Kreta an's Licht ge-
fördert wurden. Die meisten dieser Schätze stammen
aus den Ruinen eines ungeheueren Halastes, ausge-
graben auf dem Hügel Kephala, wo einst das alte

Knosos erbaut war, die Residenz des sagenhaften
König Minos, der dort seinen künstlerischen Schützling
Daedalus beherbergte. Hier nun finden sich Hroben
der prähistorischen griechischen Kunst, durch welche die
Geschichtsschreiber künftighin gemahnt werden dürften,
nicht alle unglaublich klingende Tradition von Kunst
und Kunstwerken der ältesten Zeit sofort als mythisch
abzuthun.
Der Halastbau nebst seiner Innenausstattung wird
auf f800 bis l.500 Jahre vor Christi zurückgefübrt.
Der sehr komplizirte Hlan des Bauwerks weist eine
Unzahl von Höfen, Gängen und Gemächern in so ver-
wickelter Anordnung auf, daß der Entdecker es in der
That für identisch mit dem Labyrinth des alten Mythos
von Theseus und der Ariadne hält. Der Altar Labry's,
der Schutzgottheit, ist in dem Halast in wohlerhaltenem
Zustand gefunden worden. An erstaunlichen Spuren
der Ausübung mechanischer Techniken enthält der
Innenraum eine viersache steinerne Treppe, die zu den
oberen Räumen führt; sehr gut eingerichtete Bade-
zimmer; selbst eine nach verhältnißmäßig modernem
System angelegte Drainage — was Alles auf eine so
vorgeschrittene Zivilisation deutet, daß man die damit
einhergehende hohe Entwicklung der schönen Künste
hiernach begreifen kann. Die Wände sind überall mit
Freskomalereien bedeckt, deren Farben glänzend er-
halten sind. Sie stellen Szenen aus dem sozialen Leben,
Tempel und andere Gebäude dar; Krieger, Frauen,
Hrozessionen — und in einer solchen fällt besonders die
Figur eines Becherträgers als merkwürdig auf. Im
hohen Grade interessirt auch eine Stiergefechts-Szene,
bei der die meisten Toreadores weiblichen Geschlechts
sind. Obgleich natürlich von ganz archaischem Cha-
rakter, frapxiren doch diese Darstellungen im Vergleich
mit den zeitgenössischen egyptischen Werken, von denen
die Sujets vermuthlich entnommen sind, durch ihre
bei Weitem freiere Behandlung der menschlichen Ge-
stalt, wie durch Lebendigkeit der Wiedergabe. Einige
in Miniatur ausgeführte Fresken gleichen Genres sind
von bewundernswerther Feinheit und verlohnen ein
genaueres Studium. Die Reproduktionen sind zumeist
nach Kopien und Skizzen gefertigt, die an Ort und
Stelle von dem Schweizer Künstler Gillisron gemacht
wurden. Keiner der aufgefundenen Gegenstände darf
von der Insel entfernt werden. Von einem sehr vor-
geschrittenen Stand der Bildhauerkunst zeugen die
Skulpturenreste. Da sind besonders ein vortrefflicher
männlicher Torso in bemalter Gesso duro und ein aus
demselben Material hergestellter schöner Stierkopf.
Der Kopf einer Löwin in Marmor, Bruchstücke einer
Fontäne und ein in Gips geformter Hochlehniger Stuhl
mit Bildhauerarbeit, eine Art Thronsessel von gothischem
Aussehen, fesseln unsere Aufmerksamkeit, aber das
Interessanteste von Allem ist eine Reihe Hhotographien
nach Elfenbein-Statuetten jugendlicher Gestalten in
rascker Bewegung dargestellt — springend oder
tauchend —, bei derer: Betrachtung man nicht weiß,
was Einem mehr Bewunderung einflößt, die flotte
Wiedergabe der lebhaften Bewegung oder die feine
Modellirung und Herausarbeitung des Details. Die
dekorativen und gewerblichen Kunstzweige sehen wir in
großer Fülle und Schönheit kultivirt. Da sind in Gips
modellirte Decken mit prächtigen Zeichnungen und har-
monischen Farben dekorirt; ein Spieltisch aus Elfenbein
mit Gold belegt, in welches Krystallxlättchen mit
emaillirtem Untergrund eingelassen sind; eine Hrobe der
Kameenschneidekunst, von deren Existenz zu so früher
Zeit bisher nichts hekannt war; emaillirte Metallvasen;
Gemmen und Juwelen — Alles von trefflicher,
 
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